Am riesigen Tisch im Kaminzimmer im ersten Stock des Wissenschaftsministeriums sitzt Bernd Sibler vorbildlich mit großem Corona-Abstand. Die Fenster stehen sperrangelweit offen. Dabei lässt der CSU-Minister ohnehin nur Besucher*innen, die geimpft, genesen oder getestet sind, in sein Haus. „Hier gilt 3G, und da lege ich Wert drauf“, erklärt er mit Nachdruck.
Der Name Sibler kam einem bislang eher nicht in den Sinn, dachte man an Leute, die besonders akribisch auf Corona-Schutzmaßnahmen achten. Der Niederbayer wurde wiederholt bei Verstößen erwischt. In der Landtagsgaststätte beim Würstelessen missachtete er erst das im Lockdown geltende Abstandsgebot, um nur wenige Wochen danach an seinem 50. Geburtstag zu viele Gratulant*innen in seinen Garten in Plattling im Landkreis Deggendorf zu lassen. Blamabel – gerade für ein Mitglied der Söder-Regierung, deren Corona-Politik stets die Schlagworte „Umsicht und Vorsicht“ prägten.
Aber nicht diese Regelverstöße sind der Grund, warum Sibler in der Corona-Krise heftig unter Beschuss geriet. Sondern, dass sich viele Kulturschaffende im Freistaat von der Regierung benachteiligt und im Stich gelassen fühlten. Weil versprochene Hilfen erst gar nicht und dann nur stockend flossen. Und weil der Kulturbereich lange auf echte Öffnungsperspektiven warten musste – länger zum Beispiel als der Sport. Untätigkeit wurde Sibler vorgeworfen von Leuten, die gehofft hatten, dass er sich in der Regierung mit einer eigenständigen und starken Stimme für sie einsetzt. „Er hört nur hin, er hört nicht zu. Würde er zuhören, würde er das in Aktivitäten umsetzen, was uns umtreibt“, monierte etwa Bernd Schweinar, Vorsitzender des Verbands Popkultur in Bayern, bei einer Fachanhörung der Landtagsopposition Ende 2020.
Silbler stellt sich auf der Bühne der Kritik von Künstler*innen
Sibler dagegen sagt: „Wir haben viele Punkte aufgenommen und an vielen Stellen nachgearbeitet.“ Ob bei den Hilfsprogrammen oder auch beim Thema Öffnungen. Er habe immer ein offenes Ohr gehabt für die Nöte der Betroffenen, mit denen er unzählige Telefonate geführt habe. Sogar seine Diensthandynummer habe er sehr oft rausgerückt. Und der Kritik hat sich Sibler auch öffentlich gestellt – etwa bei den Demos unter dem Motto „Aufstehen für die Kultur“ am Münchner Königsplatz. „Da sind jeweils sehr viele effiziente und konstruktive Dinge entstanden“, sagt er. Und: „Man muss auch sehen, was politisch möglich war. Und was möglich war, haben wir gut umgesetzt.“
„Dass er den Mut hatte, sich da auf die Bühne zu stellen, rechne ich Sibler hoch an“, sagt selbst Sanne Kurz, kulturpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. „Da lag kompletter Murks auf dem Tisch, und er hat versucht zu retten, was zu retten ist.“ Aber das reiche nicht. „Als Kämpfer für Öffnungsperspektiven und schnelle wirtschaftliche Hilfen für Kulturschaffende ist Bernd Sibler während der Pandemie leider nicht erkennbar gewesen“, moniert Volkmar Halbleib, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Man habe ihn „eher als Problemminister wahrgenommen denn als zupackenden Gestalter“. Ex-Kunstminister Wolfgang Heubisch dagegen erklärt, er stelle immer wieder fest, dass Sibler „gerade in der Corona-Krise viel bewirken will“. Aber er sei eben „auch fest in die Kabinetts- und Koalitionsdisziplin eingebunden“. Die Staatskanzlei als Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungen und die Ministerien lediglich als Zuarbeiter – dem könne sich auch ein Minister Sibler nicht entziehen, so der FDP-Abgeordnete. Nur Söder „hinterherzurennen und die Scherben aufzukehren ist aber keine zukunftsfähige Politik“, kritisiert die Grüne Kurz.
Sibler, der als loyal, fleißig und umgänglich gilt, verrichtet seine Arbeit eher still und unauffällig im Hintergrund. Er ist kein Polterer wie etwa Ex-Kultusminister Ludwig Spaenle, den Söder nach seinem Amtsantritt 2018 abservierte. Und dessen Posten dann Sibler bekam, der zuvor bereits einige Jahre Schul- und Wissenschaftsstaatssekretär war. Geholfen hat sicher der Regionalproporz. Sibler ist Vizechef der CSU Niederbayern.
Sibler hält sich zugute, die Kommunikation im Haus nach seinem Amtsantritt verändert zu haben. In der Lehrerschaft kam es gut an, dass Sibler das Gespräch suchte. Viele empfanden zum Beispiel die externe Evaluation als Gängelinstrument. Sibler, selbst Gymnasiallehrer für Geschichte und Deutsch, setzte die Evaluation aus, um sie auf neue Füße zu stellen. Nicht wenige bedauerten, dass Sibler nach nur sieben Monaten das Amt des Schulministers an die Freien Wähler abgeben musste. Weil der kleine Koalitionspartner nach der Landtagswahl 2018 das Kultusministerium für sich beanspruchte.
Das Thema Lebensschutz brachte Sibler zur CSU
Siblers Stärke ist die direkte Kommunikation. Seinen kollegialen Umgangston schätzt auch die Opposition. „Er kann im internen Gespräch durchaus gewinnend sein“, betont SPD-Mann Halbleib. „Er ist jemand, mit dem man auf konstruktiver Ebene stets diskutieren und zusammenarbeiten kann“, ergänzt FDP-Politiker Heubisch.
Immer ansprechbar ist Sibler auch für die Leute in seiner Region, dort gilt er als großer Kümmerer. „Der Alltag von Politik besteht nicht darin, im Landtag Reden zu halten, sondern – auch vor Ort – Probleme zu lösen“, betont der 50-Jährige. Und bei keinem Spatenstich zu fehlen. Sibler hat daraus ein Hobby gemacht: Er sammelt die Gartengeräte auf seinem Dachboden. Seine Leidenschaft aber gilt dem Lesen und dem Sport. Sibler, ein Frühaufsteher, läuft seit zehn Jahren jeden Morgen. „Es gab in diesem Jahr nur vier Tage, an denen ich nicht laufen war“, erklärt er stolz. Als Kind und Jugendlicher litt er so stark unter Neurodermitis, dass er gar keinen Sport treiben konnte. „Vielleicht ist das jetzt ein Stück Kompensation“, sagt Sibler. „Oder es liegt einfach daran, dass ich vor zehn Jahren endlich die richtigen Laufschuhe für mich gefunden habe.“
Zum Sport kam Sibler erst mit 40 Jahren, in die Politik hingegen zog es ihn bereits früh. In die CSU trat er mit 18 Jahren ein. Als Ministrant und in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert, entdeckte er damals das Thema Lebensschutz für sich. „Und die einzige Partei, die sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzte, war die CSU“, sagt er. 1998 zog Sibler mit nur 26 Jahren als Direktkandidat in den Landtag ein – nachdem sein Vorgänger im Stimmkreis über eine Telefonsex-Affäre gestolpert war. „Total geflasht“ sei er dann gewesen, als Beckstein ihn 2007 das erste Mal zum Kultusstaatssekretär berief, sagt Sibler. Erstaunt waren damals auch viele CSU-Kollegen.
Ein tiefer Glaube begleitet Sibler bis heute. Ein Marienemblem hat er immer dabei. Aber nicht nur in die Politik hat Sibler sein kirchliches Engagement gebracht. Sondern auch in den Hafen der Ehe. Seine Frau, mit der er zwei Söhne hat, lernte er als 24-Jähriger bei einer Friedenswallfahrt in Rom kennen.
(Angelika Kahl)
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