Landtag

Seit zehn Jahren im Landtag: Der Allgäuer Thomas Gehring. (Foto: BSZ)

23.11.2018

Der Mann mit dem langen Atem

Im Porträt: Landtagsvizepräsident Thomas Gehring (Grüne)

Die zwei großen Leidenschaften von Thomas Gehring: seine Heimat Allgäu und die Bildungspolitik. Wobei das mit der Leidenschaft bei den Allgäuern so eine Sache ist – besonders überschwänglich sind sie ja nicht. „Die Allgäuer fallen nicht gleich mit der Tür ins Haus“, erklärt Gehring. In seiner Heimat sei man eher ruhig und bedächtig.

Der Grüne Gehring ist ein echter Allgäuer. Zurückhaltend und ruhig zwar, aber auch überaus selbstbewusst. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in dem kleinen Dorf Gunzesried, das auf knapp 900 Metern im Oberallgäu liegt. Vor 60 Jahren kam er dort per Hausgeburt zur Welt.

Seit zehn Jahren sitzt Gehring für die Grünen im bayerischen Landtag, war Vizefraktionschef und parlamentarischer Geschäftsführer. Den Fraktionsvorsitz hätte er sich auch zugetraut – er saß erst zwei Jahre im Maximilianeum, als er dafür kandidierte. Und bei der Landtagswahl wäre er gern Spitzenkandidat geworden. Fragt man ihn, wie nah ihm solche Niederlagen gehen, antwortet Gehring gelassen: „Eine Kandidatur ist ein Angebot, man muss immer damit rechnen, dass man die Wahl verliert.“

Es liegt auch an dieser Gelassenheit, warum die Grünen Gehring für den Job des Landtagsvizepräsidenten wollten. „Man schreibt mir ein ausgleichendes Wesen zu“, sagt Gehring über sich. Er freut sich darauf, künftig als Vizepräsident die Plenardebatten zu leiten – auch wenn er weiß, dass die Herausforderung groß sein wird, vor allem jetzt, da auch die AfD im Landtag sitzt. „Man braucht Fingerspitzengefühl, um entscheiden zu können, wo man einschreiten muss, ohne gleich jede lebhafte Debatte abzuwürgen.“ Zuspitzungen sind erlaubt, meint Gehring, diskriminierende Äußerungen nicht.

Eine verhängnisvolle Freundschaft

Ebenfalls neu für Gehring: Er sitzt im Ausschuss öffentlicher Dienst – und nicht mehr wie bisher im Bildungsausschuss. „Einerseits schmerzt das“, sagt er, „aber es ist auch eine Entlastung.“ Bildungspolitischer Sprecher aber bleibt Gehring, darauf hat er bestanden. Ein wichtiger Teil sei schließlich die politische Bildung – „und die passt gut zum Amt des Vizepräsidenten“, ist Gehring überzeugt. „Ich will erklären, was wir hier im Landtag machen. Will darum werben, dass sich die Menschen mit der Demokratie auseinandersetzen und sie dazu bewegen, sich einzubringen.“

Gehring selbst war schon als Jugendlicher politisch interessiert, ging sogar zu örtlichen Versammlungen der CSU – „weil es bei uns im Dorf ja keine anderen gab“, sagt er. Den Anwerbeversuchen der Christsozialen widerstand er allerdings. Eines Tages saß Gehring mit einem Freund in der Küche und kam zu dem Schluss: „Es braucht eine neue Partei.“ Eine, die ökologisch, radikaldemokratisch und sozialistisch sei, so Gehrings Vorstellung damals. „Kurze Zeit später kam mein Freund vom Gründungsparteitag der Grünen zurück und erklärte mir: Du, das ist die Partei, von der wir geredet haben.“ 1982 trat Gehring bei den Grünen ein.

Der Freund von damals: Dieter Salomon, der später als Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg saß und dann 16 Jahre lang Oberbürgermeister von Freiburg war. Salomon war es auch, der Gehring in den Landtag von Baden-Württemberg holte: als parlamentarischen Berater. Davor hatte Gehring in München politische Wissenschaft, Germanistik und Geschichte studiert und ein paar Jahre beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Als Journalist entdeckte Gehring sein Faible für die Bildungspolitik, weil er sich beim BR viel mit diesem Bereich befasste.

Bald aber war es Gehring nicht mehr genug, über andere zu berichten oder andere politisch zu beraten. Er wollte in die erste Reihe. „Etwas selber machen“, sagt er. 2002 wurde er in den Gemeinderat von Blaichach gewählt, 2008 dann in den Landtag.

In den Sitzungswochen genießt Gehring die Vorzüge der Großstadt. „Ich bin aber ein absoluter Landmensch“, erklärt er. „Früher habe ich immer gedacht, die spinnen doch, die Gäste, an die meine Großmutter Fremdenzimmer vermietet hatte“, sagt er. Die schwärmten immer von der tollen Luft. „Heute aber geht’s mir ganz genauso“, gesteht Gehring. „Wenn ich nach Hause komme und auf unser Haus zulaufe, denke ich auch: diese Luft!“

Das Land und die Grünen, für Gehring gehört das zusammen, auch wenn seine Partei vor allem in den größeren Städten punkten kann. Naturzerstörung, zunehmender Autoverkehr, stinkende Dieselloks – gegen diese Gefahren für seine Heimat kämpft der Grüne, der selbst ein Elektroauto fährt. Für längere Strecken, zum Beispiel nach München, nimmt er den Zug.

Und dann gibt es da schon seit Längerem eine Idee, die im Maximilianeum bislang nie verwirklicht wurde: die Gründung einer eigenen Landtagsband. Gehring spielt Kontrabass. Sein erstes Geld hat er sich mit Tanzmusik verdient – im Fasching und auf Hochzeiten. Aber auch mit Volksmusik und Liedern von Buena Vista Social Club konnte er punkten. Wer weiß – vielleicht wird aus der Idee in dieser Legislatur Wirklichkeit. Vieldeutig sagt Gehring: „Ich weiß von einigen Kollegen, die musikalisch sind.“ (Angelika Kahl)

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