„Eigentlich müsste ich jetzt vor Ort bei den Aktivisten sein“, stöhnt Christian Hierneis. Es ist der Tag, an dem der Münchner Stadtrat erlaubt, knapp zehn Hektar Wald im Forst Kasten im Süden Münchens abzuholzen, um dort Kies abzubauen. Ein Unterfangen, gegen das der Grüne seit Jahren kämpft. Doch Hierneis sitzt im Landtag fest. Im Plenum hält die Agrarministerin eine Regierungserklärung. Und so kann der 57-jährige Münchner nur aus der Ferne die Wut eines Mitstreiters teilen, der ihm auf Whatsapp schreibt: „Ich könnte heulen.“
Hierneis selbst wirkt gefasst. Die Niederlage im Stadtrat hatte sich angedeutet. Geschlagen will sich der Grüne deshalb nicht geben. „So lange im Forst Kasten nicht alle Bäume gerodet sind, gebe ich nicht auf“, sagt er kampfeslustig. Gerade hat er eine schriftliche Anfrage an die bayerische Staatsregierung eingereicht, die rechtliche Fragen zur Rodung klären soll. Er hofft außerdem auf das Landratsamt München, das dem Kiesabbau noch zustimmen muss. Die Stadt hat 2019 offiziell den Klimanotstand ausgerufen, ein Kahlschlag im Erholungsgebiet passt nicht so recht dazu. Hierneis sagt: „Ich kämpfe auf allen Ebenen.“
Seit 20 Jahren ist er Chef des Bund Naturschutz München
Seit 2018 sitzt der Rechtsfachwirt für die Grünen im Landtag. Er ist nicht nur umwelt- und tierpolitischer Sprecher seiner Fraktion, sondern Naturschützer durch und durch. Vor 20 Jahren, als viele Leute Aktivisten wie ihn noch Ökospinner nannten, übernahm er den Vorsitz der Kreisgruppe München beim Bund Naturschutz (BN) Bayern. Mit seinen über 250 000 Mitgliedern ist das der größte Umweltverband im Freistaat. Hierneis war außerdem Sprecher der beiden erfolgreichen Bündnisse „München gegen die 3. Startbahn“ und „NOlympia München“. Dass 2013 die Bewerbung um die Winterspiele 2022 per Bürgerentscheid verhindert werden konnte, war „richtig genial“, schwärmt er noch heute. „Dass wir es geschafft haben, aufzuzeigen, dass die Spiele als reine Geldmacherei dem Austragungsort nichts bringen außer Umweltzerstörung, war schon eine reife Leistung.“
Dabei hatte Hierneis anfangs selbst nicht an den Erfolg geglaubt. Hartnäckig gekämpft hat er trotzdem. Ähnlich war es im Landtagswahlkampf 2018, als er in München-Schwabing als Direktkandidat gegen die Landtagspromis Isabell Zacharias (SPD) und Ludwig Spaenle (CSU) antrat. Und gewann. Hierneis, eigentlich ein sehr emotionaler Mann, der viel und schnell redet, war am Wahlabend fassungslos. Bei der Wahlparty konnte er nur still dasitzen. Er dachte: „Das gibt’s doch nicht.“
Parteipolitisch war Hierneis bis dahin ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Seit 2008 ist er bei den Grünen. Vor seinem Einzug in den Landtag war er fünf Jahre lang Sprecher des Ortsverbands Schwabing. Vielen seiner Wähler*innen aber dürfte sein leidenschaftlicher Einsatz für die Natur nicht entgangen sein.
Seinen Biss zeigt Hierneis auch im Umweltausschuss im Landtag. Zur Freude seiner Mit-Grünen, die ihn als „fachlich sehr versiert“ und „hochkompetent“ beschreiben. Dass er Themen gerne auch mal zugespitzt angeht, sei wichtig, um Konflikte in die Öffentlichkeit zu bringen, erklärt der Grüne Patrick Friedl, der in der Umweltpolitik eng mit Hierneis zusammenarbeitet. Gerade in der Abwägung zwischen der Schaffung bezahlbaren Wohnraums und Flächenverbrauch ist Hierneis kaum kompromissbereit. In der CSU ist man von diesem Eifer weniger begeistert. Hierneis sei ein Umweltidealist, der oft zu theoretisch und manchmal lebensfern an die Sachen herangehe, heißt es dort.
Ein Bereich, in dem sich Hierneis bei den Regierungsfraktionen regelmäßig die Zähne ausbeißt, ist der Schutz des Wolfes. Sein Credo: Statt höhere Abschussquoten zu erlauben, müsse man lernen, mit dem Wolf zu leben und bessere Schutzvorkehrungen für das Vieh der Bauern treffen. Als BN-Beauftragter für die großen Beutegreifer wie Bär, Wolf und Luchs ist er seit 2006 Mitglied einer Arbeitsgruppe beim bayerischen Umweltministerium. Sie wurde nach dem Eklat um den Abschuss des „Problembären“ Bruno eingesetzt.
Ein Vorteil für Hierneis: Er war durch diese Arbeit bereits vor seinem Landtagseinzug mit Ministeriumsstrukturen vertraut. Aber auch im Maximilianeum kannte er sich schon aus. Von 2014 bis 2018 war er bei der Grünen-Fraktion Referent für Ernährung, Verbraucherschutz, Gentechnik und Tierschutz, schrieb damals Reden und Anträge für Grünen-Abgeordnete.
20 Jahre arbeitete Hierneis in Kanzleien – notgedrungen
Seine Faszination für die Natur entdeckte Hierneis bereits als Bub. Regelmäßig machte er mit dem Opa Urlaub in Oberau. Beim Angeln erklärte der dem Enkel die Natur ringsumher. Schwärmte von der Artenvielfalt, wie es sie einst gab. „Ich begann mich damals nach den Zeiten zu sehnen, als der Steinadler noch in der Ebene anzutreffen war“, erinnert sich Hierneis. Heute findet der nur noch in den Alpen geeignete Lebensräume. Als dann auf Opas Refugium ein Golfplatz gebaut „und eine sensationell artenreiche Sumpfwiese trockengelegt wurde, schwor ich mir, so etwas zu verhindern, wenn ich groß bin“, erzählt Hierneis.
Doch erst mal waren Schule und Ausbildung angesagt: Hierneis machte Abitur und studierte Jura. Ein Verlegenheitsstudium, wie er sagt. Politisch aktiv war er da noch nicht. „Ich war ein Rock’n Roller.“ Das Münchner Studentenleben genoss er in vollen Zügen. „Die Anzahl der Semester verrate ich Ihnen nicht“, sagt Hierneis und lacht. Erschwerend kam hinzu, dass Hierneis bereits als Student in Kanzleien arbeitete, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Am Ende trat er aus Zeitnot nicht beim Examen an. Er absolvierte stattdessen eine Ausbildung zum Rechtsfachwirt – eine Art Büroleiter, der auch im anwaltlichen Aufgabenfeld tätig wird, zum Beispiel bei Vollstreckungsangelegenheiten. In dieser Zeit lernte Hierneis auch seine Frau kennen.
20 Jahre lang arbeitete Hierneis in Anwaltskanzleien. Für ihn ein reiner Geldverdiener-Job. Und er widmete sich nebenher bald auch dem Kampf für die Natur – lange ausschließlich im Ehrenamt. Seit 2012 ist er Teilzeit-Geschäftsführer der Bund Naturschutz Stiftung. „Umweltschutz ist mein Hobby“, betont der kinderlose Hierneis, dessen Freizeitaktivitäten sich auf Spaziergänge und Ausflüge mit der Ehefrau beschränken.
Mit seinem Landtagseinzug hat sich für Hierneis der Traum erfüllt, sich auch hauptberuflich für Umweltschutz einzusetzen. Und noch etwas hat sich verändert: „Als Abgeordneter hört man mir ganz anders zu“, freut sich Hierneis. „Vielleicht nicht lieber“, meint er, „aber deutlich aufmerksamer.“
(Angelika Kahl)
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