Nein, versichert Christian Flisek (SPD). Er bedaure es nicht, jetzt „nur“ noch Landtagsabgeordneter zu sein. „Im Landtag warten jetzt andere anspruchsvolle Aufgaben auf mich.“ Der 45-jährige Passauer war von 2013 bis 2017 Mitglied des Bundestages, verpasste aber wegen des schlechten SPD-Ergebnisses den Wiedereinzug und kandidierte dann 2018 für den Landtag.
Im Bundestag fungierte der Jurist ab 2014 als Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, der die Spionage durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären sollte. Die Wochenenden in seiner bayerischen Heimat Passau waren für Flisek in dieser Zeit kurz. „Spätestens am Sonntag musste ich wieder nach Berlin“, erzählt er.
Die Abgeordneten des NSA-Ausschusses mussten damals knapp 2000 Top-Secret-Ordner zur NSA begutachten – Einblick erhielten sie nur in einem besonders streng gesicherten Raum im Berliner Regierungsviertel. Nach den Sitzungen waren Dutzende von Kameras auf den SPD-Obmann gerichtet und warteten auf einen O-Ton. Als einen „Sprung ins kalte Wasser“ bezeichnet Flisek die Aufgabe rückblickend. „Ich habe schnell gelernt, dass jeder Halbsatz von den Medien kritisch reflektiert wird.“ Dennoch, so betont er, war die Zeit im Bundestag und der Blick ins Geschäft der Nachrichtendienste eine tolle Erfahrung.
Geboren wurde Flisek 1974 in Bochum. Mit 14 Jahren zogen seine Eltern aus beruflichen Gründen nach Bad Reichenhall. Dass er ein „Zuagroaster“ war, hat er nach eigenen Angaben nie zu spüren bekommen. Nach dem Abitur sollte er eigentlich den Kfz-Betrieb seines Vaters übernehmen, doch Flisek setzte sich gegen seine Eltern durch und studierte nach seinem Wehrdienst bei den Gebirgsjägern Berchtesgaden Rechtswissenschaften sowie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Passau. Dort lernte er auch seine jetzige Frau kennen, eine spanische Sprach- und Kulturwissenschaftlerin. 2003 gründete er eine Anwaltskanzlei für gewerblichen Rechtsschutz. Seine Expertise bringt er aktuell als so genannter Of Counsel, also als externer Fachmann bei speziellen Aufgaben, für eine Berliner Kanzlei ein.
Im Gespräch mit Flisek gewinnt man immer den Eindruck, dass er nach seiner steilen Karriere in Berlin lieber in der Bundespolitik geblieben wäre. „Meine politischen Themen waren immer die größeren“, sagt er einmal in einem anderen Zusammenhang. Und beteuert doch immer wieder, er sehe keine großen Unterschiede zwischen seiner Parlamentsarbeit in München und Berlin. „Ich bin bei Plenarreden genauso aufgeregt“, versichert er und lacht. Das sei auch gut so, denn wenn er nicht angespannt sei, „versemmle“ er es häufig.
Im bayerischen Landtag ist Flisek seit 2018 Sprecher für Rechtspolitik und Wissenschaft. Im Rechtsausschuss setzt er sich für eine Abschwächung des Polizeiaufgabengesetzes ein. Bayerns Polizeirecht befinde sich auf Konfrontationskurs mit dem Grundgesetz, kritisiert Flisek. Im Wissenschaftsausschuss kämpft er für bessere Arbeitsbedingungen an Hochschulen – insbesondere für eine verbindliche Frauenförderung inklusive Sanktionsmöglichkeiten.
Einen Unterschied zwischen seiner Arbeit in Bundestag und Landtag sieht Flisek dann doch: „Ich vermisse die Gestaltungsmöglichkeiten einer Regierungsfraktion.“ Im Landtag sitzt die SPD seit Jahrzehnten in der Opposition, ist nach dem Absturz bei der letzten Wahl nur noch fünftstärkste Kraft im Parlament. „Daher sehe ich es auch als meine Aufgabe, die SPD-Fraktion wieder so auszurichten, dass Mitregieren eine klare Option wird“, unterstreicht Flisek. Wie soll das gehen? Flisek propagiert einen Politikwandel hin zur einer ökosozialen Marktwirtschaft, also mehr Klimaschutz, aber sozial abgefedert, damit Gering- und Normalverdiener nicht darunter leiden. Noch scheint das Thema bei den Wählern nicht eingeschlagen zu haben, bei der jüngsten Umfrage kam die SPD in Bayern nur noch auf acht Prozent.
Er plädiert für mehr Basisdemokratie in der SPD
Politisch aktiv war Flisek schon als Schüler. Bereits mit 16 Jahren trat er in die SPD ein. „Es war die Zeit der Wiedervereinigung“, erinnert er sich. Das habe ihn sehr beeindruckt. Außerdem waren viele seiner Mitschüler konservativ geprägt, was Flisek nervte. Bis er sein erstes politisches Mandat ausübte, sollten aber noch 21 Jahre vergehen. Bekannte aus früheren Zeiten konnten ihn im Rahmen der Bankenkrise 2009 überzeugen, sich politisch zu engagieren. 2011 wurde er Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Passau, 2012 Vorsitzender der SPD-Niederbayern und 2013 schließlich Mitglied des Bundestags. Seit 2014 sitzt er zudem im Passauer Stadtrat.
Innerhalb der Partei eckt Flisek gern mal an. Bei seiner Landtagskandidatur 2018 kam es zum offenen Streit darüber, ob der langjährige SPD-Landtagsabgeordnete Bernhard Roos oder Flisek für den begehrten Stimmkreis Passau-Ost antreten darf. Gewinner war Flisek. Nach dem Rücktritt von SPD-Bundeschefin Andrea Nahles nach der Europawahl dieses Jahr twitterte er: „12Prozent für die @spd! Und Nahles allein ist schuld?“ und forderte das Präsidium geschlossen zum Rücktritt auf. „Und die beiden Präsidiumsmitglieder der BayernSPD @NataschaKohnen und @j_uekermann sollten hierbei voranschreiten! Mit gutem Beispiel!“, legte Flisek nach. „Peinlich, lächerlich und eines Mandatsträgers nicht würdig“, wüteten daraufhin die Jusos. Quatsch, sagt Flisek. „Ich habe nie einen Rücktritt gefordert.“ Man solle bitte nicht auf den Shitstorm der Jusos reinfallen. Er will seine Aussage als „augenzwinkernde“ Aufforderung zu grundlegenden Veränderungen verstanden wissen. Es sei einfach nicht damit getan, in Bund und Land immer nur die Vorsitzenden auszutauschen.
Flisek spricht sich verstärkt für basisdemokratische Wahlverfahren aus. „In den Vorstand kommen immer dieselben üblichen Verdächtigen“, klagt er. Dabei gebe es in der SPD viele gute Leute, darunter Künstler oder Unternehmer. „Die könnten so viel bewirken, wenn man sie nur lassen würde“, stöhnt Flisek.
Wenn ihm der Ärger mit seiner Partei mal wider zu viel wird, entspannt sich Flisek am liebsten in den Bergen. Einer der großen Vorteile seines Wechsels von Berlin nach München – seine Leidenschaften sind Bergsteigen im Sommer, Skifahren im Winter. Außerdem kann er jetzt mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen: fünfjährigen Zwillingen. Auch wegen seiner Kinder ist ihm klargeworden, welch hohe Bedeutung politische Bildung für junge Menschen hat. „Das wird in unserem Bildungssystem momentan sträflich vernachlässigt“, kritisiert er. Flisek ist daher häufig in Schulen unterwegs oder lädt Schulklassen in den Landtag ein.
Seine Affinität zur Jugend geht aber nicht so weit, dass er sich Nachwuchspolitiker und Juso-Chef Kevin Kühnert an der Spitze der Bundes-SPD vorstellen mag. Dafür sei schon etwas mehr politische Erfahrung notwendig. „Politik“, sagt Flisek, „ist ein brutales Geschäft.“ (David Lohmann)
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