Mit dem Strom geschwommen ist Jürgen Baumgärtner (CSU) nur einmal – und das ist ihm nicht gut bekommen. Mit 16, 30 Jahre ist das nun her, war er tief verstrickt in die rechtsextreme Szene seines Heimatlandkreises Kronach. Viel will Baumgärtner über diese „für mich abgeschlossene Episode“ nicht mehr reden, zu oft hat er das später nach seinem Ausstieg vor Schulklassen oder gegenüber Medien schon getan. An Rudolf-Heß-Gedenkmärschen der Neonazis in Wunsiedel hatte er teilgenommen, ein führender Kopf der regionalen Szene soll er gewesen sein – mit allem, was so dazugehört.
Mit 16 Jahren tief verstrickt in der Neonazi-Szene
„Man kommt ganz langsam in die Szene hinein und verlässt sie genauso langsam wieder“, schildert Baumgärtner den Prozess. Von den damaligen Kameraden spricht er als „klassischer Jugendclique“ - nur eben stramm rechts. Um die 100 Leute seien es gewesen, ebenso viele wie auf der ganz linken Seite. „Ich kenne aus meiner Schulzeit keinen, der sich politisch interessiert hat und nirgendwo dabei war“, blickt Baumgärtner zurück. „Entweder man war rechtsextrem oder linksextrem – oder bei der Schüler-Union, aber das waren die wenigsten.“ Ein seltsames Biotop muss das damals im Frankenwald gewesen sein.
Mit Springer-Stiefeln, Glatze und Nazi-Parolen kann Baumgärtner heute rein gar nichts mehr anfangen. Doch er weiß, dass seine Teenager-Zeit ein „Malus ist, den ich mein Leben lang haben werde“. Dabei war er schon mit 18 zurück auf dem Pfad der Tugend. Da trat er in die Junge Union (JU) ein, im Jahr darauf in die CSU. Er leitete damals die katholische Jugend im Ort und ärgerte sich bei aller Sympathie für die Partei und ihr Programm darüber, dass ausgerechnet die CSU-Gemeinderäte ihm Veranstaltungen in der Sporthalle untersagten. Eine „jugendfeindliche Politik“ hätten die Räte seinerzeit gemacht, und er habe schnell verstanden: „Wenn man in der CSU etwas verändern will, dann macht man am besten mit!“ Bei der folgenden Kommunalwahl brachte er JU-Leute auf die CSU-Liste, die dann auch gewählt wurden. Die Zeit des Sporthallenverbots war damit vorbei. „Das war ein großer politischer Erfolg“, freut sich Baumgärtner noch heute fast diebisch.
Überhaupt nennt er seine Zeit bei der JU prägend für seine Zukunft. „Ich bin so eine richtige Basis-Sau, die sich durch alle Ämter nach oben gearbeitet hat.“ Diesen Weg könne er jungen Menschen nur wärmstens empfehlen. „Was ich bei der JU gelernt habe, ist für das berufliche Leben Gold wert“, sagt Baumgärtner, seit 2010 Chef der CSU im Frankenwald. Man lerne zu diskutieren, enttäuscht zu sein, Erfolge zu feiern, schaffe sich Netzwerke. Das gelte übrigens nicht nur für die JU. „Die Jugendorganisationen der demokratisch legitimierten Parteien sind eine gute Schule fürs Leben.“ Auch für das gegen den Strom schwimmen. „Es fällt mir schwer, den intellektuellen Größen einfach zu folgen“, betont er. „Man muss mich schon überzeugen.“
Aus dieser Haltung heraus hat es die CSU nicht immer leicht mit Baumgärtner. Er hätte sich zum Beispiel eine Koalition mit den Grünen gewünscht. „Das Ringen um die Sache bei unterschiedlichen Positionen bringt den größten Erfolg“, ist sich Baumgärtner sicher. Er habe eine Mitarbeiterin, die bei den Grünen sei. Mit ihr zu diskutieren, tue ihm gut. Mit den Freien Wählern dagegen sei das Regieren leicht, man sei sich sehr ähnlich. Sein Fazit: „Schwarz-Grün hätte dem Land mal gutgetan.“ Baumgärtner spricht sich für eine Frauenquote und die Amtszeitbegrenzung für alle Mandatsträger aus, er ist für einen dritten Nationalpark, den er gerne bei sich im Frankenwald hätte, er plädiert für weitreichende Maßnahmen gegen den Flächenverbrauch und eine echte Verkehrswende. Und er hat vergangenes Jahr als einziger aus der CSU gegen die Lockerung des Alpenschutzes am Riedberger Horn gestimmt. „Ich war dort, habe mir das angeschaut und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das keine gute Idee ist.“ Er sollte recht behalten, die ursprüngliche Schutzzone gilt jetzt wieder.
Außerdem ist Baumgärtner gegen Waffenexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dabei hat er nach der Ausbildung zum Großhandelskaufmann bei der Bundeswehr angeheuert und es dort bis zum Oberstleutnant gebracht. Für seine Abgeordnetenzeit im Landtag ist er seit 2013 als Berufsoffizier beurlaubt. Vorher war Baumgärtner unter anderem auf dem Balkan stationiert und hat die Auslandseinsätze aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt. Seine Erfahrung: „Es geht da nicht um Menschenrechte oder eine positive Entwicklung, es geht um knallharte Interessen.“ Anderes zu behaupten sei „geheuchelt und gelogen“. Statt Geld für Militäreinsätze auszugeben, plädiert Baumgärtner für mehr Entwicklungshilfe – auch wenn es dafür einen längeren Atem brauche.
Die CSU ist ihm manchmal zu angepasst
Nach der Wahl 2018 hat es Baumgärtner zum Fraktionssprecher für Bauen, Wohnen und Verkehr geschafft. Das Themenfeld beackere er durchaus mit Leidenschaft, sagt er – und mit nicht unbedingt CSU-konformen Ideen. Er schlägt zum Beispiel vor, die Verkehrsprobleme der Großstädte mit einer City-Maut für Autos, der massiven Ausweitung der ÖPNV-Kapazitäten und mehr Platz für Fahrräder zu lösen. Von Nachverdichtung und viel Wohnungsneubau in den Städten hält er nicht viel und sieht sich damit im Einklang mit den eingesessenen Bewohnern. Baumgärtner will stattdessen die ländlichen Räume noch attraktiver machen. „Gewähren wir doch zum Beispiel den Unternehmen in Oberfranken 20 Jahre Steuerfreiheit. Das hilft der Region und führt durch Firmenumsiedlungen zu einer Entlastung der Ballungsräume“, denkt Baumgärtner in großen Linien.
„Ich will innovativ debattieren“, rechtfertigt er sich. Die Gegenliebe in den eigenen Reihen ist da zu seinem Leidwesen eher begrenzt. „Meine Vorschläge einfach zu verwerfen, aber keine besseren zu liefern – das regt mich auf“, echauffiert er sich. Auf die Frage, ob ihm die CSU manchmal zu angepasst sei, zögert Baumgärtner mit der Antwort. Schließlich sagt er: „Ja, das würde ich so unterschreiben.“ Trotzdem fühlt er sich nicht auf dem falschen Kahn. „Die CSU war bei meinem Eintritt die richtige Partei für mich, und sie ist es auch noch heute!“ Nur in „ausgewählten Fällen“ wie dem Riedberger Horn folge er der Fraktionsdisziplin nicht, ansonsten erkenne er bei abweichender Meinung den Mehrheitswillen an. Dass der neue CSU-Chef Markus Söder die Partei weiter öffnet, lobt Baumgärtner ausdrücklich.
So offen er seine politischen Ansichten kommuniziert, so zurückhaltend ist Baumgärtner bei privaten Fragen. Aus einer früheren Beziehung hat er einen fast erwachsenen Sohn, seit Kurzem lebt er mit der Kulmbacher CSU-Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner zusammen, die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Daraus, wie zwei Berufspolitiker ihr Familienleben organisieren, macht Baumgärtner kein großes Aufheben. „Selbstständige oder Schichtarbeiter haben es auch nicht leichter“, sagt er. Alles eine Frage des Willens und der Organisation. Auf dem CSU-Parteitag im Januar war die junge Familie mit Kinderwagen und Kuscheltieren unterwegs – wohl eine Sonderform der Work-Life-Balance.
(Jürgen Umlauft)
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