Als Agitator einer Wut-Demo, Bierzeltredner oder Social-Media-Polterer kann man sich Stefan Frühbeißer (55) nicht vorstellen. Der oberfränkische Freie- Wähler-Abgeordnete und Ex-Bürgermeister der 5400-Einwohner-Gemeinde Pottenstein ist durchdrungen von Sachlichkeit und Pragmatismus. Selbst auf Instagram arbeitet er sich an Inhalten ab – und auf X, Mekka der zugespitzten Botschaften und Hubert Aiwangers Lieblingsplattform, findet man ihn gar nicht.
In der Tat ist Frühbeißer das Gegenstück zum Freie-Wähler-Frontmann und Chef-Polarisierer Aiwanger. Selbst bei Reizthemen wie Migration, Energieversorgung oder Bürgergeld rutscht ihm kein unbedachtes Wort raus. Inhaltlich liegt er mit Aiwanger jedoch durchweg auf einer Linie, er verpackt es bloß anders. Gelegentlich, so Frühbeißer, sei ihm auch schon vorgeworfen worden, zu viel Gelassenheit an den Tag zu legen. Er sagt: „Ich habe gute Nerven.“ Und dass er sich als „Praktiker“ sieht.
Ob er im Polit-Alltag schon mal die Contenance verloren hat? Da muss Frühbeißer lang überlegen. „Ja, einmal“, entsinnt er sich endlich. Da sei er laut geworden, im Gemeinderat, weil einige sich ziemlich unfair verhalten hätten.
Eine Karriere in der Politik war nicht vorgesehen
Dass er mal in der Politik landet, war nicht geplant. Der aus Oberfranken stammende Frühbeißer absolvierte nach Abitur und Bundeswehr eine Verwaltungsausbildung bei der Stadt Pottenstein, sattelte später eine berufsbegleitende Fortbildung zum Verwaltungsfachwirt drauf. Insgesamt zwölf Jahre war er in Verwaltungen tätig, erst in Pottenstein, später beim Bezirk Oberfranken.
Als im Jahr 2002 die Kommunalwahl anstand, sei man auf ihn zugekommen, erzählt Frühbeißer. Ob er nicht kandidieren wolle, als Bürgermeister von Pottenstein. Er wollte. Politisch war der damals 32-Jährige ein unbeschriebenes Blatt, er gehörte keiner Partei an, saß in keinem Gemeinderat. Er kandidierte dann für die christliche Wählerunion und stach fünf Mitbewerber aus. In der Stichwahl obsiegte er gegen den Amtsinhaber von der CSU. Den Freien Wählern trat er 2008 bei. Insgesamt amtierte Frühbeißer 21 Jahre als Gemeindeoberhaupt, bis zu seiner Wahl in den Landtag im Herbst 2023.
Bei der ersten Bürgermeisterwahl war er junger Vater, seine Tochter ist heute 24. Viel Zeit für die Familie blieb, wie bei Politikern üblich, nicht. Überfordert habe er sich dennoch nie gefühlt. „Work-Life-Balance spielt für mich keine Rolle“, sagt der FW-Politiker. Auf die Frage, ob er als Bürgermeister jemals seinen Jahresurlaub komplett genommen habe, reagiert er fast empört: „Natürlich nicht!“ Rund die Hälfte der jährlich 30 Urlaubstage sei stets verfallen. Erstens war viel zu tun. Und zweitens habe er Freude an seinem Job gehabt. „Ich arbeite gern.“
Laut seinen Schilderungen hat er die Gemeinde auf Vordermann gebracht – mit Blick auf Finanzen und Infrastruktur. Pottenstein sei „eine Problemgemeinde“ gewesen, erzählt der Ex-Bürgermeister: mit immensen Schulden und großem Investitionsstau. Er hält sich zugute, den Haushalt seiner Gemeinde saniert zu haben. „Jetzt hat man dort mehr Rücklagen als Schulden“, frohlockt Frühbeißer.
Work-Life-Balance? „Spielt für mich keine Rolle“
Zudem stattete er die oberfränkische Kommune fast komplett mit Glasfaseranschlüssen aus – kostenfrei für die Bürger*innen.
Nach über 20 Jahren als Gemeindeoberhaupt war Frühbeißer bereit für eine neue Herausforderung. Er sagte deshalb gern Ja, als er von Vertrauten in Oberfranken gefragt wurde, ob er bereit sei, für den Landtag zu kandidieren. Sein Wunschgremium war der Kommunalausschuss. Das hat nicht geklappt. Stattdessen sitzt er nun im Haushaltsausschuss. Im Nachhinein sieht er das als „Glücksfall“. Er erkannte, dass in diesem Gremium die Weichen für die gesamte Politik gestellt werden – hier wird das Geld verteilt. Zudem ist das kollegiale Miteinander im Haushaltsausschuss in der Regel besser als in anderen Ausschüssen. Und es wird sachlicher diskutiert.
Was ihn als Haushaltspolitiker umtreibt: das große Gefälle bei der Finanzkraft der Kommunen. Hier seien Reformen nötig, fordert Frühbeißer. Er verweist darauf, dass es sehr reiche Kommunen gebe, „die im Geld schwimmen und nicht sparen“, und andere, „die aufgrund ihrer Lage nicht die Chance haben, groß Gewerbe anzusiedeln“. Abhilfe schaffen will er über Reformen bei der Dorferneuerung und beim kommunalen Finanzausgleich.
"Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt"
Ganz allgemein, findet er, sei bei der Haushaltspolitik in Bayern wie anderswo viel schiefgelaufen: „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“ Bis zum Jahr 2020 habe die öffentliche Hand zu viel Geld ausgegeben, „auf allen Ebenen“. Man habe „überzogene Standards entwickelt“; die müssten nun zurückgedreht werden.
Frühbeißer macht auch gleich klar, wo er Handlungsbedarf sieht: bei Migration und Sozialleistungen. „Das Bürgergeld gehört in der jetzigen Form abgeschafft“, erklärt er. Die Zuwanderung wiederum will er deutlich beschränken. Zum Beispiel dadurch, dass die seit 1993 geltende Drittstaatenregelung tatsächlich angewendet wird. Diese besagt, dass Personen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, in Deutschland kein Asylrecht besitzen.
Auch wegen solcher Forderungen wird den Freien Wählern oft Rechtspopulismus vorgeworfen. Frühbeißer nimmt das hin, weil er das Geforderte für richtig hält. Die Bevölkerungsmehrheit hat er damit eh auf seiner Seite, wie Umfragen belegen.
In seiner Freizeit widmet sich der bodenständige Frühbeißer gern Handwerklichem: Er schnitzt, schreinert und malt – Aquarelle, Kreidezeichnungen oder Ölgemälde. Zeitaufwendig ist daneben die Bewirtschaftung seines 5 Hektar großen Waldes. Er erledigt das tatsächlich selbst. Schließlich sei das ja schön, betont er, „in der Natur zu sein“. (Waltraud Taschner)
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