Bei manchen Politikern gibt es dieses eine Erlebnis, das der Grund dafür ist, dass sie in die Politik gegangen sind. Für Ludwig Hartmann war es eine spontane Demonstration vor dem bayerischen Innenministerium. Extra war er Mitte der 1990er-Jahre mit Freunden aus Landsberg nach München gefahren. „Ein Zeichen“ wollte der damals 14- oder 15-Jährige setzen. Denn damals verschärfte sich die Abschiebepraxis gegen im Freistaat lebende Kurden massiv. Viele mussten zwangsweise zurück in die schon damals alles andere als rechtsstaatliche Türkei. Hartmann wollte das nicht mehr hinnehmen. Das kleine Häuflein junger Menschen versammelte sich deshalb in der Innenstadt. „Dummerweise wussten wir nicht, dass wir eine Kundgebung anmelden müssen“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Und das kam bei der Staatsgewalt nicht gut an – Hartmann wurde zu 16 Sozialstunden verdonnert.
Das Erlebte machte den Schüler sauer. „Da dachte ich: Es reicht – du musst etwas verändern.“ Kurz darauf trat er bei der Grünen Jugend ein. Rasch machte er dort Karriere, 1999 wurde er deren Landesvorsitzender. 2002 zog er in den Landsberger Stadtrat ein. Bereits seine inzwischen verstorbene Mutter prägte die örtlichen Grünen. Vater und Bruder sitzen dort noch immer im Stadtrat, und seine Tante Ruth Paulig war einst sogar selbst Fraktionschefin im Landtag. Dieser familiäre Background dürfte ihm den Einstieg in die Politik erleichtert haben. Doch selbst politische Gegner sagen, dass es vor allem Hartmanns Fleiß und große fachliche Expertise in diversen Themen wie dem Energiebereich waren, die seinen Aufstieg beflügelten.
Nach dem Studium arbeitete er als selbstständiger Kommunikationsdesigner, bevor Hartmann 2008 in den Landtag einzog. 2012 wäre er mit Mitte 30 beinahe Landsberger Oberbürgermeister geworden, scheiterte mit fast 49 Prozent jedoch knapp in der Stichwahl. Im Maximilianeum fungierte er zunächst als energiepolitischer Sprecher, bevor er 2013 einer von zwei Fraktionschefs wurde. Wer mit ihm etwa über Zahlen im Energiebereich spricht, glaubt, eine wandelnde Brockhaus-Enzyklopädie vor sich zu haben. Kollegen loben seine in der Regel betont sachliche Art.
Auch bei äußerst emotionalen Grünen-Themen wie Umweltzerstörung verzichtet er auf persönliche Attacken. „Man lernt in der Kommunalpolitik den Respekt vor der Meinung des anderen“, sagt der Vater eines dreijährigen Sohns. Schließlich sei es ja gut möglich, „dass du den Kontrahenten am nächsten Morgen beim Bäcker triffst“. Mittlerweile ist er in die anonymere Landeshauptstadt gezogen und holte im Oktober mit satten 44 Prozent das Direktmandat in München-Mitte.
Gäste empfängt er gern in einem Besprechungsraum – sein Büro hat vielleicht gut zehn Quadratmeter. Er teilt es sich mit zwei Mitarbeitern. An einer Wand hängt ein Foto seines größten politischen Triumphs. Ganz wie ein Rockstar ließ er sich bei der Wahlparty von den Grünen-Anhängern auf Händen über die Menge tragen. Mit 17,6 Prozent wurden die Grünen mit ihm und Katharina Schulze als Spitzenduo zweitstärkste Kraft bei der Landtagswahl. Die Partei verdoppelte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2013.
Gemeinsam Wandern: Söder hat noch nicht zugesagt
Aber Hartmann weiß, dass die grüne Welle auch wieder abebben könnte. Auch nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima schnellten die Umfrage- und Wahlergebnisse der Partei nach oben – und sackten einige Zeit später wieder ab. Doch der aktuelle Boom sei damit nicht vergleichbar. „Diesmal haben wir mit bayerischen Themen gepunktet.“
In der Regierung sitzen die Grünen jedenfalls nicht. Hartmann, ein langjähriger Befürworter von Schwarz-Grün, sagt, an ihm sei eine Koalition nicht gescheitert. Die CSU habe sich damals bei der Umweltpolitik keinen Zentimeter angenähert. Nun also führt er die Opposition. Bald will Hartmann in ein Büro gegenüber von Fraktions-Co-Chefin Schulze ziehen. „Die Spitze muss harmonieren, damit es läuft.“ Das zeige gerade der Lauf der Bundes-Grünen. Größer werde das neue Büro nicht sein. Doch die Enge passt ohnehin zu einem seiner bislang wichtigsten politischen Projekte: Hartmann war Initiator des Volksbegehrens gegen den Flächenfraß. Politologen sahen darin eine wesentliche Ursache für den Wahlerfolg der Grünen. Auch der Fraktionschef ist sicher: „Das hat einige Prozente ausgemacht. Man hat bei Besuchen auf dem Land gemerkt, wie das Thema viele Konservative bewegt.“ Das Volksbegehren selbst scheiterte vor dem Verfassungsgerichtshof. „Wir werden aber nicht lockerlassen“, sagt Hartmann.
Gerade versucht Hartmann Ministerpräsident Markus Söder erneut beim Thema Umweltpolitik zu piesacken. Eigentlich war das Volksbegehren für Artenschutz und gegen Bienensterben die Idee der ÖDP. Doch blickt man auf die vielen Grünen-Plakate, die überall im Freistaat dafür werben, bekommt man den Eindruck, der große Bruder habe das Begehren gekapert. Aber wie soll sich die alleinerziehende Krankenschwester noch ihre Lebensmittel leisten, wenn diese dann zwar ohne Pestizide angebaut werden – am Ende jedoch womöglich deutlich teurer werden? Natürlich müssten die Grünen auch die soziale Frage im Auge haben, sagt Hartmann. „Ich will, dass die Sozial- und die Umweltpolitik bei uns gleichrangige Politikfelder werden.“
Sein Privatleben? Details behält er lieber für sich
Über sein Privatleben verrät er nur wenig. „Privat heißt ja auch privat.“ Er fährt gerne Zug oder Bus – wo nichts geht oder es besonders schnell gehen muss, auch Taxi oder Mietwagen. „Die Zeit des Autos als Statussymbol ist vorüber.“ Zwei seiner Hobbies sind spätestens seit dem Wahlduell mit CSU-Mann Söder bekannt: Skitouren und Wandern. „Wenn es in meiner Kindheit hieß, es geht in den Süden, war damit meist das Karwendelgebirge gemeint“, erinnert er sich. Wann er nun wie im TV-Duell vereinbart mit dem Regierungschef wandern geht? Ein fränkischer CSU-Landrat habe mittlerweile beide eingeladen, sagt Hartmann und ergänzt: „Ich habe schon zugesagt.“ Doch Söder habe bislang nichts von sich hören lassen. (Tobias Lill)
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