Eigentlich begann alles ganz harmlos in jenem April 2018. Seekrank habe er sich gefühlt, erinnert sich der CSU-Landtagsabgeordnete Jochen Kohler. Wegen eines wichtigen Auswärtsspiels war der leidenschaftliche Fan des FC Nürnberg in Kiel unterwegs, machte eine Rundfahrt durch den Hafen. Kein Wunder – bei einer Bootsfahrt wird jedem einmal schwindlig und übel, dachte er zuerst. Doch als sich sein Zustand verschlimmerte, brachte ihn ein Rettungswagen in die Klinik. Dort teilte ihm ein Arzt die schreckliche Diagnose mit: Multiple Sklerose (MS). Von einem Tag auf den anderen änderte sich sein Leben.
Zu diesem Zeitpunkt stand der damals 43-Jährige kurz vor dem Beginn seines Landtagswahlkampfs. Doch ans Plakatieren oder das Ansprechen von Menschen in der Fußgängerzone war erst einmal nicht zu denken. Denn die chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems schritt rasant voran. Bereits nach einiger Zeit konnte er sein linkes Bein kaum mehr bewegen, hatte ein Taubheitsgefühl in den Armen. Und auch das Gedächtnis litt massiv. „Ich konnte mich plötzlich nicht einmal mehr erinnern, wie ich mein iPhone entsperre“, sagt Kohler. Er habe sich hilflos gefühlt. Er musste Kortison und andere Medikamente einnehmen.
Erst im September konnte er in seinem Wahlkreis Nürnberg-West auf Stimmenfang für die CSU gehen. Im Oktober 2018 zog er dann als Neuling ins Maximilianeum ein. Trotz seiner ausgesetzten Kampagne kam der Bauingenieur auf ein Drittel der Stimmen – so viele, wie die Kandidaten von SPD und Grünen zusammen. In der lange Zeit roten Frankenmetropole angesichts heftiger bayernweiter Verluste für die Christsozialen ein achtbares Ergebnis.
Weil die Arzneien rasch anschlugen, besserte sich Kohlers Zustand in der Folge zunehmend. Im vergangenen Jahr konnte er sein Mandat ganz normal wahrnehmen, war „nah am Bürger“, wie er sagt.
Der frühere Baureferendar der Stadt Nürnberg sitzt im Sozial- sowie im Bauausschuss des Landtags. Dort trieb er insbesondere den staatlichen Wohnungsbau voran. Dringend nötig: Denn im Freistaat war der Anteil der Wohnungen im Besitz der öffentlichen Hand in den vergangenen drei Jahrzehnten spürbar zurückgegangen – vor allem das Angebot an Sozialwohnungen ist rasant geschrumpft. „Da wurden früher vielleicht Fehler gemacht. Aber hier sind wir unter Ministerpräsident Markus Söder auf einem sehr guten Kurs“, glaubt Kohler.
Tatsächlich ist die Zahl der Sozialwohnungen im Freistaat entgegen dem Bundestrend zuletzt erstmals wieder gestiegen. Kohler sagt: „In den Städten müssen wir in die Höhe bauen.“
Beim öffentlichen Personennahverkehr sieht er vor allem beim Bau neuer U-Bahnen noch erhebliches Potenzial. Als einer von ganz wenigen Politikern auf Landes- und Bundesebene verfügt er über praktische Fachexpertise im Baubereich.
Im Landtag hat er einen FCN-Stammtisch initiiert – für die Zeit nach Corona
Auch für die Schwachen setzt sich Jochen Kohler ein. Er ist in seiner Fraktion Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Inklusion. Zuletzt machte er sich anlehnend an das Blindengeld für ein bayerisches Gehörlosengeld stark. In einigen anderen Bundesländern gibt es diese Unterstützung für Schwerbehinderte bereits. Doch seit März muss er wie alle anderen Landtagsabgeordneten wieder kürzertreten. Wegen der Ansteckungsgefahr des Coronavirus arbeiten die Landtagsgremien mit Rumpfbesetzungen, und Kohler bleibt daheim in Nürnberg.
Dafür, dass er im Moment nicht nach München pendelt, gibt es gute Gründe: Der Franke gehört zur Hochrisikogruppe. Die Infusionen, die er gegen die MS braucht, fahren das Immunsystem herunter. Würde er sich anstecken, wäre das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs enorm. Viele Menschen mit Vorerkrankungen – darunter auch jüngere – starben bereits an Covid-19. Angst habe er zwar nicht, versichert Kohler: „Doch natürlich bin ich vorsichtiger.“ Normalerweise macht Kohler viele Einkäufe selbst. Im Moment muss das jedoch seine Frau erledigen. Für unvermeidbare Termine geht er aber aus dem Haus. Etwa, wenn er seine siebenjährige Tochter zum Arzt bringen muss.
Über das Krisenmanagement von Markus Söder, der einst Kohlers Wahlkreis innehatte, äußert sich Kohler lobend. „Er handelt schnell und überlegt, und genau das braucht Bayern derzeit.“ Viele Menschen seien einsichtig, hielten nun räumliche Distanz – doch eben nicht jeder. Wenn Kohler liest, wie rücksichtslos eine kleine Zahl an Menschen derzeit agiert, ist er fassungslos. „Dass es so etwas wie Corona-Partys geben soll, ist einfach nur furchtbar“, sagt der Franke. Jeder müsse nun Rücksicht auf die Älteren nehmen.
Kohler hat diverse Ehrenämter inne – so ist der Angler und Auto-Fan seit fast zwei Jahrzehnten Mitglied im Vorstand des Motorsportclubs Nürnberg. Er half auch regelmäßig bei der Organisation des in Europa wohl einzigen legalen Stadtrennens außerhalb von Monaco mit. Beim „fränkischen Monte Carlo“ fahren die Rennwagen auf dem Norisring, einem 2,3 Kilometer langen Stadtparcours, auf dem ansonsten ganz normaler Autoverkehr herrscht. Doch Corona hat alles verändert. An ein solches Spektakel ist in Zeiten, da fast alles stillsteht, nicht zu denken.
Auch ein anderes Projekt Kohlers liegt erst einmal auf Eis. Neben einem 1860-Stammtisch für Landtagsabgeordnete soll es bald auch einen für die FCN-Fans geben. Club-Fan Söder soll dann ein Trikot mit der Nummer eins bekommen – wann auch immer das sein wird. (Tobias Lill)
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