Landtag

Uli Henkel gilt in der AfD als „der Superliberale“. (Foto: loh)

05.04.2019

Der Widersprüchliche

Im Porträt: Uli Henkel (AfD)

Der AfD-Abgeordnete Uli Henkel aus München sitzt hinter seinem Schreibtisch in seinem Landtagsbüro. Noch bevor die erste Frage gestellt wird, gerät er ins Schwärmen: Wie freundlich er im Landtag empfangen worden sei. Wie unfassbar gut die Beamten der Staatsregierung ihre Arbeit verständen. Und wie engagiert und versiert die Abgeordneten der anderen Fraktionen seien, um gute Politik für die Bürger Bayerns zu machen – auch wenn natürlich nicht jeder Vorschlag mit seiner Meinung kompatibel sei.

Gehört Henkel nicht der Partei an, die das Gebaren der Altparteien bekämpfen will? Der 65-Jährige will kein Rechtspopulist sein, sondern „inländerfreundliche Politik ohne Hetze“ machen. Doch er spricht ständig von „Masseneinwanderung“ und davon, wie Deutschland fremde Kulturen „hofiert“. Und dann war da noch die Sache mit dem Verfassungsschutz. Wer ist dieser Mann?

Henkel ist 1954 in Dortmund geboren. Als sein Vater starb, zog er mit Mutter und Schwester zu den Großeltern nach München. Da war er drei Jahre alt, an den Vater hat er keine Erinnerung. Die Schule fiel ihm nicht leicht – Mädchen und Musik waren interessanter. Seine Haare damals: schulterlang. Jede freie Minute verbrachte er an der Isar. Latein hätte ihm beinahe das Genick gebrochen. Dennoch schaffte er sein Abitur und studierte nach seiner Zeit bei der Bundeswehr internationales Recht. Damit wollte er die Welt gerechter machen. „Naiv“, sagt er rückblickend. Henkel bekam Waisenrente und Bafög, ein Grund mehr für ihn, sich hochzuarbeiten: Er wollte dem Land etwas zurückgeben. Er wurde Geschäftsführer und Vorstand einer Firma in der Immobilienbranche, später selbstständiger Unternehmensberater. Mit 40 Jahren heiratete er, mit 50 wurde er zum ersten Mal Vater. In die Politik zu gehen, war für ihn damals keine Option. Das änderte sich erst mit 60.

Der Verfassungsschutz beobachtete ihn bis Januar

Bis 2015 war Henkel Merkel-Fan. Dann kam die Flüchtlingskrise, und die Kanzlerin traf in seinen Augen eine Fehlentscheidung. Die Grenzen zu öffnen beziehungsweise die Grenzöffnung nicht zu verhindern, dafür habe sie kein Mandat gehabt. Die Flüchtlinge werden wir nie mehr los, dachte er sich. Das war der Moment, in dem er begann, sich politisch zu engagieren.

Henkel ging inkognito auf CSU-Veranstaltungen, um mit den Menschen zu sprechen. Und hatte das Gefühl: Es gibt ein Vakuum rechts der CSU. Dass CSU und CDU seit dem Erstarken der AfD die rechte Flanke zu schließen versucht haben, erkennt er nicht. „Fake“, sagt er. „Die CSU hätte alle Möglichkeiten gehabt, die große Koalition zu verlassen und das Drama in Berlin vorzeitig zu beenden.“ Im Landtag will er jetzt Politik für Deutsche machen. Gleichzeitig fordert er, Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen – auch wenn dies für die Wirtschaft nachteilig ist.

So richtig zu fassen ist dieser Mann nicht. Das gilt auch für sein Video Aus Wut wird Gewalt! ‚Flüchtlinge’ werden sich bald nehmen, was sie wollen, Uli Henkel AfD sorgt sich. Die Aussagen darin über afrikanische Flüchtlinge wertete der bayerische Verfassungsschutz als extremistisch und zum Hass motivierend – und überwachte ihn. Ausgerechnet den „Superliberalen“, spotteten die Kollegen. Einerseits bezeichnet er die Aktion rückblickend als politisch motiviert. „Ich hatte wirklich immer gedacht, der Verfassungsschutz kümmere sich um Verfassungsfeinde, nicht aber um Leute, die die Migrationspolitik der Regierung kritisieren“, schimpft er. Die Behörde solle bei Gericht und nicht bei der Staatsregierung angesiedelt sein.

Andererseits entschuldigt er sich für das Video. Er habe sich „vergaloppiert“: „Das Video würde ich heute so nicht mehr veröffentlichen.“ Henkel zog seine Kandidatur zum Landtagsvizepräsidenten zurück. „Mir war sofort klar, dass die anderen Abgeordneten mich nach der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht mehr wählen konnten.“ Zum Jahresbeginn wurde die Beobachtung eingestellt. Für Mandatsträger gelten höhere Hürden. Seit dem Vorfall lässt er seine Frau, eine Laborassistentin, seinen 14-jährigen Sohn und Kollegen vorher seine Redemanuskripte gegenlesen.

Auch innerhalb der Fraktion eckt Henkel an. Als die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, bei einer Gedenkveranstaltung im Landtag die AfD kritisierte, verließen die meisten AfD-Abgeordneten den Plenarsaal. Henkel blieb sitzen. Viele nahmen ihm das übel. Auch das Netz tobte: Wirst Du jetzt Teil des Systems? Henkel argumentiert, er habe ein freies Mandat und sei in solchen Momenten nur seinen städtischen Wählern verpflichtet. Und die hätten eben andere Erwartungen an ihn als ländliche AfD-Wähler. Wenn seine Fraktionskollegen im Landtag zum Beispiel von Bayern als „multiethnischer Besiedlungszone“ sprechen oder von der Landtagspräsidentin Rügen erhalten, übt Henkel intern Manöverkritik: Sind wir übers Ziel hinausgeschossen? Andererseits sagt er: Man muss als Oppositionspartei eben lauter klappern. Beim aktuellen Richtungsstreit in der Fraktion hält er sich bedeckt. Die AfD sei noch in der „Findungsphase“. „Aber darin liegt ja auch die Chance, erkannte Fehler noch zu korrigieren, die Reset-Taste zu drücken und es dann besser zu machen.“

Seine Frau und sein Sohn sind oft anderer Meinung

Was Henkel als medienpolitischem Sprecher der AfD ein Anliegen ist: natürlich der Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Abschaffen will er ihn nicht. Aber „deutlich abspecken“. Berichterstattung und Meinungskommentar müssten wieder unterscheidbar sein. Gleichzeitig will er Zustände wie in Italien oder den USA, die von wenigen großen Medienkonzernen dominiert werden, vermeiden. Wie das mit einem geschwächten öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelingen soll? Er antwortet: „Wenn man in der Opposition ist, muss man auch Dinge fordern, die nicht sofort voll umsetzbar sind.“

Privat erstaunt Henkel mit seinem größten Hobby: fremde Kulturen kennenlernen. Mit einem zum autarken Reisen umgebauten Lastwagen fährt er regelmäßig mit seiner Familie nach Russland, in die Türkei oder nach Portugal. Bis zu seinem Lebensende möchte er 50 Prozent aller Länder dieser Welt bereist haben. Bereits mit 15 Jahren trampte er das erste Mal durch Europa. Auf seinen Reisen lernte er viele Menschen kennen – auch aus muslimischen Ländern. Die kommen den AfD-Abgeordneten bis heute besuchen. Für ihn ist das kein Widerspruch: „Wer mir nicht seine Lebensweise aufs Auge drücken will, seine Götter nicht über meine stellt und Integration als Bringschuld anerkennt, der ist für mich kein Ausländer.“ Das gelte auch für seine ausländischen Nachbarn.

Selbst Henkels Familie versteht seine Einstellung nicht immer. „Meine Frau hat ganz natürlich zu einzelnen Punkten regelmäßig auch eine dezidiert andere Meinung als ich“, sagt er. Und sein Sohn sei für die Fridays-for-Future-Demonstrationen und das Bienensterben-Volksbegehren – beides rote Tücher für die AfD. Henkel will aber weiterhin eine offene Diskussionsbasis am Familientisch zulassen. „Sonst wählt mein Sohn nachher noch aus Protest heraus die Grünen.“ (David Lohmann)

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