Mit seinen 62 Jahren hat Karl Freller diesen Sommer die Jungen in der CSU ziemlich alt aussehen lassen. Er hat für den Landtagswahlkampf als Direktkandidat in Schwabach einen Werbespot fürs Kino gedreht, den als pfiffig zu beschreiben stark untertrieben wäre. In der Währung der Youtube-Nutzer, den Klicks, ist das Werk für ein Stück aus der Politik mit inzwischen fast 40 000 Aufrufen ein echter Renner. Der 90-Sekünder ist nun sogar für einen Kurzfilm-Award in Berlin nominiert. Der charmant selbstironische Clip hatte wohl auch seinen Anteil daran, dass Freller bei der Landtagswahl die geringsten Stimmenverluste aller CSU-Kandidaten in Bayern erlitten hat.
Dabei kommt der heutige Landtagsvizepräsident Freller aus einer anderen und vor allem analogen Zeit. Als er 1982 zum ersten Mal in den Landtag einzog, war Deutschland geteilt, Franz Josef Strauß Ministerpräsident und das Internet noch gar nicht erfunden. Als 26-Jähriger war Freller damals der mit Abstand jüngste Abgeordnete. Es sollte bis zu diesem Herbst dauern, dass ein noch Jüngerer in den Landtag gewählt wurde.
Freller muss schmunzeln, wenn er an seine Anfänge als Abgeordneter zurückdenkt. Es war eine Zeit klar strukturierter Hierarchien, es galt das „Prinzip der Anciennität“, wie er sich erinnert. Zu deutsch: den Vorrang der Älteren. „Als Neuling musste man acht Jahre warten, bis man mal ‘Hier!’ rufen durfte“, erzählt Freller. Blitzkarrieren wie heute, die einen Anfang 30 oder ohne Parlamentserfahrung ins Kabinett spülen, seien damals undenkbar gewesen. Für den jungen „Charlie“ aus Schwabach hieß das, sich langsam über den jugend- und später den bildungspolitischen Sprecher der CSU-Fraktion nach oben zu dienen.
Nach 16 Jahren im Parlament – Freller war erst 42 – kam dann der große Sprung. Ministerpräsident Edmund Stoiber berief ihn zum Kultusstaatssekretär. Als früherer Religionslehrer kam Freller vom Fach. Mit seiner aufgeschlossenen und unprätentiösen Art erwarb er sich schnell Ansehen, doch der Ministersessel blieb ihm verwehrt. „Ich hätte den Kultusminister gerne gemacht und mir auch zugetraut“, sagt Freller im Rückblick mit Bedauern in der Stimme. Doch als seine damalige Chefin Monika Hohlmeier 2005 gehen musste, rückte – dem parteiinternen Machtgefüge geschuldet – Oberbayerns CSU-Chef Siegfried Schneider nach.
Seine Chance sah Freller 2007 mit dem Wechsel von Stoiber zu Günther Beckstein gekommen. Doch dann wurde er Opfer des Regionalproporzes. Weil Beckstein damals Markus Söder zum Europa- und Joachim Herrmann zum Innenminister machte, war für ihn als vierten Mittelfranken im Kabinett kein Platz mehr. Aus den Medien musste Freller von seiner Demission erfahren. „Das war für mich bitter, das muss ich ehrlich zugeben“, räumt er heute offen ein. Die CSU-Fraktion habe ihn damals aufgefangen und zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Eine Fügung des Schicksals wollte es, dass sich Freller schon wenige Wochen später eine ganz andere Tür öffnete. Der plötzliche Tod des damaligen Direktors der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Andreas Heldrich, führte Freller zu einer leidenschaftlichen Mission. Als Nachfolger Heldrichs machte er es sich zur Aufgabe, nicht nur die baulich und didaktisch vernachlässigten Gedenkstätten in den ehemaligen Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg aus ihrem Schattendasein zu holen, aus Freller wurde auch ein engagierter Kämpfer wider das Vergessen und den Antisemitismus.
In die Tagespolitik will sich Freller nicht mehr groß einmischen
Die Wurzeln dieses Engagements reichen in seine Zeit als junger Religionslehrer zurück. Mit seiner Klasse besuchte er das ehemalige KZ Flossenbürg. „Ich war damals frustriert über den Erhaltungszustand der Gedenkstätte“, schildert Freller. Als er wenige Jahre später im Bildungsausschuss des Landtags mit der Thematik konfrontiert wurde, sah er die Chance gekommen, etwas zu verändern. Er arbeitete an einem Konzept, das er als Kultusstaatssekretär weiterverfolgte. Der Wechsel an die Spitze der Gedenkstättenstiftung war da nur folgerichtig. „Das Thema Gedenkstätten und Erinnerungsarbeit lässt mich bis zum heutigen Tag nicht los“, sagt Freller. Die Freundschaften mit Überlebenden des Holocaust und ihre bewegenden Geschichten seien nach wie vor Antrieb.
Mit umso größerer Sorge sieht er nun, dass die rechtspopulistische AfD in den Landtag eingezogen ist. „Wer Zitate und Lebensläufe von etlichen Führungskräften der AfD gelesen hat, dem schaudert schon“, offenbart Freller. Der größere Teil dieser Leute „scheint doch sehr gefährdet zu sein, vom rechtsextremen Denken bestimmt zu werden“. Er versteht deshalb, warum eine Mehrheit der Landtagsabgeordneten einige AfD-Kandidaten nicht in Parlamentsämter gewählt haben, die der Partei nach dem Proporz eigentlich zustünden. „Man kann niemanden zwingen, einen Kandidaten der AfD zu wählen“, hält Freller ein kurzes Plädoyer für die freie Gewissensentscheidung eines jeden Abgeordneten.
Als Landtagsvizepräsident will er darauf achten, dass der Betrieb im Hohen Haus korrekt läuft und auch die Umgangsformen nicht leiden. „Im Tagesgeschäft sollten wir mit der AfD einen ganz normalen Umgang pflegen und nicht grußlos aneinander vorbeigehen“, erklärt Freller. „Aber in der Sache muss man hart bleiben.“ Er werde „nichts durchgehen lassen, was für den demokratischen Rechtsstaat ein No-Go ist“ – sowohl bei der Wortwahl wie im Verhalten. Auch das ordne er unter die generelle Forderung nach dem „Nie wieder!“ ein, die Endphase der Weimarer Republik solle da Mahnung genug sein.
In die Tagespolitik will sich Freller nicht mehr groß einmischen. Auch wenn es ihn gerade aktuell mit Genugtuung erfüllt, dass das Konzept für das neue neunjährige Gymnasium viele Elemente enthält, die er vor gut einem Jahr in die Debatte eingespeist hatte, um die ideologisch verhärteten Fronten vor allem in seiner CSU aufzulösen. Im Grunde aber sieht er seine Karriere als Schulpolitiker seit dem Ausscheiden aus dem Amt des Kultusstaatssekretärs als beendet an. „Wer einmal Weihbischof war, sollte nicht mehr den Ministranten machen“, lautet Frellers Devise. Was aber nicht ausschließt, den jungen Hasen noch ab und an zu zeigen, was eine Harke ist.
(Jürgen Umlauft)
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