Wer Politiker*innen für abgehoben, egomanisch und feige hält, sollte öfter mit Leuten wie Martina Gießübel reden. Die 53-jährige CSU-Abgeordnete aus Schweinfurt verkörpert ziemlich genau das Gegenteil dessen, was politikverdrossene Menschen an der politischen Kaste, bisweilen leider zu Recht, nervt. Von diplomatischem Geschwurbel und weitschweifigem Einerseits-Andererseits hält die frühere Personalratsvorsitzende wenig, von klaren Ansagen dagegen viel.
In der Politik kommt das meist gut an, jedenfalls beim Wahlvolk. Es kann aber auch riskant sein. In der CSU wurden schon viele Klartextfans von den Fraktionsoberen ausgebremst und kaltgestellt. „Eine Freundin hat mir immer schon gesagt: Martina, du trägst dein Herz auf der Zunge, das ist gefährlich“, erzählt Gießübel.
Dass sie weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen ist, war bereits in der Schule aufgefallen, weshalb sie zur Klassensprecherin und Schülersprecherin gewählt wurde. Politisch interessiert war sie eh. Das lag auch am CSU-geprägten Elternhaus. Ihr Vater war 24 Jahre lang Bürgermeister im unterfränkischen Grafenrheinfeld. Am heimischen Küchentisch „wurde natürlich oft über Politik diskutiert“. „Ich bin mit der CSU groß geworden“, sagt Gießübel. Mit 17 Jahren trat sie in die Junge Union (JU) ein und wurde gleich Ortsvorsitzende.
Später heiratete sie einen Bürgermeister, der ebenfalls bei der CSU war, bekam einen Sohn. Inzwischen ist Gießübel geschieden. Auch als alleinerziehende berufstätige Mutter war sie politisch aktiv, erst sechs Jahre lang im Gemeinderat, dann bis heute auch im Kreistag. Für Hobbys blieb da keine Zeit.
Hobbys? Dafür blieb für die alleinerziehende berufstätige Mutter keine Zeit
„Meine Freizeit hat sich auf meinen Sohn beschränkt und auf die Politik“, entsinnt sie sich.
Gießübel absolvierte nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau. „Ich hab eine vertriebliche Ader“, sagt sie. „Mit Menschen sprechen und verhandeln, das ist meins.“ Nach einigen Jahren im Lebensmittelhandel heuerte sie bei einem lokalen Fernsehsender an, in der Verwaltung. Und wechselte bald danach zur AOK, machte als Seiteneinsteigerin eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten.
Ihr kommunikatives Talent fiel offenbar auf, jedenfalls wurde die junge Frau sogleich in der Kundenberatung eingesetzt. Und für den Personalrat vorgeschlagen. Insgesamt fungierte Gießübel 30 Jahre lang als Personalrätin und Personalratsvorsitzende bei der AOK-Direktion in Schweinfurt – eine Aufgabe, die sie bis zu ihrer Wahl in den Landtag im Herbst 2023 wahrnahm.
In den Schoß gefallen ist ihr das Landtagsmandat nicht. Im Vorfeld der Kandidatur musste sie sich gegen drei Männer durchsetzen. Im Wahlkampf baute sie auf Volksnähe. „Ich bin immer aktiv auf die Bürger zugegangen“, sagt Gießübel. Die Menschen haben es honoriert und sie gewählt. Im Landtag gehört sie nun den Ausschüssen für Soziales und für Fragen des öffentlichen Dienstes an.
In der Pandemie sind viele Fehler passiert, findet sie
Gießübel hat einen klaren Blick darauf, was schiefläuft. Das betrifft die Bereiche Migration, Sozialstaat, Arbeitswelt. Die CSU-Politikerin hält es wie praktisch alle in ihrer Partei für einen Fehler, dass seit 2015 Geflüchtete ohne Pass ins Land kommen konnten. „In keinem anderen Land der Welt kann man ohne Papiere einreisen“, empört sie sich.
Ihr Heimatort Schweinfurt ist ein Migrations-Hotspot, 43 Prozent der Menschen sind zugewandert. Gießübel klagt über Kriminalitätsprobleme. Sie sagt: „Das muss man benennen dürfen, ohne gleich als rechtsextrem zu gelten.“
Tatsächlich hat die AfD in Schweinfurt viel Zuspruch, in einzelnen Stadtteilen liegt sie bei über 30 Prozent. 10 Prozent der Menschen im Schweinfurter Ankerzentrum seien bereits durch Kriminalitätsdelikte aufgefallen, „an die muss man ran“, fordert die Abgeordnete – und macht sich für die sofortige Abschiebung Krimineller stark. „Durch die Rechtslage geht das halt leider nicht.“ Das müsse man den Menschen erklären. Allerdings: Die jeweiligen Herkunftsländer weigern sich zumeist, ihre Leute zurückzunehmen.
Wie kann mn die illegale Migration eindämmen? Notfalls über eine Grundgesetzänderung, sagt Gießübel
Die Politik, fordert Gießübel, müsse jedenfalls „Lösungen präsentieren“. Welche? „Man muss auch darüber nachdenken, das Asylrecht zu ändern.“ Sie sagt: „Kein Mensch versteht, warum die Maghrebstaaten nicht als sichere Herkunftsländer gelten.“
Ihr missfällt auch, dass derzeit viele Menschen aus der Türkei in Deutschland Asyl erhalten. Und dass Ukrainer*innen grundsätzlich Anspruch auf Bürgergeld haben. Das entspricht in weiten Teilen den Positionen der AfD. Gießübel weiß das. Sie sagt: „Die AfD benennt die Probleme.“ Doch sie biete keine Lösungen. Gießübel findet: „Wir als CSU könnten mehr Mut haben und im politischen Diskurs deutlicher werden.“
Auch mit Blick auf die Arbeitsmarktpolitik findet die 53-Jährigeoffene Worte. Sie hält es für ein Problem, „dass die Leute immer weniger arbeiten wollen“. Denn überall fehle Personal. Nötig sei deshalb, sich um die zu kümmern, „die arbeiten wollen und nicht können“. Dazu zählten auch viele Zugewanderte. „Wir müssen Migranten viel schneller in Arbeit bringen.“
Ein Thema, das ihr ebenfalls auf den Nägeln brennt, ist die Aufarbeitung der Pandemie. Sie findet: Da haben es sich einige Leute ziemlich leicht gemacht, auch in ihrer Partei. „Dass man Menschen, die manches kritisch sahen, als Verschwörungstheoretiker abstempelt, finde ich schwierig.“ Weil es die Spaltung der Gesellschaft verschärfe, die während der Pandemie in einer Weise erfolgt ist, die sie „nie für möglich gehalten“ hätte.
Für eine neue CSU-Abgeordnete sind das aufsehenerregende Worte. Bleibt abzuwarten, ob die CSU-Oberen ihr Gehör schenken. „Näher am Menschen“ – das war mal ein Slogan der Partei. Gießübel sagt: „Der gesunde Menschenverstand muss wieder Einzug halten.“ Und dass man sich nicht immer dem Mainstream anpassen solle. Mal sehen, wie weit eine wie sie damit in der CSU kommt.
(Waltraud Taschner)
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