Wenn doch nur schon das Beamen erfunden wäre! Ein Traum von Eva Gottstein ist es, sich wie in der Serie Star Trek einfach an den gewünschten Ort teleportieren zu können. Nicht nur, weil die Freie Wählerin als Ehrenamtsbeauftragte der Staatsregierung im ganzen Freistaat unterwegs ist. Sondern vor allem, um die Familie öfter zu sehen. Vier Kinder und sechs Enkelkinder hat die 72-jährige Eichstätterin – und die sind über die ganze Welt verstreut: von Australien bis in die USA, vom Bodensee bis Bielefeld. „Mit Corona wurde das wirklich schwierig“, stöhnt Gottstein. Nach Weihnachten aber war die Familie endlich wieder zusammen – beim Skifahren in Österreich. Gottstein: „Das war schön!“
Aber auch das Ehrenamt hat in der Pandemie stark gelitten. „Daran hatte man anfangs gar nicht gedacht.“ Was in Gottsteins Augen auch daran lag, dass in der Politik der weibliche Blick noch allzu oft fehle. Der soziale Bereich, Familien, Ehrenamtliche – „ich denke, ein politischer Entscheider, ein Mann, hat das nicht unmittelbar im Kopf.“
Der Kampf für mehr Frauen in der Politik und in Führungspositionen war von Anfang an ein Hauptmotiv für das politische Engagement Gottsteins. 22 Jahre lang unterrichtete sie an einer Mädchenrealschule. Und kündigte, als man ihr einen männlichen Konrektor vor die Nase setzte. „Mir ging es damals um die Vorbildfunktion“, erzählt Gottstein, die später an einer anderen Schule selbst Rektorin war. „Ich fand, eine Mädchenschule sollte eine weibliche Chefin haben.“
Gottstein ist für eine Frauenquote und für paritätisch besetzte Wahllisten. Sie hat die Arbeitsgemeinschaft Freie Wähler – Frauen gegründet und bis 2020 geleitet. Und sie sitzt im Vorstand des Katholischen Frauenbunds. Zehn Jahre lang war Gottstein auch frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Einer Fraktion, deren Frauenanteil noch heute magere 22 Prozent beträgt. Gottstein betont: „Ich war hier immer ein Stachel im Fleisch der Freien Wähler.“
Den Posten als frauenpolitische Sprecherin hat Gottstein 2021 „in jüngere Hände abgegeben“. Ebenso den der bildungspolitischen Sprecherin. Die 72-Jährige verließ auch den Bildungsausschuss, dessen Vizechefin sie bis dahin war. Leicht fiel ihr das nicht. „Mein Leben ist die Bildung“, sagt sie. „Das Muttersein, das Erziehen von Kindern zu mündigen Bürgern – nach dem Ideal Kants.“ Im Landtag lobt man Gottsteins sehr sachliche Arbeitsweise. „Sie konnte im Ausschuss aber auch streitlustig sein – vor allem mit CSUlern“, sagt ein Grüner.
Gottstein hatte schon immer ihren eigenen Kopf. Sie sympathisiert mit der Reformpädagogik. Ihre Söhne waren Stipendiaten der Schule Schloss Salem, einem international bekannten privaten Internat unweit des Bodensees. Mitbegründet wurde es vor über 100 Jahren von Kurt Hahn, der als Urvater der Erlebnispädagogik gilt.
Außerdem ist Gottstein eine Verfechterin des Ganztags. „Ich denke, wir haben jetzt einen ganz guten Kompromiss“, sagt sie. Ihrer Idealvorstellung aber kommt das angelsächsische System näher. Dort beginnt der Unterricht später und endet am Nachmittag. Als Kultusministerin die bayerische Bildungspolitik zu gestalten – „das hätte mich gereizt“, bekennt Gottstein. „Wenn ich zehn Jahre jünger gewesen wäre.“ 2018 kamen die Freien Wähler in die Regierung und ihr Parteikollege Michael Piazolo bekam das Amt. Gottstein: „Über mich hätten die Leute wahrscheinlich gesagt: Die hat Haare auf den Zähnen.“
Ihr Traumjob aber wäre ein anderer gewesen: Oberbürgermeisterin von Eichstätt. 1994 trat Gottstein den Freien Wählern bei, als die eine OB-Kandidatin suchten. Gottsteins Mann, der bis zur Rente einen Musikladen führte, saß damals schon für die Wählergemeinschaft im Stadtrat – und hatte mit anderen die Idee: „Das könnte doch meine Frau machen.“ Oberbürgermeisterin wurde Gottstein zwar nicht, auch nicht beim zweiten Anlauf 2006. Sie saß aber 23 Jahre lang im Stadt- und im Kreisrat. Und wurde 1998 stellvertretende Landesvorsitzende. Die FW waren damals gerade an ihrem ersten Versuch, in den Landtag einzuziehen, gescheitert. An vorderster Front wollte sie dafür kämpfen, dass die FW auch in der Landespolitik ankommen. Was damals sehr umstritten war. Gottstein: „Ich war aber immer der Meinung, wenn wir nicht nur entscheiden wollen, ob ein Gehsteig links oder rechts von der Straße, sondern ob er überhaupt gebaut wird, müssen wir in den Landtag.“
Sie liebt Krimis – und liest das Ende immer zuerst
2008 hat es dann endlich geklappt. Und Gottstein bestimmte auch dort die Linie der Partei mit. Sie war mit einer Unterbrechung von einem Jahr von 2008 bis 2013 Vizin der Fraktion. Und sie saß nicht nur im Bildungs-, sondern auch im ÖD- und im Sozialausschuss. Von 2014 bis 2018 war sie zudem Vizin des Innenausschusses. „Der war am schönsten“, sagt Gottstein. Weil sie sich da in völlig neue Themen einarbeiten konnte.
Durchsetzungs- und Stehvermögen: Das sind die wichtigsten Eigenschaften, die man laut Gottstein in der Politik braucht. „Gerade als Frau.“ Was ihr indes schwerfällt: „Dinge nicht zu persönlich zu nehmen“, gesteht Gottstein. „Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, da brauchst du ein Umfeld, das dich immer wieder auffängt.“ Eine Aufgabe, die ihr Mann vortrefflich beherrscht.
Heute sitzt Gottstein in keinem Ausschuss mehr. Sie will sich auf ihre Aufgabe als Beauftragte konzentrieren und sich Zeit nehmen für die Ehrenamtlichen und deren Anliegen. „Man wirft uns Politikern ja oft vor, nur Sonntagsreden zu halten“, sagt Gottstein. „Und ich glaube, ich kann auf diese Weise zur Glaubwürdigkeit der Politik beitragen.“ Auch mit konkreten Erfolgen: So habe sie als Ehrenamtsbeauftragte etwa in den Fraktionsinitiativen zum Haushalt 2022 dafür gesorgt, dass Tafeln, Bahnhofsmissionen, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen und die Zukunftsstiftung Ehrenamt mit 900 000 Euro berücksichtigt wurden.
In der Freizeit geht Gottstein gerne Rad- und Skifahren. Und sie liest gerne. Vor allem Liebesromane. Und Krimis. Da weiß sie immer sofort, wer der Mörder ist. „Ich halte die Spannung nicht aus“, sagt Gottstein und lacht. „Deshalb lese ich immer das Ende zuerst.“ (Angelika Kahl)
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