Landtag

Sanne Kurz mit Tochter Zoe. (Foto: privat)

22.11.2019

Die Frohnatur

Im Porträt: Sanne Kurz, film- und kulturpolitische Sprecherin der Grünen

„Total geil“ sei die bayerische Verfassung, sagt die Grüne Sanne Kurz und lacht laut auf. So „geil“, dass sich die 45-jährige Filmemacherin mit der befreundeten Künstlerin Christine Huber das Verfassungsjodeln ausgedacht hat. Am Dreikönigstag 2018 standen die beiden erstmals auf zwei Balkonen des Münchner Ruffinihauses. Sanne Kurz rezitierte Stellen aus der Verfassung, Huber kommentierte sie jodelnd. Zum Beispiel ziemlich empört den Artikel 161. Darin heißt es, dass leistungslose Steigerungen der Bodenwerte für die Allgemeinheit in Anspruch genommen werden sollen. Ein Artikel, den man in Bayern, so scheint es, vergessen hat.

Als Kurz mit der bayerischen Verfassung in der Hand auf dem Balkon des Ruffinihauses stand, war sie gerade mal ein Jahr bei den Grünen. Aber bereits Direktkandidatin des Stimmkreises München-Ramersdorf für die Landtagswahl. Nur sieben Tage nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter Zoe stellten die Grünen sie auf. „Die SZ schrieb über den Stimmkreis, er sei das Niederbayern Münchens“, erinnert sich Kurz amüsiert. Ihre prominenten Gegner hießen Markus Blume (CSU) und Markus Rinderspacher (SPD). Kurz fürchtete, ihre Partei brauche halt eine Alibikandidatin in diesem Stimmkreis – ohne wirkliche Chancen.

Doch mit Platz 13 auf der Oberbayern-Liste der Grünen kam die Hoffnung. Als einzige Künstlerin auf der Liste zählte sie auf die Unterstützung der kreativen Szene. Am Ende holte Kurz 24,9 Prozent der Gesamtstimmen und zog über die Liste in den Landtag ein. „Das war aber richtig harte Arbeit“, stöhnt sie. Für ihren Partner war das auch nicht lustig. Kurz scherzt: „Ich wäre fast wieder alleinerziehend gewesen.“

Die vierfache Mutter war lange Zeit alleinerziehend

Kurz ist vierfache Mutter. „Vier Kinder, drei Väter“, sagt sie lakonisch. „Ist ein bisschen kompliziert.“ Die gebürtige Pfälzerin studierte im ersten Semester an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Dokumentarfilm, als sie zum ersten Mal Mutter wurde. In Amsterdam, wo sie später Kamera studierte, lernte sie ihren ersten Mann kennen – bekam noch ein Kind und zog mit der Familie zurück nach München. Dann kam die Scheidung. „Und ich war ziemlich lange alleinerziehend“ erzählt Kurz. Als freischaffende Künstlerin hatte sie kaum Geld. Und so lebte sie mit den beiden Kindern zwischendurch auf nur zehn Quadratmetern. Die nächste Wohnung war zwar größer, aber anfangs ohne fließendes Wasser. Zum Duschen musste die Familie ins Michaelibad. „Das war sehr abenteuerlich“, sagt Kurz. „Ich glaube, viele machen sich gar keine Vorstellung davon, wie manche Menschen in dieser reichen Stadt leben.“

Ihren zweiten Mann lernte Kurz 2010 kennen, bekam mit ihm zwei weitere Kinder. Sie drehte Filme und war auch in der performativen Kunst aktiv. „Mit dem Einzug in den Landtag aber hat sich mein Leben total verändert“, erzählt sie. Denn fürs kreative Arbeiten bleibt kaum Zeit. Einzig an der HFF unterrichtet sie noch im Fach Kamera. „Als Filmemacherin aber bin ich super für den Landtag trainiert“, meint Kurz. „Denn ich kenne sehr lange Arbeitstage.“ Und sie kennt die Kulturbranche, ist dort gut vernetzt. Konsequenterweise sitzt Kurz als kultur- und filmpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst.

In ihrem ersten Landtagsjahr lag Kurz’ Hauptfokus auf der sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern. Ein wichtiges Thema dabei: die Gleichstellung. „Nicht nur im Filmbereich eine Katastrophe“, sagt Kurz. Auch im Kunstbereich würden Frauen massiv benachteiligt. Sie kämpft deshalb für eine familienfreundliche Kunstförderung des Freistaats. Anfang Dezember berät der Ausschuss über Anträge der Grünen, in denen sie fordern, dass zum Beispiel auch die Kinderbetreuung förderfähig wird und Stipendiaten Kinderzuschläge gewährt werden.

Mit einer "Wanderbank" von Bahnhofsmission zu Bahnhofsmission

Eines nervt Kurz im Landtag. „Ich hätte gedacht, dass man sich in Sachfragen auch mal mit den Regierungsparteien zusammenraufen könnte“, sagt sie. „Kommt aber etwas von der Opposition, wird es meist kategorisch abgelehnt.“ Sie setze deshalb stark auf Hintergrundgespräche, mit Leuten aus den Ministerien zum Beispiel, erzählt sie. Oder sie schreibt offene Briefe – etwa an Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks. Kurz, die im Rundfunkrat sitzt und bei den Grünen auch für das Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk zuständig ist, kritisierte etwa, dass in der BR-Sendung Jetzt red i zum Thema Rechtsextremismus auch Bayerns AfD-Chefin Corinna Miazga eingeladen war. Sie fordere nicht, dass man die AfD nirgends einladen dürfe, betont Kurz. „Aber ich wollte wissen, wie der BR seine Moderatoren auf diese Leute vorbereitet.“ Da gebe es noch zu wenig Kompetenz, glaubt die Grüne.

In der Fraktion schätzt man den Idealismus, die Kreativität und Fröhlichkeit der 45-Jährigen. Manche finden aber auch, dass Kurz in den Politikbetrieb noch etwas besser hineinwachsen müsse, „politischer werden muss“, wie es heißt. Für Kurz, die nicht wie die meisten anderen auf kommunalpolitische Erfahrungen zurückgreifen kann, ist vieles neu.

Nicht neu ist für sie indes das politische Engagement. Sanne Kurz, die eigentlich Susanne heißt, aber so nur von ihrer Mutter genannt wird, ist in Neustadt an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz aufgewachsen. Sie war Schülersprecherin, hat Mahnwachen gegen den Irakkrieg und politische Filmreihen organisiert. „70 Jahre lang hat dort die CDU regiert“, sagt Kurz. Eine andere Jugendorganisation als die der Schwarzen habe es in ihrer Stadt nicht gegeben. „Da haben wir uns aber nicht zu Hause gefühlt, also haben wir alles selber gemacht“, sagt Kurz. „So ein bisschen wie Fridays for Future heute.“

Politische und sozialkritische Elemente finden sich auch in Kurz’ Kunstprojekten. Nicht nur beim Verfassungsjodeln. Sie zog zum Beispiel mit einer „Wanderbank“ von Bahnhofsmission zu Bahnhofsmission – und sammelte mit ihrer Kollegin Huber Geschichten für ein Lesungsformat. Vieles, was die Menschen erzählten, ging den Frauen nahe. Vieles sahen sie aber auch selbst. Etwa, dass sich Menschen eine Stunde lang für ein Schmalzbrot und einen Tee anstellten. Oder dass eine Frau im Rollstuhl, gerade aus der Klinik entlassen, einfach in einer Ecke der Bahnhofsmission abgestellt wurde. Weil sich niemand für sie zuständig fühlte, schlief die Frau am Ende auf der Pritsche im Büro der Leiterin der Mission. Kurz sagt: „Wenn man so etwas sieht, erkennt man, dass es kein so großes Problem ist, im Michaelibad duschen zu müssen.“
(Angelika Kahl)

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