Der Tag ihrer ersten Landtagssitzung im Oktober 2013 ist Kerstin Celina noch gut in Erinnerung. Nicht nur, weil das für Parlamentsneulinge natürlich per se spannend ist. Für die Grüne aber hielt der Tag bereits vor der Sitzung einige Aufregung bereit. Sie saß mit ihrer Familie beim Essen im Hotel, als es hinter ihr plötzlich knallte. Ein Mann kippte um und riss dabei das Tischtuch samt Geschirr mit sich. Er hatte einen epileptischen Anfall. Und Glück, dass Celina am Nebentisch saß. Denn die wusste sofort, was zu tun ist – und leistete Erste Hilfe, bis der Rettungsdienst kam.
Celina ist seit 20 Jahren First Responder bei der Freiwilligen Feuerwehr ihrer Heimatgemeinde Kürnach im Landkreis Würzburg. Schlägt ihr Piepser Alarm, spurtet die 53-Jährige los, um als Erste vor Ort medizinische Notfälle zu versorgen. Sie leitet lebensrettende Maßnahmen ein und kümmert sich um die Notfälle, bis die Ambulanz eintrifft. Als Abgeordnete kann Celina heute zwar nur noch gelegentlich Bereitschaftsdienste übernehmen, den ehrenamtlichen Einsatz für die Menschen aufzugeben, kam für sie aber nie infrage.
Menschen in Notlagen hat sie nicht nur als Politikerin im Blick
Menschen in Notlagen hat Celina auch als Abgeordnete im Blick. Sie gehört zu den profiliertesten Sozialpolitiker*innen im Landtag. „Es ist die große Bandbreite der Sozialpolitik, die ich spannend finde“, sagt Celina, die sich in ihrer ersten Legislatur unter anderem für bessere Arbeitsbedingungen für Hebammen und eine flächendeckende Geburtshilfe in Bayern einsetzte. Im Gesundheits- und im Sozialausschuss saß sie von Beginn an. „Und ich wollte auch nach der Landtagswahl 2018 unbedingt wieder diese Kombination“, betont sie. Lange bitten musste sie die Fraktion nicht, denn dort schätzt man Celinas Kompetenz sehr – „sie ist eine Quelle unzähliger guter Ideen“, sagt Celinas Fraktionskollege Patrick Friedl. Außerdem sehr mitfühlend. Aber sie könne auch sehr hartnäckig sein, ergänzt die Grüne Rosi Steinberger. „Wenn es um die Belange von Menschen mit Behinderung geht, ist sie eine ganz starke Kämpferin.“
Die Themen Inklusion und psychische Gesundheit liegen Celina besonders am Herzen. Beides Themen, die in der Corona-Krise viel zu lange viel zu wenig Beachtung fanden, wie sie sagt. „Wie viele Menschen vereinsamt sind und wie sehr psychisch belastet, hat man oft einfach übersehen.“ Und auch, wie man mit dem Thema Selbstbestimmung umgegangen sei, habe sie erschreckt. „Ob nun Ältere oder Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen – sie alle wurden nur noch als zu schützende Objekte gesehen“, klagt die Unterfränkin. Über Inklusion aber habe zwei Jahre lang niemand mehr geredet.
„Bayern barrierefrei 2023“ heißt das Programm, das der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer 2013 startete – mit dem Ziel, dass 2023 der gesamte öffentliche Raum inklusive Busse, Züge und Bahnhöfe barrierefrei zugänglich sein sollte. „Das ist nicht an Corona gescheitert“, betont Celina. „Aber durch Corona ist es noch grandioser gescheitert.“
Celina und ihr Mann konnten sich über einen Mangel an sozialen Kontakten dagegen auch im Lockdown nicht beklagen. Im Gegenteil: Ihr Haus war proppenvoll. Nicht nur, weil die beiden Töchter, 19 und 21 Jahre alt, nicht wie geplant fürs Studium und Auslandsjahr auszogen. Sondern auch,weil kurz vor Corona die Schwiegermutter einzog. Sogar eine vietnamesische Gastschülerin beherbergte die Familie bis April 2020. Immer wieder nimmt Celina Schüler*innen über ein Jugendaustauschprogramm bei sich auf. Gerade war ein Gastschüler aus Ankara da. „Viele würde so ein volles Haus nerven, aber ich find’s toll“, sagt Celina. „Ich habe dieses pralle Leben um mich herum genossen.“
Und noch etwas Positives hat Corona Celina beschert: Sie wurde begeisterte Podcasterin. Ursprünglich hatte sie eine Veranstaltung zum Thema kirchliches Engagement geplant. Weil die ausfiel, holte sie Menschen, die sich aus dem Glauben heraus engagieren, vors Mikro. Den Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose etwa, der bereits 2012 einem Äthiopier Kirchenasyl gewährte, oder den Nürnberger Pater Jörg Alt, der sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzt. „Das sind urgrüne Themen“, sagt Celina. Zehn Folgen von Die Welt ein bisschen besser machen gibt es. Neue Folgen für den Herbst sind angedacht.
Zu den Grünen kam sie wegen deren Frauenpolitik
Zu den Grünen kam Celina 1996. In die Politik zog es sie aber schon davor. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Würzburg arbeitete sie als Regierungsreferendarin bei der Senatsverwaltung in Berlin. Später wechselte sie in die Berliner Landesvertretung nach Bonn, damals noch Bundeshauptstadt. Sie wollte mittendrin sein in der Politik – aber mit freien Sonntagen ohne Termine. „Als Nichtjuristin Beamtin im höheren Dienst zu werden, war in Bayern damals kaum möglich“, erklärt sie. Probiert hat sie die Rückkehr in die Heimat dennoch. Sie bekam erst eine Zusage für eine Stelle in Bayern, um nur zwei Tage später doch noch eine Absage zu kassieren. „Die Stelle bekam dann ein männlicher Jurist“, stöhnt Celina. „Ich war so was von angenervt von den bayerischen Behörden, ihrer Arroganz und ihrem Frauenproblem, dass ich bei den Grünen anrief.“ Die Offenheit dort faszinierte sie gleich, sagt sie. „Ausschlaggebend für meinen Eintritt aber war neben der Umweltpolitik die Frauenpolitik, für die die Grünen stehen.“
Sie blieb erst mal in Nordrhein-Westfalen. Nach Stationen bei der Bundesarbeitsagentur in Düsseldorf, Aachen und Brühl ging es für Celina, mittlerweile verheiratet, dann aber doch zurück nach Franken – auch weil die „potenziellen Großeltern“ dort lebten. Sie bekam ihre Töchter und arbeitete in Teilzeit als Personalberaterin bei der Arbeitsagentur in Würzburg. Schnell übernahm sie auch politische Ämter. 2001 wurde Celina Kreisrätin im Landkreis Würzburg, 2008 Gemeinderätin in Kürnach. Und sie überzeugte mit ihrem Engagement: Bei der Landtagswahl 2013 trat sie auf Platz eins auf der Unterfranken-Liste an.
Im Landtag will Celina, die in ihrer Freizeit „wahnsinnig gerne“ radelt und liest, weiterhin für Inklusion und Selbstbestimmung kämpfen. Bei der Wahl 2023 tritt sie erneut an. Ihr größter Lebenswunsch aber: „Enkelkinder“, sagt sie und strahlt. Endlich Oma sein – für ein noch erfüllteres Leben.
(Angelika Kahl)
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