Wenn alle Abgeordneten so konzentriert und zügig zur Sache sprächen wie Inge Aures, wären die Sitzungen im Landtag um einiges kompakter. Die Sozialdemokratin aus dem oberfränkischen Kulmbach hat beispielsweise keine Probleme, in weniger als zwei Minuten die Haltung ihrer Fraktion zu einem Grünen-Vorstoß für ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h so klar und deutlich zu formulieren, dass auch die, die nur mit einem Ohr zuhören, hinterher Bescheid wissen.
Anfang Februar 2020 sprach sie dazu im vollen Plenarsaal praktisch frei, ohne ein einziges Äh, ohne Pause, aber sie hudelte auch nicht und verschluckte keine einzige Silbe. Inge Aures schaffte es, in einer Minute und 33 Sekunden die Haltung der SPD-Fraktion klarzumachen: Ja zu einem Tempolimit von 130, da weniger CO2-Ausstoß und weniger Tote und Verletzte.
Die Präzision der Oberfränkin hat vielleicht auch mit ihrem Beruf zu tun. Inge Aures ist Architektin, mit einem 1978 an der Fachhochschule Coburg erworbenen Diplom-Ingenieur-Titel. Danach arbeitete sie zwölf Jahre als Projektleiterin und anschließend fünf Jahre als selbständige Architektin. 1990 wurde sie für die SPD in den Stadt- und den Kreistag von Kulmbach sowie in den oberfränkischen Bezirkstag und 1995 zur Oberbürgermeisterin von Kulmbach gewählt. Zwölf Jahre lang war sie Rathauschefin der etwa 25 000 Einwohner zählenden Großen Kreisstadt am Main, bis ihr der CSU-Mann Henry Schramm im Herbst 2006 im zweiten Anlauf das Amt abjagte.
Zweitstudium mit 50 Jahren
Inge Aures nahm die Niederlage bei der OB-Wahl sportlich – nämlich als Chance, im Alter von 50 Jahren ein Zweitstudium zu absolvieren. An der Bamberger Uni machte sie nach einem dreijährigen Studiengang in Denkmalpflege bei dem renommierten Kunsthistoriker Achim Hubel einen Master in Heritage Conservation. Für ihre Masterarbeit wurde Inge Aures von Achim Hubel mit den Worten „Sie können das!“ auf drei Schulgebäude aus den 1960er-Jahren und das alte Bamberger Hallenbad angesetzt. Sie musste die Bauten aufmessen und im Detail dokumentieren. Was später von Nutzen war: „Die Uni hat das Hallenbad gekauft und baut es jetzt um, mit Sachen, die ich teilweise schon in meinem Entwurf drin hatte“, erzählt Aures. Normalerweise verschwindet eine Masterarbeit nach der Abgabe in der Schublade, hier war es anders: „Alles, was ich aufgemessen und dokumentiert hatte, mussten die nicht mehr machen. Das hat mich total gefreut.“
Noch während ihres Zweitstudiums wurde Inge Aures 2008 über die oberfränkische SPD-Liste in den Landtag gewählt, 2013 und 2018 wurde sie wiedergewählt.
Kulmbach – München: Seit 13 Jahren legt die mittlerweile 64-Jährige zweimal in der Woche eine Fahrtstrecke von drei Stunden zurück. Dass in München nicht alle Kulmbach geografisch gleich richtig einordnen können, das kennt sie. Die kleine Stadt am Main liegt 20 Kilometer nördlich von Bayreuth, das etwa dreimal so groß ist. Von Anfang an hatte sie wichtige Ämter in der Fraktion und im Parlament. 2008 bis 2013 war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende, 2013 bis 2018 Landtagsvizepräsidentin. Ein Posten, den sie 2018 verlor. Nach der Landtagswahl hatte der vormalige Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher den Posten für sich reklamiert. Seitdem fungiert Aures als einfaches Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr.
Nicht nur in ihrem Metier dürfte sie eines der erfahrensten Mitglieder des Hohen Hauses sein, worauf sie gern auch mal hinweist: „Ich bin schon 40 Jahre Architektin, ich habe schon viele Novellierungen der Bauordnung mitgemacht“, rieb sie beispielsweise der CSU im vergangenen Jahr unter die Nase.
Der Fall Gustl Mollath war ihr ein Herzensanliegen
Auch beim Denkmalschutz kennt Inge Aures die schöne Theorie und die schnöde Praxis, die oft genug darauf hinausläuft, historische Baudenkmäler ohne öffentliches Aufsehen zu beseitigen. Als Oberbürgermeisterin von Kulmbach hat sie das alte Badhaus, dessen Abriss von ihrem Vorgänger bereits genehmigt war, gerettet und saniert. Heute ist der 1398 erstmals erwähnte Bau im Erdgeschoss eines der seltenen Anschauungsbeispiele für ein mittelalterliches Badhaus und in den oberen Stockwerken ein begehrter Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen. Im Rückblick sagt sie: „Man muss sich einfach selber reinhängen und was tun.“
In Kulmbach ist Inge Aures unter anderem auch Kreisvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO). In dieser Eigenschaft wird ihr vorgeworfen, ihren Ehemann bei der Vergabe von Architektenaufträgen begünstigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue. Inge Aures will sich zu den laufenden Ermittlungen nicht äußern. „Ich warte ab und glaube an den Rechtsstaat“ – mehr ist ihr zu der Sache nicht zu entlocken.
Zu ihrer Freude und Genugtuung holte ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Ingo Lehmann das Kulmbacher Oberbürgermeisteramt 2020 für die SPD zurück, indem er im zweiten Anlauf den CSU-Amtsinhaber Henry Schramm aus dem Sattel hob – der 2006 über Inge Aures gesiegt hatte.
Auch in zwei Untersuchungsausschüssen war Inge Aures aktives Mitglied: 2010/11 in dem U-Ausschuss zu den dubiosen Geschäften der Bayerischen Landesbank und 2013 in dem von ihr selbst mitinitiierten U-Ausschuss zum Fall Gustl Mollath. Mollath habe sich von der Psychiatrie Bayreuth aus, in die er eingewiesen worden war, an sie gewendet. „Das ist mir alles plausibel erschienen, was mir der geschrieben hat“, sagt sie. Daraufhin habe sie Gustl Mollath „ein paarmal in der Forensik besucht und beschlossen: Ich häng mich da rein.“ Heute könne sie nur sagen: „Ich bin froh, dass ich mir die Arbeit gemacht hab und dass das ein gutes Ende genommen hat.“ Sprich: Freilassung und Rehabilitierung von Gustl Mollath.
Heimat? Dass das Herz von Inge Aures an Kulmbach und an Oberfranken hängt, daran besteht kein Zweifel. Aber es ist eben eine Heimatliebe, die nicht wegschaut, wenn im nahen Bayreuth ein offensichtliches Justizopfer in der Psychiatrie weggesperrt ist. Wobei ihr das Bierzelt durchaus auch liegt. Wenn nicht gerade Pandemie ist, gibt es in Kulmbach Ende Juli ein großes Bierfest mit 120 000 Gästen. Hier zapfte Inge Aures als Oberbürgermeisterin zwölf Jahre lang das Bier an. Für sie die schönste Amtshandlung. „Das hab ich am meisten vermisst, dass ich nicht mehr anzapfen kann.“ Und das ist es auch, was ihr jetzt in der bierzeltlosen Zeit am schmerzlichsten abgegangen ist: Bierzeltreden zu halten.
(Florian Sendtner)
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