Seit sich die Politik fast nur noch um Corona dreht, stehen die Gesundheitsexpert*innen der Parteien plötzlich im Dauerfokus. Manche genießen das – der omnipräsente und überaus sendungsbewusste SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach etwa. Die bayerische SPD-Gesundheitspolitikerin Ruth Waldmann (50) zählt nicht zur Spezies der Corona-Dauersirenen. Kompetent ist sie trotzdem. Auch wenn sie nicht Medizinerin, sondern Soziologin ist. Wenn es um Covid-19 geht, sagt ein erfahrener Landtags-SPDler, „weiß die Ruth millimetergenau Bescheid“.
Waldmann sitzt seit 2013 im Landtag. Damals war es ihr als einziger SPD-Frau gelungen, ein Direktmandat – in München-Milbertshofen – zu erobern. Ein Erfolg, den sie 2018 nicht wiederholen konnte, sie zog über die Liste in den Landtag ein. Seit 2018 fungiert sie als stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss. Mit dessen Themen – Krankenhauspolitik, Pflege, Drogentherapie – war die Münchnerin seit Langem befasst. „Gesundheitspolitik ist für mich nicht erst seit Corona zentral“, sagt Waldmann. Und verweist auf ihre 15-jährige Erfahrung als oberbayerische Bezirksrätin, wo sie regelmäßig mit Fragen der Gesundheit, Pflege oder Inklusion beschäftigt war.
Jetzt also Corona. Innerhalb ihrer Fraktion im Landtag zählt Waldmann mit Blick auf die Pandemie zu den Vorsichtigen. Wenn abgewogen wird zwischen Lockdown und Lockern, vertritt Waldmann eher die strenge Linie. Vor einiger Zeit forderte sie vergeblich eine gesetzliche Meldepflicht für positive Corona-Heimtests. Und im Landtag, wo ohnehin strenge Regeln herrschen, würde sie auch gern an der einen oder anderen Stelle nachschärfen. So ist ihr ein Dorn im Auge, dass in den Räumlichkeiten, die für Corona-Tests genutzt werden, keine Möglichkeit besteht, ein Fenster zu öffnen. Den Nutzen der Plexiglasabtrennungen im Plenarsaal bezweifelt sie ebenfalls: „Davon lassen sich die Aerosole nicht aufhalten.“
Ausgangssperren? Das geht selbst ihr zu weit
Manches geht aber auch ihr zu weit. Nächtliche Ausgangssperren etwa: „Das ist unverhältnismäßig und bringt nichts“, betont sie. Auch die Dauerschließung der Außengastronomie findet sie übertrieben. Wegen des äußerst geringen Ansteckungsrisikos im Freien.
Auch wenn sie manches strenger sieht als andere, verfällt Waldmann in Diskussionen nicht in den Fundi-Modus, versucht also nicht, Andersdenkenden auf Biegen und Brechen ihren Standpunkt aufzudrängen. Das bescheinigen Waldmann nicht nur die eigenen Leute. Sondern auch Abgeordnete anderer Parteien. Mit Ruth Waldmann, sagt etwa die Gesundheitspolitikerin und Generalsekretärin der Freien Wähler, Susann Enders, „kann man auch kontrovers diskutieren, das schätze ich“.
Waldmann war schon als junge Frau SPD-affin, in die Partei trat sie 1990 ein – nachdem Oskar Lafontaine in der Bundestagswahl Helmut Kohl unterlegen war. „Das Thema soziale Gerechtigkeit“, sagt Waldmann, „stand bei mir immer im Mittelpunkt.“ Nach dem Abitur absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr und studierte danach Soziologie, „weil ich wissen wollte, wie eine Gesellschaft funktioniert“. Nach ihrem Soziologie-Diplom 1996 arbeitete Waldmann drei Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni München und verbrachte einige Monate als Visiting Scholar an der University of California.
Segeln in der Karibik: ein noch unerfüllter Traum
Eine tolle Zeit sei das gewesen, erzählt Waldmann. Sie war beeindruckt von der „starken Offenheit“, die an der US-Uni herrschte, und vom „Mut zur Kreativität“ dort. Davon „können wir in Deutschland etwas lernen“.
Die junge Soziologin liebäugelte mit dem Gedanken an eine Dissertation. Sie wollte darin erforschen, wie Berühmtheit funktioniert – weshalb es manche Menschen also schaffen, von anderen geliebt, verehrt, bewundert zu werden. Dazwischen kam ihr dann die Politik. Bereits als Studentin hatte Waldmann im Bürgerbüro von Franz Maget gearbeitet, dessen Nachfolgerin im Stimmkreis München-Milbertshofen sie später werden sollte. Im Jahr 2000 erhielt Waldmann das Angebot, persönliche Referentin zu werden – ein überaus spannender Job, denn Franz Maget war zu dieser Zeit Fraktionschef der Landtags-SPD. Da war’s dann jedenfalls vorbei mit der Doktorarbeit. Aber, so Waldmann „vielleicht schreibe ich die ja irgendwann noch“.
Von Maget lernte sie das politische Handwerkszeug. Dessen sach- und konsensorientierte Art, Politik zu machen, hat sie geprägt. Auch der umgängliche Maget war nie einer, der von der Sucht nach medialer Präsenz besessen war.
Maget gab das Amt des Fraktionschefs 2006 auf und wurde Landtagsvizepräsident. Waldmann wiederum wechselte als Prokuristin zur Münchner Arbeiterwohlfahrt. Menschen, die sie dort erlebt haben, schildern Waldmann als gute Zuhörerin und schnelle Denkerin – und als das Gegenteil einer Angeberin. Bei der Arbeiterwohlfahrt blieb sie, bis sie 2013 in den Landtag gewählt wurde.
Ob sie mit dem Oppositionsdasein gelegentlich hadert? Waldmann sagt: „Manchmal kriegt man auch als Opposition einen Antrag durch.“ Gefreut hat sie beispielsweise, dass sie die schwarz-orange Regierungskoalition davon überzeugen konnte, eine Initiative aus Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen, die eine bessere kinderärztliche Versorgung in Deutschland fordert. Waldmann klagt, dass auch schwer kranke Kinder von Kliniken aus Kapazitätsgründen immer mal wieder abgewiesen würden.
Nach Lage der Dinge wird sich am Oppositionsstatus der bayerischen SPD so rasch nichts ändern. Klar sei das frustrierend, räumt Waldmann ein. „Wir machen gute Arbeit, trotzdem sind die Umfragewerte schlecht.“ Warum? Waldmanns Antwort ist so unoriginell wie wahr: Andere Parteien hätten sozialdemokratische Themen gekapert, vor allem die CDU unter Merkel.
Von Oppositions- und sonstigem Ärger erholt sich die kinderlose Abgeordnete beim Segeln – seit Jahren ihre Leidenschaft. Ihr Lebensgefährte, ein Lehrer, hat nach anfänglicher Skepsis ebenfalls Gefallen daran gefunden. Ein Traum der beiden: Segeln in der Karibik. Derzeit ist aus Zeit- und Corona-Gründen eher Ammersee angesagt. Auch da kann man abschalten. Waldmann schwärmt: „Sobald man das Ufer verlassen hat, bleibt der Alltag zurück. Dann sind ganz andere Sachen wichtig.“
(Waltraud Taschner)
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