Wenn es bei Diskussionen so richtig hoch hergeht, dann ist Gisela Sengl in ihrem Element. Und hoch her geht es bei Veranstaltungen der 61-jährigen Grünen oft. Denn da sind dann schon mal 300 Landwirt*innen anwesend – Leute, für die die Grünen oft Feindbild sind. „Bauern regen sich schnell auf, sind hochemotional, aber ehrlich. Das find ich gut“, sagt Sengl, Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung in der Grünen-Fraktion, und fügt an: „So bin ich auch. Ich streite gerne.“
Geeignete Themen gibt es genug. Sei es der Einsatz von Pestiziden, der richtige Umgang mit dem Wolf oder der Umbau hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft – die Fronten sind mitunter sehr verhärtet. Sengl ist selbst Bäuerin. Bio-Bäuerin. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Demeter-Hof im Chiemgau und ist für den Hofladen zuständig. „Bio-Landbau ist erwiesenermaßen eine gute Form der Landwirtschaft“, sagt sie. Nicht nur unter Umweltgesichtspunkten. „Sondern auch, weil er wirtschaftlich erfolgreich ist.“
Sengl aus dem Landkreis Traunstein ist vom Fach. Und auch ihre lebendige und bayerisch-bodenständige Art dürfte dazu beitragen, dass sie sich bei Bäuerinnen und Bauern trotz mancher Meinungsverschiedenheiten Respekt verschaffen kann. Nicht immer hilfreich dabei: ihr Temperament. „Ich bemühe mich stets um Sachlichkeit“, sagt Sengl und fügt selbstkritisch an: „Früher war ich vielleicht manchmal zu konfrontativ – heute weiß ich, man darf die Leute nicht so heftig angehen.“
Und doch: Anfang des Jahres fing sich die Bio-Bäuerin einen mächtigen Shitstorm ein. Auf einer Veranstaltung tönte sie: „Ich möchte lieber biologischen Weizen aus Italien als konventionelles Getreide aus dem Nachbardorf.“ Damit brachte sie nicht nur Menschen aus der Landwirtschaft in Rage, sondern auch Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU), die sich auf Facebook empörte: Die Aussage sei „ein Schlag ins Gesicht der Landwirte“. Sengl verdreht die Augen – und gibt zu: „Das war ein Kommunikationsdesaster.“ Was sie habe sagen wollen: „Ist ein Getreide stark mit Pestiziden belastet, esse ich lieber Bio-Getreide aus Italien“, so Sengl. „Regional ist gut, aber zu wenig, weil nur ein Aspekt unter vielen.“
„Bio-Bäuerin ist der Doktortitel bei den Grünen“
Im Landtag sitzt Sengl seit 2013. Ihre Kandidatur bei der Versammlung des Traunsteiner Grünen-Kreisverbands kam damals überraschend. Denn ein politisches Mandat hatte Sengl nicht. Und doch traute man der Vorsitzenden des Grünen-Ortsverbands Chiemsee-Ost das zu. „Du kannst auf alle Fälle im Bierzelt reden“, attestierte man ihr. Sengl antwortete selbstbewusst: „Stimmt.“
Dass sie es dann tatsächlich in den Landtag schaffte, war eine kleine Sensation. Von Listenplatz 13 wurde sie auf Platz sechs vorgewählt. Bei der Wahl räumte sie auch viele Zweitstimmen aus anderen Landkreisen ab – sogar aus München. „Ich glaube, dort hat der Beruf gezogen“, sagt Sengl und lacht. „Bio-Bäuerin ist eben der Doktortitel bei den Grünen.“
Bei den Grünen mischt Sengl seit den 1980er-Jahren mit. Eingetreten in die Partei ist sie aber erst 1998 kurz vor der Bundestagswahl. „Ich bin ein 68er-Kind“, erklärt sie. Sie sah sich deshalb lange eher in der „außerparlamentarischen Opposition“. Doch als sich dann abzeichnete, dass Kanzler Kohl es nicht mehr schaffen würde, beschloss sie, „die Grünen voll zu unterstützen“.
Geboren ist Sengl in München. Mit Anfang 20 zog sie mit ihrem damaligen Mann, den sie in der Ausbildung zur Landschaftsgärtnerin kennenlernte, aufs Land nach Freilassing. Sengl wurde noch während der Lehre schwanger, bekam mit 22 Jahren einen Sohn. Bald folgte die Trennung. Zurück in die Stadt wollte sie nicht. „Das Landleben gefällt mir einfach besser“, sagt Sengl. Also zog sie mit Freunden und ihrem kleinen Buben 1987 in ein Haus in Nirnharting, das Dorf, in dem auch der 2010 verstorbene legendäre Grüne Sepp Daxenberger wohnte. „Eine Wohngemeinschaft auf dem Land und dann auch noch mit einer alleinerziehenden Mutter – wir waren sehr exotisch“, erzählt Sengl amüsiert. Eines Tages stand Daxenberger bei ihnen unangemeldet mit seiner Motorsäge im Hof. Der Winter nahte, und Daxenberger hatte mitbekommen, wie sich Sengl und ihre Mitbewohner mangels geeigneter Werkzeuge abplagten, das Holz für den Ofen zu zerkleinern. „Er hat uns den ganzen Stapel in zwei Stunden zusammengeschnitten“, erinnert sich Sengl. „Das war der Beginn unserer Freundschaft.“
Mit Anfang 50 noch einmal etwas ganz anderes machen
Dass Sengl heute im Landtag sitzt, hat auch indirekt mit Daxenberger zu tun. Denn sie wollte, dass nach ihm endlich wieder eine Grüne oder ein Grüner die Interessen ihrer Region im Landtag vertritt. „Es gab aber niemanden, der diese Lücke füllen wollte“, erklärt sie. „Da habe ich mir gedacht, dann probiere ich das jetzt mal.“
Hinzu kam, dass bei Sengl mit Anfang 50 der Wunsch aufkam, noch einmal etwas ganz anderes zu machen. 1995 war sie zu ihrem heutigen Mann auf dessen Bio-Gemüsehof in Sondermoning gezogen, bekam noch zwei Töchter und machte nebenberuflich eine Ausbildung zur Wirtschaftsfachwirtin. „Der Hof lief gut und die Kinder wurden langsam größer“, erzählt Sengl. „Ich aber hatte noch so viel Energie.“
Wie „krass“ die Umstellung aber mit ihrem Landtagseinzug werden sollte, hatte sie damals nicht geahnt. „Auch für das Familienleben ist ein politisches Amt eine große Herausforderung“, sagt Sengl. Vor allem für den Mann. Schließlich seien sie zuvor ja immer zusammen gewesen, hatten auch zusammen gearbeitet.
Und doch: 2018 wollte Sengl unbedingt wieder in den Landtag. „Ich hatte das Gefühl, jetzt habe ich meine Gesellenjahre abgeschlossen“, sagt sie. „Weil ich in der ersten Legislatur viel gelernt habe und dadurch auch sicherer geworden bin.“ Seit 2016 ist Sengl, die im Agrarausschuss sitzt, Vize der Fraktion. Sie gewann damals eine Kampfabstimmung. „Man braucht Positionen, um mitbestimmen zu können“, sagt Sengl. „Und mitbestimmen tue ich gerne.“
Was sie auch gelernt hat: Kleider machen Leute. Am Anfang ihrer Landtagskarriere saß sie bereits in der Trambahn auf dem Weg zu einem Termin, als sie merkte: „Mensch, auf dieser schicken Veranstaltung kann ich doch nicht mit meiner Strickjacke auftauchen.“ Ihre Mitarbeiterin war dabei und hatte viel elegantere Klamotten an. Sengl lacht. „Also haben wir mitten in der Tram unsere Sachen getauscht.“
(Angelika Kahl)
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