Ihr größter Erfolg im Landtag? Da muss die Grüne Tessa Ganserer (42) nicht lang überlegen: ihre Mitarbeit in der Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern“. Im Schlussbericht der Kommission „steckt viel grüne Programmatik drin“, freut sich Ganserer. Drei Jahre – von 2014 bis 2017 – hat die aus Zwiesel stammende Abgeordnete in dem Gremium mitgearbeitet, als einzige Grüne. Es ging darum, dass auch in kleinen Dörfern Busse fahren, dass es überall schnelles Internet gibt oder auch in strukturschwachen Räumen Jobs entstehen. Um Dinge also, die sehr viele Menschen betreffen.
Tatsächlich dürfte kaum jemand den Namen Ganserer mit der Enquete-Kommission verbinden. Oder mit sonstigen Themen, die mit Umwelt, dem ländlichen Raum oder dem öffentlichen Dienst in Bayern zu tun haben – alles Bereiche, für die sich Ganserer im Landtag engagiert; im Ausschuss öffentlicher Dienst fungiert sie seit Herbst 2018 sogar als stellvertretende Vorsitzende.
Bundesweit bekannt ist sie stattdessen für ihre Transidentität. Ende 2018 hatte Ganserer als erste Abgeordnete in einem deutschen Landesparlament ihre Transidentität bekannt gegeben und lebt seither offen als Frau. Im 21. Jahrhundert eigentlich kein großes Ding mehr, sollte man meinen. Gemessen an den Reaktionen auf Ganserers Outing haften indes unfassbar viele Zeitgenossen noch immer den Normen und Vorstellungen vergangener Zeiten an.
Auf Twitter toben sich die Selbstgerechten völlig ungehindert aus
Richtig schlimm wütet der Empörungssturm – natürlich – in den sozialen Medien. Besonders auf Twitter tobt sich die Schar der Selbstgerechten aus. Weshalb Ganserer jetzt beschlossen hat, ihren Twitter-Account künftig von ihrem Team betreuen zu lassen.
Keinerlei Probleme haben Ganserer dagegen die Kollegen im Landtag bereitet. Der Umgang mit ihrer Transidentität fiel quer durch die Fraktionen professionell aus. Selbst die AfD wahrt dort die Contenance. „Bisher haben mich die Abgeordneten der AfD in meiner Gegenwart anständig behandelt“, konstatiert Ganserer. In den sozialen Medien sind AfD-ler weniger zurückhaltend, dort finden sich teils unterirdische Kommentare über Ganserer und andere Trans-Menschen. Sehr relaxed reagiert die CSU. So sicherte Landtagspräsidentin Ilse Aigner ihrer Grünen-Kollegin Ganserer zu, sie „als Frau zu behandeln, unabhängig davon, wie die rechtliche Situation ist“.
Die ist in der Tat verheerend. Wer sich als transident outet, darf vor dem Gesetz nämlich nicht einfach vom Mann zur Frau werden – oder umgekehrt. Jedenfalls nicht in Deutschland. Derzeit müssen Betroffene zwei psychiatrische Gutachten vorlegen – die Kosten von rund 2500 Euro sind aus eigener Tasche zu bezahlen. Trans-idente Menschen erachten diese Zwangsbegutachtung als diskriminierend. Ganserer hat es bisher nicht über sich gebracht, in Gegenwart eines Psychiaters ihr Innerstes nach außen zu kehren. Das sei „ein unzulässiger Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte“, klagt sie. „Ich krieg das emotional nicht hin.“ Länder wie Argentinien, Irland, Belgien oder Luxemburg ermöglichen es Betroffenen, ihren Vornamen und ihr Geschlecht einfach beim Standesamt ändern zu lassen. Ohne, dass dort die Welt zusammengebrochen ist.
„Manchmal denke ich, wäre ich doch nur bei meinen Bäumen geblieben“
Zu den Grünen kam Ganserer bereits vor über 20 Jahren. Sie wollte sich damals politisch engagieren, las Programme verschiedener Parteien und fand die Ökopartei am überzeugendsten. „Das klare ökologische Profil hat mich überzeugt“, erinnert sie sich. Umwelt- und Naturschutz waren für sie schon immer wichtige Themen. Ihr Vater war Waldarbeiter. „Er hat mir die Liebe zur Natur in die Wiege gelegt“, erzählt Ganserer. Nach dem Fachabitur studierte sie Forstwirtschaft, arbeitete in einer Gartenbaufirma.
Noch heute ist der Wald ihr Zufluchtsort. „Dorthin ziehe ich mich immer wieder gern zurück“, bekennt Ganserer. „Man kommt als ganz anderer Mensch raus.“ Manchmal, wenn der Alltag besonders stresst, beschleiche sie der Gedanke, „wäre ich doch nur im Wald und bei meinen Bäumen geblieben“.
Kurze Zeit nach ihrem Studienabschluss begann Ganserer dann, als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Freisinger Grünen-Landtagsabgeordneten Christian Magerl zu arbeiten. Dort blieb sie insgesamt acht Jahre – bis sie 2013 selbst in den Landtag gewählt wurde. Fortan kümmerte sich Ganserer im Parlament um Forstthemen. Und um den öffentlichen Dienst – dafür gibt es in Bayern als einzigem Bundesland einen eigenen Landtagsausschuss.
Sie ist offen für schwarz-grüne Bündnisse
Ihr Job als Vizevorsitzende im Ausschuss öffentlicher Dienst behagt ihr aus zwei Gründen: Zum einen, weil sie es als „wunderschöne Aufgabe“ erachtet, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bayern gute Arbeitsbedingungen haben. Daneben schätzt Ganserer die kollegiale Arbeitsatmosphäre in dem Gremium. „Hier findet nicht der große Schlagabtausch statt“, betont die Grüne. „Uns eint der Wunsch nach guten Arbeitsbedingungen für die Bediensteten.“ Entsprechend angenehm und konziliant kommt sie als Ausschussvizin rüber. „Sie geht niemanden scharf an, fällt den Abgeordneten nicht ins Wort“, sagt ein Beobachter im Landtag. Wenn sie selbst rede, sei dies „selbstbewusst und klar“.
Seit der Landtagswahl vor einem Jahr fungiert Ganserer zudem als queerpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Ist also zuständig für die Rechte von homosexuellen oder Trans-Menschen. Hier gibt es vor allem im konservativ regierten Bayern noch viel zu tun. Trotz der durchaus praktizierten Liberalitas Bavariae. Alle Länder, klagt Ganserer, hätten inzwischen einen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt oder bereiteten solche Pläne vor. Damit soll Homo- und Transphobie in allen Bereichen – öffentlicher Dienst, Wirtschaft, Bildung – bekämpft werden.
Noch sträubt sich die CSU dagegen. Auch deshalb bedauert Ganserer, dass es 2018 nicht geklappt hat mit Schwarz-Grün in Bayern. Und blickt hoffnungsfroh in die Zukunft. Sie persönlich ist offen für ein Bündnis mit den Christsozialen. Klar müsste man dann Kompromisse schließen, sagt Ganserer. Und attestiert sich vorsorglich schon mal den dafür nötigen „gesunden Pragmatismus“.
(Waltraud Taschner)
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