Landtag

Anna Rasehorn (32) im Plenarsaal. (Foto: Sophia Pelzer)

24.05.2024

Die Vorlaute

Im Porträt: SPD-Vizechefin Anna Rasehorn

Anna Rasehorn aus Augsburg gibt unumwunden zu: „Ich bin vorlaut.“ So ermahnte die 32-Jährige bei einer ihrer ersten Reden im Landtag Wirtschaftsminister Aiwanger (Freie Wähler), gut zuzuhören. „Hier können Sie etwas von einer jungen Abgeordneten lernen“, erklärte sie dem Minister.

Warum sie immer im Angriffsmodus ist? „Wir Frauen müssen uns Respekt viel mehr erkämpfen als Männer“, sagt die selbsterklärte Feministin und Gender-Verfechterin. Als sie 2014 in den Augsburger Stadtrat gewählt wurde, sei ihr gesagt worden, sie solle still sein und hübsch ausschauen. Auch im Landtag, stöhnt Rasehorn, gehe es noch immer chauvinistisch zu: „Wenn eine Frau ans Rednerpult tritt, steigt regelmäßig der Gesprächspegel der männlichen Kollegen“, klagt sie.

Ihrer vorlauten Art dürfte Rasehorn auch ihre politische Karriere verdanken. In die SPD eingetreten ist sie schon mit 16, als Neonazis der Opfer der Augsburger Bombennacht im Zweiten Weltkrieg gedachten. „Von da an wollte ich mich gegen Geschichtsrevisionismus engagieren.“

Nachdem sie fünf Jahre Vorsitzende der Jusos in Augsburg war, fragte sie 2019 der damalige Juso-Chef und heutige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, ob sie in den Bundesvorstand kommen wolle. „Ich hatte ziemlich lautstark für die NoGroKo-Kampagne geworben“, sagt sie und lacht. Also gegen eine Neuauflage der Großen Koalition – wegen der vielen Kompromisse. Und die bayerischen Jusos sagten: „Rasehörnchen, es wäre gut, wenn du uns vertrittst.“

Geboren ist Rasehorn in „Augschburg“, wie sie sagt, wo sie in einer Adoptivfamilie aufwuchs. Schon in der Schule war sie als Klassensprecherin bei den Lehrkräften gefürchtet. Als sie mit 15 Jahren neben der Schule Geld verdienen wollte, begann sie bei der AWO Altenpflege zu arbeiten, wo ihr Vater Geschäftsführer war.

Die sinnstiftende Arbeit gefiel ihr, weshalb sie nach dem Abitur anfing, in Augsburg Rechts- und Sozialwissenschaften zu studieren und bis zum Einzug in den Landtag als Altenpflegehelferin in einer Wohngruppe zu arbeiten. Dann kam ihr Sohn auf die Welt. Das Staatsexamen bestand sie nicht. Baby, Stadtratsarbeit, Altenpflege: „Ich hatte zu viele Bälle in der Luft“, erinnert sie sich. Dieses Jahr will sie das Studium aber abschließen – die Universität in Trier bietet die Prüfung zum Bachelor of Law auch ohne vorheriges Examen an. 

Um die Bälle in der Luft zu reduzieren, wollte Rasehorn auch für den Landtag kandidieren und ihre politische Arbeit zum Beruf machen. Als Stadträtin arbeite sie ehrenamtlich. „In der Partei haben aber viele mit meinem ungeraden Lebenslauf gehadert“, erinnert sie sich. Doch bei der Auslosung für den Stimmkreis Augsburg-Stadt- Ost fiel das Losglück auf sie. Die Menschen honorierten ihre vorlaute Art und ihren nicht perfekten Karriereweg. Und wählten sie vom fünften auf den zweiten Listenplatz nach vorne – gerade genug, um als jüngste SPD-Abgeordnete in den Landtag einzuziehen. 

Baby, Stadtratsarbeit, Altenpflege, das war zu viel

Im Maximilianeum wurde die 32-Jährige direkt zur Vizefraktionsvorsitzenden gewählt. Wie ihr das ganz ohne Netzwerk gelang, wo es bei Personalentscheidungen bei den Sozialdemokraten doch regelmäßig zu Kampfabstimmungen kommt? „Ich bin natürlich gleich wieder lautstark aufgefallen“, sagt sie. Und schiebt ernst hinterher: „Mir ging es darum, die Grabenkämpfe zu beenden und Brücken zu bauen.“ Die Partei habe sich viel zu lange mit sich statt mit Inhalten beschäftigt, daher auch die schlechten Wahlergebnisse.

Ein wenig knirscht es aber immer noch in der Fraktion, auch zwischen Rasehorn und ihrem Fraktionschef Florian von Brunn. „Es wäre unehrlich zu sagen, wir sind uns inhaltlich bei allen Fragen einig“, sagt sie. „Aber wir gehen als Mannschaft auf den Platz, und er ist unser Teamkapitän.“

Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass Rasehorn lieber im Ausschuss für Gesundheit oder Soziales sitzen würde. Doch es wurde der Ausschuss für Umwelt- und Verbraucherschutz. Ihr Thema dort: der Wassercent. Großkonzerne sollen nicht länger umsonst Grundwasser schöpfen dürfen, um es den Menschen anschließend zu verkaufen.

Ihr Leib- und Magenthema ist der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Ihr Ziel im Landtag ist es, „die AfD inhaltlich zu stellen“ und das in den sozialen Medien zu verbreiten. „Ich bin auf dem Weg, die AfD wieder einmal auseinanderzunehmen“, postete sie zuletzt auf Tiktok. Rasehorn unterstützt auch ein AfD-Verbotsverfahren.

Was ihr außerdem wichtig ist: bei allen Gesetzen die Auswirkungen auf junge Menschen zu prüfen. 

Um die Kindererziehung kümmern sich Rasehorn und ihr Mann, ein Rechtsanwalt, zu gleichen Teilen. „Zumindest versuchen wir es.“ Da beide beruflich eingespannt sind, müssen oft die Großeltern einspringen.

In ihrer Freizeit zeigt Rasehorn ihre „nerdige Seite“, wie sie sagt. Sie spielt zum Beispiel gerne Computerspiele wie Age of Empires oder das Rollenspiel Dungeons & Dragons – zuletzt bis tief in die Nacht mit der SPD-Landesvorsitzenden Ronja Endres.

Eine weitere Leidenschaft der früheren Mädchenfußballerin ist der FC Augsburg. So oft es geht, schaut sie die Spiele im Stadion. „Meine Dauerkarte ist direkt neben dem Ultra-Fanblock“, sagt sie und grinst. Entsprechend hat Rasehorn auch den ersten FCA-Fanclub des Landtags gegründet. Dabei können sich die schwäbischen Abgeordneten kennenlernen und überfraktionell austauschen. Auch Landtagsdirektor Peter Worm ist dabei. Was sie einerseits freut und andererseits beunruhigt: „Dass wir mit 19 Personen schon mehr Mitglieder haben als die SPD-Fraktion.“ (David Lohmann)

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