Beate Merk war in ihren 27 Jahren als CSU-Politikerin schon so ziemlich alles, was man in Bayern werden kann. Zuerst Mitglied des Kreistags, des Bezirkstags und Stellvertreterin des Landrats. Danach acht Jahre lang Oberbürgermeisterin von Neu-Ulm und 15 Jahre lang Ministerin – erst Justiz-, dann Justiz- und Verbraucherschutzministerin, schließlich Europaministerin. Und nun seit 2018 „einfache” Landtagsabgeordnete. Nur Ministerpräsidentin war sie nicht, aber bis in Bayern eine Frau als Regierungschefin akzeptiert wird, wird es wohl noch dauern.
Dafür, dass Beate Merk 27 Jahre Politik auf dem Buckel hat, wirkt sie im Gespräch sehr locker. Und im Vergleich zu anderen Ex-Kabinettsmitgliedern redet sie von sich aus wenig über ihre „große Zeit“ unter drei CSU-Ministerpräsidenten (Edmund Stoiber, Günther Beckstein, Horst Seehofer). Ihre zehn Jahre als Justizministerin zwischen 2003 und 2013 wurden allerdings zuletzt ziemlich vom Fall Mollath überschattet. Merk blieb strikt dabei, Gustl Mollath sitze zu Recht in der Psychiatrie – auch als sich längst abzeichnete, dass das rechtskräftige Unterbringungsurteil ein glattes Fehlurteil war.
Heute, zehn Jahre danach, spricht Merk am liebsten über Gesundheitspolitik. Seitdem sie „nur“ noch Abgeordnete ist, sitzt die 65-Jährige im Gesundheitsausschuss, und das Thema nimmt sie sehr ernst. „Witzig, dass ich in einen Ausschuss gegangen bin, der dann so in den Mittelpunkt gerückt ist“, sagt sie. Nach der Landtagswahl 2018 habe ja kein Mensch ahnen können, dass die Gesundheitspolitik ein gutes Jahr später alles dominieren werde.
Aber es ist keineswegs nur die Pandemie, die sie beschäftigt. Im Juni dieses Jahres hielt sie eine eindringliche Rede über Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Das betrifft etwa Fiebersäfte für Kinder oder auch Tamoxifen, ein Arzneimittel, das seit den 70er-Jahren zur Therapie gegen Brustkrebs bei Frauen eingesetzt wird. Beate Merk nannte in ihrer Rede vor dem Plenum genaue Zahlen: Tamoxifen bewahre statistisch gesehen 13 Prozent der Patientinnen vor einer Rückkehr des Brustkrebses. Und nun war das Medikament auf einmal Mangelware.
Natürlich ist der Landtag in dem Fall nicht die Ebene, auf der man den entscheidenden Hebel ansetzen kann. Aber man müsse „den Finger in die Wunde legen“, meint Merk. Die Rabattverträge zwischen den Herstellern und den Krankenkassen würden „von Berlin aus gesteuert“; dort, aber auch in Brüssel, müsse sich etwas bewegen. Mittlerweile sei die Lage nicht mehr ganz so schlimm, weil der Versorgungsnotstand erklärt worden sei, wodurch unterschiedliche Möglichkeiten des Imports erlaubt seien.
„Wir müssen alles tun, um Arzneimittelsicherheit zu haben“, sagt Beate Merk. Bei einer Reise nach Brüssel und einer Fahrt zur Firmenzentrale von Sandoz Deutschland, der Muttergesellschaft von Hexal und 1 A Pharma in Holzkirchen, habe man sich gegen eine weiter steigende Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland und für die Stärkung der Arzneimittelproduktion in Bayern eingesetzt. Auf jeden Fall müsse man sich breiter aufstellen, um nicht am Ende von einem einzigen Hersteller abhängig zu sein.
In ihrer Zeit als Ministerin profilierte sich Beate Merk als linientreue Christsoziale. Ob sie die Verschärfung des Jugendstrafrechts forderte oder die des alten Blasphemie-Paragrafen – sie ließ nichts aus, was konservativ-klerikale Herzen höherschlagen ließ. Heute engagiert sich die promovierte Juristin für ein Thema, das man eher bei einer Grünen-Abgeordneten erwarten würde: geschlechterspezifische Medizin. „Viele Forschungen orientieren sich immer noch allein an männlichen Probanden“, gibt Merk zu bedenken. „Dabei äußern sich Krankheiten wie zum Beispiel Herzinfarkt bei Mann und Frau völlig anders.“ Mit der Folge, dass der Herzinfarkt bei Frauen nicht selten übersehen werde.
Bei der Dosierung von Medikamenten dürfe das Gewicht der Patientin nicht das einzige Kriterium sein: „Die Frau ist kein leichterer Mann. Und Kinder sind auch keine kleinen Erwachsenen.“ Sie fügt, völlig unbekümmert um die nicht enden wollende konservative Aufregung um das Gender-Thema, hinzu: „Oder auch Kinder, die vielleicht gar nicht wissen, sind sie Mädchen oder Junge.“ Beate Merk lässt keinen Zweifel daran, dass sie bei der Geschlechterfrage für eine Abkehr vom Schema F und für mehr Differenzierung plädiert.
In der Pandemie bescheinigt sie Bayern von Anfang an eine „klare Linie“: „Wir müssen den Menschen sagen, was wir für richtig halten, da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Man habe schon wieder vergessen, „wie dramatisch die Situation am Anfang war“, findet Merk. Dabei sei doch fast jeder persönlich davon berührt worden: „Ein guter Freund von mir hat es nicht überlebt, eine Mitarbeiterin ist wochenlang im Koma gelegen und leidet heute noch unter Long-Covid.“
Geschlechterspezifische Medizin ist ihr ein Anliegen
Das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das die bayerischen Einschränkungen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 für unverhältnismäßig erklärte, ist für Beate Merk kein Beinbruch: „Wenn das hinterher rechtlich anders eingeschätzt wird, müssen wir damit leben.“ Es sei „eine extrem schwierige Zeit“ gewesen damals, „wir wussten zu Beginn nicht, wo kommen die Ansteckungen her, wo sind die Menschen am meisten gefährdet“. Es sei das einzige Ziel gewesen, „so viel Schutz für die Menschen zu haben wie möglich, möglichst nicht in so eine Situation zu kommen, wie es etwa unsere italienischen Freunde erleben mussten“.
Das Resümee der langjährigen Justizministerin und jetzigen Gesundheitspolitikerin lautet: „Im Endeffekt sind natürlich viel zu viele Menschen gestorben, viel zu viele krank geworden, aber ich meine, wir haben doch sehr viel verhindern und wir haben viele, viele Menschen schützen können.“ Und das sei doch „unterm Strich das Wichtige“, da sei es „nicht so arg, wenn wir da mal übers Ziel hinausgeschossen sind“. Dass die anfänglich übertriebene Härte die Leute in die Arme der Verharmloser und Leugner*innen getrieben haben könnte, lässt sie nicht gelten: „Wenn ich wegen so etwas auf Distanz zu unserm Rechtsstaat geh, dann bin ich irgendwo falsch gepolt, tut mir leid.“
2023 tritt Beate Merk nicht mehr an. „Ich hab dann 28 Jahre Politik hinter mir. Ich glaube, das ist eine gute Zeit gewesen, und dann werd ich andere Wege beschreiten.“ Sie sei nach wie vor Rechtsanwältin. Ansonsten will sie mehr Zeit draußen verbringen, mit ihrem Hund. Sie lacht: „Bewegung, alles, was man in meinem Alter dringend tun muss.“ (Florian Sendtner)
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