Beleidigungen und Ausgrenzung: Mobbing an Schulen ist ein ernstzunehmendes Problem. Doch Lehrkräften fehle es oft an der Zeit, jedem Schüler gerecht zu werden, monieren Experten im Bildungsausschuss. Was sie ebenfalls fordern: mehr fachliche und personelle Unterstützung – zum Beispiel durch Schulpsychologen.
Lehrer und Schulen sollten mehr Unterstützung bei der Bekämpfung von Mobbing erhalten. Diese Empfehlung sprachen zahlreiche Experten bei einer Anhörung im Bildungsausschuss des Landtags aus. Zwar gebe es mehrere Einzelprojekte, doch kämen diese zu wenig an den Schulen an. Ähnlich den Bestimmungen im Brandfall oder bei Amok-Lagen brauche es an jeder Schule eine Richtlinie, wie bei Mobbing-Fällen vorzugehen sei. Um der Bedeutung der Problematik gerecht zu werden, müsse es eine Pflicht zur Erstellung der Konzepte geben. Zudem forderten die Experten mehr Anrechnungsstunden für Beratungslehrer und die Anstellung zusätzlicher Schulpsychologen. Laut wissenschaftlichen Studien werden drei bis fünf Prozent aller Schüler im Laufe ihrer Schulzeit mindestens einmal Opfer von Mobbing. Im Durchschnitt ist das ein Schüler in jeder Klasse.
Karmen Schmid-Kinzler, Beratungslehrerin an der Augsburger Hans-Adlhoch-Mittelschule, empfahl, an allen Schulen Interventionsteams gegen Mobbing einzurichten. An ihrer Schule gebe es ein solches Team, allerdings auf freiwilliger Basis und ohne zusätzliche Anrechnungsstunden für die beteiligten Lehrkräfte. Dabei sei die Arbeit sehr zeitintensiv und ohne Entlastung von der Unterrichtsverpflichtung kaum zu schaffen. Claudia Höhendinger, Vizechefin des Verbands der Beratungslehrer in Bayern, ergänzte: „Wir sind gut ausgebildet, wir können das stemmen, aber wir brauchen dazu mehr Zeit.“ Als Richtwerte nannte sie eine Entlastungsstunde pro 120 Schüler sowie eine Lehrkraft mit schulpsychologischer Ausbildung je Schule.
Die Eltern von Tätern sind oft uneinsichtig
Nach Einschätzung von Tobias Dippold, Beratungsrektor an der Realschule Memmingen, „sind wir Schulpsychologen an der Leistungsgrenze“. Schließlich sei Mobbing nur ein Aufgabenbereich unter vielen. Er zum Beispiel betreue zwischen Kempten und Neu-Ulm vier Realschulen mit zusammen 2500 Schülern. Das beanspruche ihn mehr als die ihm gewährten zehn Anrechnungsstunden pro Woche. Zudem forderte er, auch die Klassenlehrer besser für die Bewältigung von Mobbingfällen zu rüsten. „Wir müssen die Leute stärken, die jeden Tag vor der Klasse stehen“, sagte er. Mit strengen Blicken oder einem Verweis sei Mobbing nicht beizukommen. Lehrer bräuchten dafür ein Grundrüstzeug und professionelle Ansprechpartner.
Mehr Beachtung verlangten die Experten zudem für das Mobbing über soziale Netzwerke. Whats-app-Gruppen oder Instagram-Profile seien inzwischen in rund 80 Prozent der Mobbingfälle ein verschärfendes Problem, erklärte Gregory Grund vom Beratungsverein „Digitale Helden“. Wegen seiner ständigen Verfügbarkeit schaffe das Digitale eine ganz andere Bedrohungskulisse. Mobbing-Opfer seien den Nachstellungen nicht mehr nur an der Schule ausgesetzt, sondern den ganzen Tag über. „Digitalisierung ist wichtig und richtig, aber sie hat auch ihre Schattenseiten, die im Moment zu wenig gesehen werden“, mahnte Höhendinger in Richtung Politik. Schmid-Kinzler appellierte an die Schulen, die Eltern bezüglich der digitalen Medien mehr in die Verantwortung zu nehmen. Dies könne, berichtete Jörg Breitweg von der „Aktion Jugendschutz“, auch im Rahmen von Vereinbarungen zwischen Schule und Eltern geschehen.
Eine besondere Aufgabe sah der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Anton Flunger bei den Schulleitern liegen. Rektoren müssten „mutig“ sein und auch gegen den Widerstand der oft uneinsichtigen Eltern von Mobbing-Tätern klarstellen, dass Mobbing an ihrer Schule nicht toleriert werde. Dies helfe, ein Schulklima zu schaffen, das Mobbing erkennbar ächte. Die Münchner Psychologie-Professorin Mechthild Schäfer berichtete, dass im Regelfall deutlich mehr als die Hälfte einer Klasse gegen Mobbing sei. Diese oft schweigende Gruppe müsse ermutigt werden, offen gegen Nachstellungen aufzutreten und damit auch Mitläufer auf ihre Seite zu ziehen. Meist seien Mobbing-Täter nur deshalb erfolgreich, weil ihnen in der Klasse der Raum für ihr unsoziales Verhalten gelassen werde. „Mobbing kann nur beendet werden, wenn eine pädagogische Führung vorhanden ist“, verwies Breitweg ergänzend auf die Verantwortung der Lehrkräfte. Dazu müssten diese aber entsprechend geschult und unterstützt werden.
Genau das war das Anliegen der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann. Lehrer seien in Mobbing-Situationen häufig überfordert, sei es wegen fehlender Expertise oder wegen des Drucks, Unterrichtsstoff und Prüfungen durchzubringen. Die Lehrkräfte bräuchten mehr fachliche und personelle Unterstützung in einem immer schwieriger werdenden Lernumfeld. „Es ist uns Lehrern nicht egal, ein Kind leiden zu sehen, aber allein sind wir nicht in der Lage, jedem einzelnen vollauf gerecht zu werden“, sagte sie. Fleischmann begrüßte Aussagen anderer Experten, wonach von den Schulen Druck genommen werden müsse. (Jürgen Umlauft)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!