Fast zwei Drittel der Medienschaffenden waren letztes Jahr von Hassreden betroffen – 20 Prozent mehr als 2017. Opfer sind vor allem Frauen, Transgender oder Menschen mit ausländischen Wurzeln. Die Täter kommen laut einer Studie fast immer aus dem rechten Milieu. Doch viele Medienhäuser nehmen das Problem noch nicht ernst.
Es ist nicht immer einfach zu ertragen, was Medienschaffende bei einem Fachgespräch im Landtag über Hatespeech berichten. Er gehöre „totgeschossen“, sind noch die harmloseren Kommentare, die BR-Journalist Malcolm Ohanwe regelmäßig bekommt. Dabei hatte er nur über den CO2-Ausstoß der westlichen Welt berichtet. Sein Video über Verschwörungstheorien musste kurz nach dem Hochladen wieder gelöscht werden, weil die Redaktion keine Kapazitäten hatte, rund um die Uhr die rassistischen Kommentare und Beschimpfungen zu entfernen. Der gebürtige Münchner hat sich entschieden, sich trotz der Angriffe nicht zu verstecken, sondern in die Offensive zu gehen. „Denn das Problem ist“, sagt er, „dass die Verantwortlichen beim nächsten Mal wahrscheinlich lieber einen weißen Menschen mit einem solchen Beitrag beauftragen.“
Ohanwe berichtet, dass Internettrolle gezielt gegen Minderheiten hetzen: Medienschaffende mit Übergewicht, Akzent, anderer Hautfarbe oder Transgender. Viele würden sich wegen der vielen Morddrohungen oder Vergewaltigungsfantasien nicht mehr trauen, ihre Twitter-Nachrichten zu lesen. „Normalen“ Kollegen und Vorgesetzten fehle häufig die nötige Sensibilität, weil sie weniger von Hatespeech betroffen sind. Er selber sei zum Beispiel die erste arabische und schwarze Person, die in den letzten 30 Jahren beim BR ein Volontariat gemacht hat. „Statt bei Angriffen Rückhalt zu bekommen, heißt es dann nur: Bitte entfernen Sie auf Ihrem Social-Media-Profil den Hinweis, dass Sie für uns arbeiten.“ Dabei kämen die Nachrichten nicht von echten Lesern oder Zuschauerinnen, sondern von rechten Trollen, die ihre Angriffe über Telegram-Gruppen systematisch koordinieren.
Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der bundesweiten Organisation HateAid, die Menschen in Verfahren gegen Hatespeech unterstützt, sagt, Ohanwes Schilderungen seien kein Einzelfall. „Klimawandel, Rechtsextremismus, Gleichstellung – wer über solche Triggerthemen berichtet, ist häufiger von Angriffen betroffen.“ Darunter leiden vor allem Frauen. Aus ihrer Erfahrung sind bei Männern nur zehn Prozent aller Hasskommentare strafrechtlich relevant, bei Journalistinnen seien es hingegen 90 Prozent. „Vergewaltigungsandrohungen sind der Klassiker“, berichtet von Hodenberg. Bei migrantischen, schwarzen oder lesbischen Frauen werde es umso heftiger – bis hin zu Verstümmelungsfantasien der Vagina.
Sorgen bereitet von Hodenberg, dass in letzter Zeit vermehrt versucht wird, die Privatadressen der Journalistinnen oder den Namen der Schule der Kinder herauszufinden. Die Bilder der Vor-Ort-Besuche werden dann in den sozialen Netzwerken geteilt. Sie rät Medienschaffenden daher mit Nachdruck, bei der jeweiligen Stadt eine Auskunftssperre für Meldedaten einzurichten. Auch fordert sie, in den Redaktionen unabhängige Ansprechstellen für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen einzurichten. „Wenn eine junge Journalistin plötzlich gephotoshopte Nacktbilder von sich im Netz findet, möchte sie damit nicht unbedingt zum 60-jährigen Chef gehen.“ Generell sollten sich auch Medienhäuser bei Angriffen viel offensiver vor ihre Beschäftigten stellen als bisher. „Es geht schließlich um den freien Journalismus.“
Andreas Zick von der Universität Bielefeld konnte die Schilderungen der Betroffenen mit Zahlen unterlegen. Der Konfliktforscher hat in einer Studie untersucht, wie oft und bei welchen Themen Medienschaffende Hass und Gewalt erleben. Seine erschreckende Erkenntnis: Ende 2019 wurden rund 60 Prozent der Medienschaffenden mindestens einmal angegriffen – 20 Prozent mehr als bei der letzten Untersuchung 2017. 37 der Journalistinnen und Journalisten in Bayern haben regelmäßig und mehrfach Angriffe erlebt. 13 Prozent berichten von Morddrohungen, zwölf Prozent von körperlicher Gewalt. In den restlichen Bundesländern sind die Zahlen ähnlich. Durch die weitere gesellschaftliche Spaltung durch die Corona-Krise dürften die Zahlen dieses Jahr nicht weniger geworden sein.
In der Studie sagten 76 Prozent der bayerischen Befragten, die Angriffe kämen von Rechts – mehrheitlich von der AfD. Acht Prozent wurden vom linken Spektrum angegangen, die restlichen 16 Prozent waren nicht eindeutig zuordenbar. Anders als in anderen Bundesländern, wo Hass und Gewalt vor allem in den sozialen Netzwerken gesät werden, erreichen bayerische Medienschaffende Hasskommentare noch traditionell per E-Mail und als Leserbrief. Die gute Nachricht: Im Gegensatz zur 2017er-Studie verarbeiten weniger Medienschaffende die psychische Belastung individuell, sondern besprechen sich mit Kollegen und Juristen. Was laut Zick aber nach wie vor fehlt, sind Schulungsangebote und Schutz bei Außeneinsätzen wie Demos.
Rechtzeitig eine Auskunftssperre beantragen
Bayerns Hatespeech-Beauftragter Klaus-Dieter Hartleb versicherte, bei seiner Arbeit ein großes Augenmerk auf Medienschaffende zu legen, weil durch die Angriffe die Meinungsvielfalt gefährdet sei. Erst kürzlich habe er aufgrund der hohen Bedeutung ein Verfahren an sich gezogen, in dem ein namhafter BR-Redakteur „übelst beschimpft und beleidigt wurde“. Natürlich sei die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Täters und des Ehrenschutzes des Opfers oft eine Einzelfallentscheidung. Aber Bayern hat bei jeder der 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate eingerichtet, um für eine möglichst einheitliche Rechtsprechung zu sorgen – egal ob die Beleidigung in Hof oder in Traunstein erfolgte.
Um die Zahl der Hasskommentare zu senken, können Medienunternehmen und Kommunalpolitiker*innen künftig Angriffe direkt an die Generalstaatsanwaltschaft weiterleiten. Eine abschreckende Wirkung erhofft sich Hartleb auch durch die Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Ab 2021 sollen soziale Netzwerke Hasspostings dem Bundeskriminalamt melden müssen. „Durch das Gesetz werden bundesweit 150 000 bis 250 000 zusätzliche Ermittlungsverfahren entstehen“, ist Hartleb überzeugt.
Allerdings greift die Staatsanwaltschaft auch jetzt schon hart durch. 80 Prozent der Verfahren betreffen den Tatbestand der Volksverhetzung. Dabei werden in der Regel Strafen von vier Monatsnettogehältern verhängt – inklusive Eintragung ins Führungszeugnis. „Und wer vorbestraft ist“, betont Hartleb, „den kann ein Hasskommentar direkt ins Gefängnis führen.“ (David Lohmann)
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