Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts – so lautet dieses Jahr das Motto des Bayerischen Integrationspreises. Aus insgesamt 46 Bewerbungen wählte eine Jury des Bayerischen Integrationsrats drei Preisträger aus. Dieser wurde 2010 ins Leben gerufen und besteht aus 90 Mitgliedsverbänden aus den Bereichen Migration und Wohlfahrt. Vorsitzende ist die Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Gudrun Brendel-Fischer (CSU).
Den ersten Platz belegen 2022 die EineWelt-Hebammen, ein Zusammenschluss sechs freiberuflicher Hebammen aus Regensburg. Sie kümmern sich seit 2015 um Frauen, die schwanger oder mit einem neugeborenen Kind im dortigen Ankerzentrum oder in den Gemeinschaftsunterkünften stranden. Natürlich haben manche auch ihren Partner dabei. „Viele Frauen waren aber monate- oder sogar jahrelang auf der Flucht und haben Vergewaltigungen und Zwangsprostitution erlebt“, berichtet Elfriede Schütz. Sie bräuchten dringend eine Stimme, seien aber durch Flucht und Kind zu kraftlos.
Die Hebammen sind nicht bei der Geburt dabei, sondern bieten eine wöchentliche Hebammensprechstunde und eine aufsuchende Wochenbettbetreuung an, wo sie über Schwangerschaft, Geburt, Ernährung und Verhütung informieren. „Viele Frauen hören bei uns zum ersten Mal die Herztöne ihres Kindes“, erzählt Schütz. Viele hätten dabei Freudentränen in den Augen. Rund 800 geflüchteten Frauen konnten die EineWelt-Hebammen inzwischen bereits Unterstützung geben, Stabilität vermitteln und mit anderen Kooperationspartnern vernetzen.
Mit dem Preisgeld in Höhe von 3000 Euro wollen die EineWelt-Hebammen die Geburtsvorbereitung weiter verbessern. Zum einen haben viele Frauen keine gute Schulbildung, weshalb mehr mit Bildmaterial gearbeitet werden soll. Das soll auch den Frauen helfen, sich zu entspannen. Durch die Flucht und die Sorge vor einer Abschiebung ist das Risiko für Früh- und Totgeburten bei ihnen deutlich erhöht. Zum anderen soll mit dem Geld auch der Austausch zwischen den Müttern untereinander gestärkt werden. Schütz könnte sich beispielsweise eine fremdsprachliche Stadtführung mit Müttern und Neugeborenen vorstellen.
Den zweiten Platz belegt das Projekt SoulTalk aus Würzburg: Viele Geflüchtete kommen mit enormen psychischen Belastungen nach Deutschland. Das liegt natürlich oft an der Flucht. Viel schlimmer sei aber der Aufenthalt im Ankerzentrum, berichtet Miriam Christof von der Kongregation der Schwestern des Erlösers. „Viele Menschen wissen nicht, was mit ihnen passiert, das System ist unbekannt und angsteinflößend.“ Zudem sei Schlafmangel ein Problem, weil die Sorge vor einer nächtlichen Abschiebung die Menschen wachhalte.
Im Ankerzentrum Geldersheim und in der Teilgemeinschaftsunterkunft Würzburg bieten daher im Rahmen des SoulTalk-Projekts geschulte Geflüchtete, sogenannte Peer-Berater, den neu angekommenen Menschen seit 2017 psychosoziale Beratungsgespräche in der Muttersprache an. In Einzelgesprächen, aber auch in Gruppenmodulen wird über Probleme wie Suizidgedanken gesprochen und es werden Strategien entwickelt, um mit der Situation besser umgehen zu können. Bei tiefergehenden Problemen wie Selbst- oder Fremdgefährdung werden die Menschen an Fachleute überwiesen.
Wichtig für die Menschen ist auch, nicht nur Nachrichten aus ihrer Heimat zu lesen, sondern Sport zu treiben, sich auszutauschen und zu vernetzen. Die 1500 Euro Preisgeld sollen daher für Tischkicker, Yoga, Gärtnern, Basteln oder andere Gruppenaktivitäten eingesetzt werden. Durch Mundpropaganda und die hohe Zahl an ukrainischen Geflüchteten rechnet Christof mit einem steigenden Bedarf in den kommenden Monaten. Sie freut sich daher sehr über den Integrationspreis. „Es ist ein Zeichen, dass die Wichtigkeit unserer Aufgabe endlich wahrgenommen wird.“
Den zweiten zweiten Preis erhielt das Projekt TAFF – Therapeutische Angebote für Flüchtlinge aus Nürnberg. 2014 entwickelten die zwei Psychologen Astrid Utler und Stefan Schmid ein Empfehlungspapier für das Diakonische Werk Bayern, wie geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen im ländlichen Raum besser geholfen werden kann. Mit Beginn der 2015 einsetzenden Fluchtbewegung wurde ihr Konzept sofort in zwei Modellprojekten im Allgäu und in Oberfranken umgesetzt – mit Erfolg. Inzwischen gibt es das Projekt an zehn Standorten in ganz Bayern, mittlerweile auch in Kleinstädten wie Kempten.
Die Grundidee ist dieselbe geblieben: TAFF stellt an den jeweiligen Standorten Tandems aus Psychologie und Sozialarbeit bereit, die als erste Anlaufstelle dienen, wenn Ehrenamtliche, die Hausarztpraxis oder Menschen in den Behörden sich Sorgen um den psychischen Zustand des Geflüchteten machen. Das Tandem prüft in mehreren Schritten, wie akut der Unterstützungsbedarf ist und wie den Menschen geholfen werden kann. So konnte pro Jahr schon zwischen 700 und 900 Menschen geholfen werden.
Das Preisgeld von 1500 Euro will TAFF für eine notfallpsychologische Fortbildung für das Personal nutzen – also wie die Mitarbeitenden mit Klienten mit akuter Gewalterfahrung umgehen. Denn erstens komme es bei den hochbelasteten Menschen, die in den Unterkünften auf engstem Raum mit fremden Menschen leben müssen, immer wieder zu Gewalt, erklärt Schmid. „Zweitens hat das Thema durch die Ukraine eine Aktualität bekommen, die wir bisher nicht vorhersehen konnten.“ Außerdem will das 25-köpfige Team das Geld nach zwei Jahren Corona-Pause nutzen, um endlich mal wieder in Präsenz an neuen Konzepten zu arbeiten.
Die Integrationsbeauftragte Gudrun Brendel-Fischer, Integrationsminister Joachim Herrmann und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (alle CSU) werden die Preise am 6. Mai 2022 im Landtag überreichen. (David Lohmann)
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