Landtag

Lisa Loch, Robert Franken, Moderatorin Gülseren Demirel (Grüne), Ursula Münch, Moderatorin Ilse Aigner (CSU), Renate Schmidt und Nicole Schindelar (von links). (Foto: loh)

22.02.2019

Kann auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?

"LandTalk": Unterhaltsamer Auftakt von Landtagspräsidentin Ilse Aigners neuer Gesprächsreihe – Thema war 100 Jahre Frauenwahlrecht

„Liebe Schwesterinnen und Schwestern“: Kabarettist Wolfgang Krebs eröffnete in seiner Rolle als Edmund Stoiber den LandTalk – Ilse Aigner und Gäste im Maximilianeum. Er beschäftigte sich mit der Frage „Kann auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?“ Tatsächlich soll Eltern diese Frage von ihren Kindern schon gestellt worden sein. Für Krebs alias Stoiber sei jahrelang nicht vorstellbar gewesen, dass der Bundeskanzler kein Mann ist. „Heute sind Frauen gleichgeschlechtlich, äh, gleichberechtigt.“ Immerhin, betonte er, habe er bei einer Wahl nie gegen eine Frau verloren. „Vielleicht weil ich die bessere Frau bin.“

Es war der erste Landtalk, bei dem zur Premiere zum Thema Recht und Realität – warum heute noch Gleichstellung? diskutiert wurde. Anlass war die erste Rede einer Frau im Reichstag vor genau 100 Jahren. Seitdem sei zwar viel erreicht worden, sagte Aigner. „Dennoch sind wir bei der Teilhabe an Politik und Gesellschaft noch nicht so weit, wie wir sein wollen und sein sollten.“ Die vielen Zuhörer dürften ihr Kommen nicht bereut haben. Das neue Gesprächsformat wirkte moderner, unterhaltsamer und weniger parteipolitisch geprägt als frühere Podiumsdiskussionen – ohne das wichtige Thema zu banalisieren. Das lag neben dem Moderatoren-Duo Aigner und Demirel Gülseren (Grüne) vor allem an der Gästeauswahl.

Nicole Schindelar wurde durch ihren Instagram-Account „Schrottplatzprinzessin“ bekannt. Als ihr Vater starb, übernahm sie mit 27 Jahren die Leitung des Autoverwertungshofs in München. Einem Ort, an dem Frauen höchstens auf Pin-up-Kalendern existierten. „Mir wurde von den Mitarbeitern überhaupt kein Respekt entgegengebracht, und die Kunden haben mich nur belächelt“, erinnerte sie sich. Nur durch harte Arbeit sei es ihr gelungen, die Männer vom Gegenteil zu überzeugen. An manchen Tagen hatte sie selbst nach 16 Stunden Arbeit noch das Gefühl, nicht genug geleistet zu haben. Schindelar rät Frauen daher, weniger perfektionistisch zu sein. Tatsächlich bewerben sich Frauen laut Studien auf Stellenausschreibungen häufig nur, wenn sie die Anforderungen zu 100 Prozent erfüllen. Männern hingegen reichen oft 60 Prozent.

Arbeiten an einem Ort, an dem Frauen höchstens auf Pin-up-Kalendern existieren? Schwierig

Lisa Loch ist Moderatorin bei einem Sportfernsehsender. „Über 90 Prozent meiner Kollegen sind Männer“, erzählte sie. „Und die lassen Frauen gerne spüren, dass sie in der Überzahl sind.“ Doch Loch sitzt nicht nur deswegen auf dem Podium. 2001 wurde sie unfreiwillig bekannt, als Fernsehmoderator Stefan Raab sie nach einem Fernsehauftritt monatelang wegen ihres Nachnamens schmähte. Das führte so weit, dass sie von Fremden auf offener Straße beleidigt wurde. Obwohl es den finanziellen Ruin hätte bedeuten können, klagte die Familie gegen Raab – mit Erfolg. „Wir haben einen Präzedenzfall geschaffen, an dem kein Jurist mehr vorbeikommt“, sagte sie stolz. Weil Lochs Lehrer damals nicht eingeschritten sind, setzt sie sich jetzt an Schulen und Universitäten gegen Mobbing ein.

Robert Franken ist Berater für Digitales und Diversität, also ein Experte für vielfältig zusammengestellte Teams in der Berufswelt. „Aber keiner holt mich wegen der Diversität“, berichtete er. Er nutzt die Digitalisierung als Einfallstor, um Unternehmen die nötigen Veränderungen aufzuzeigen. Statt Frauen in Betrieben zu genormten Männern zu machen, sollten lieber die weiblichen Potenziale genutzt werden. „Und was soll das Wort ‚Wiedereinstieg’ nach der Geburt überhaupt? Die Frauen müssen doch nicht resozialisiert werden!“, unterstrich der selbsterklärte Feminist. In seinen Augen hat sich bisher nur die Art der Diskriminierung geändert. Früher hätten Chefs gesagt, Frauen können es nicht. Jetzt heißt es, Frauen wollen ja nicht. Hinzu kommt: Frauen erledigen pro Tag 80 Minuten mehr sogenannte Sorgearbeit als Männer, in der sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen könnten. O-Ton Franken: „Männer sollen nicht im Haushalt ‚helfen’ – weil es ihr Haushalt ist.“

Die ehemalige Bundesfrauenministerin Renate Schmidt (SPD) wird nach eigener Erzählung oft von jungen Journalisten zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ gefragt. „Die denken, ich war dabei“, scherzte sie. Mit ihren 75 Jahren blicke sie mit gemischten Gefühlen auf die Entwicklung zurück. „Inzwischen können Männer nicht mehr das Arbeitsverhältnis der Frau kündigen“, erzählte sie. Das war bis 1977 anders. Auch würden sich konservative Politiker nicht mehr trauen, arbeitende Mütter als „Rabenmütter“ zu bezeichnen. Schmidt hat das selbst erlebt. „Aber es hat sich insgesamt viel zu wenig und viel zu langsam verändert“, betonte sie und klagte über zu wenig Frauen in Führungspositionen und über weibliche Altersarmut. Auch der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Landtag mit 26 Prozent und im Bundestag mit 31 Prozent sei zu gering. „Damit sind wir auf dem Niveau vom Sudan.“

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, sprach sich für eine Frauenquote aus – allerdings nicht in den Parlamenten, sondern innerhalb der Parteien. Sie sei zwar kein Allheilmittel, würde es aber einfacher machen. Zusätzlich müssten Frauen Männern gegenüber aber auch konfrontativer auftreten, wenn sie eine spezielle Position haben wollen – „es geht schließlich um die männlichen Privilegien“. Das führe unweigerlich zu Konflikten. Männer würden nur einen Platz räumen, wenn dieser nicht attraktiv sei. An dieser Stelle unterbricht Schmidt: „Was meinen Sie, warum ich SPD-Landesvorsitzende geworden bin?“ (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Marco am 13.03.2019
    „es geht schließlich um die männlichen Privilegien" - Was für ein Unsinn von Frau Münch. In der Politik gibt es nicht den großen bösen Männerblock und den ihm gegenüberstehenden gerechten Frauenkampf. Dieses Narativ hört man ständig. Frauen merken dabei scheinbar nicht, wie unglaublich sexistisch das ist. In der Politik ist sich jeder selbst der Nächste. Männer kämpfen gegen Männer, Frauen kämpfen gegen Frauen. Und auch Frauen wollen "ihre" Privilegien nicht aufgeben. Das ist kein männliches Attribut. Das ist schlicht weg menschlich.
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