Landtag

Künstler stellen in einem Parkhaus am Albrecht Dürer Flughafen ihre Werke aus. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

17.03.2023

Kulturschaffende können von ihrer Arbeit nicht leben

Die schwarz-orange Regierungskoalition wollte eigentlich die Lage der Künstler*innen verbessern, viel getan hat sich nicht. Die Grünen protestieren

„Künstler*in zu sein muss man sich leisten können.“ Mit den immer noch herumgeisternden romantischen Vorstellungen vom Künstlerdasein räumten die Landtags-Grünen am Mittwoch gründlich auf. Das mittlere Einkommen selbstständiger Künstler*innen in Bayern liegt bei 2600 Euro brutto. Nicht im Monat – im Jahr.

„Wir machen uns für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Kunst- und Kulturschaffenden und deren angemessene Förderung stark.“ So steht es geschrieben im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern. Nach gut vier Jahren Söder-Aiwanger-Regierung nahmen die Landtags-Grünen nun einen Abgleich mit der Realität vor. Bei einem Pressegespräch unter Federführung von Sanne Kurz, Sprecherin für Kultur und Film, berichteten drei Fachfrauen über die ziemlich prekäre Lage der Künstler*innen in Bayern.

Untermauert wird der alles andere als rosige Befund durch die vom Kölner Büro für Kulturwirtschaftsforschung Michael Söndermann im Dezember 2022 vorgelegte „Einkommensstudie Künstler*innen in Bayern 2022“. Die im Auftrag der Landtags-Grünen erstellte Analyse wertete Arbeitslosen-, Beschäftigungs- und Entgeltstatistiken der Bundesagentur für Arbeit aus, ebenso die Einkommen- und Umsatzsteuerdaten des Landesamts für Statistik und nicht zuletzt die Zahlen der Künstlersozialkasse.
Auf dieser soliden Grundlage rechnet Michael Söndermann vor, dass freiberufliche Künstler*innen in Deutschland knapp 3,5 Milliarden Einkommensteuer zahlen, genauso viel wie die freiberuflichen Architekten und Ingenieure und mehr als die Rechtsanwälte. Architekten, Ingenieure und Rechtsanwälte sind in der öffentlichen Wahrnehmung als Freiberufler*innen schon immer präsent, Künstler*innen kaum.

2018 waren in Bayern 40 500 Selbstständige im künstlerischen Bereich registriert, die auf ein mittleres Einkommen von 2600 Euro kamen. An der Stelle vermerkt die Studie: „Diese Summe bezieht sich nicht auf einen Monat, sondern auf ein ganzes Jahr!“ Söndermann zieht ausdrücklich das Medianeinkommen heran, also den mittleren Wert; das Durchschnittseinkommen sei als Parameter ungeeignet, da „bereits wenige Einkommensmillionäre dieses arithmetische Durchschnittseinkommen verzerren können“. Wohl wahr: Rein rechnerisch liegt das Durchschnittseinkommen bei 16 800 Euro.

Die nüchternen Zahlen wurden unterstrichen von Narges Kalhor. Die in Teheran geborene Regisseurin, die an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film studierte, verwies darauf, dass ein solches Studium „ähnlich teuer wie ein Medizinstudium“ sei. Doch die „extrem gut ausgebildeten Regisseurinnen, Musiker, Kamerafrauen oder bildenden Künstler“ könnten noch so erfolgreich sein und Preise gewinnen – „sie können dennoch nicht von ihrer Arbeit leben“. 
Das kann auch Sanne Kurz bestätigen; die Grünen-Abgeordnete ist selbst vom Fach. Sie hat als Filmemacherin mehrere Preise gewonnen – und gleichzeitig kein ausreichendes Einkommen mit dieser Arbeit erzielt. Mit ihren vier Kindern ist sie zudem ein Paradebeispiel für einen hochinteressanten Exkurs in der Studie von Michael Söndermann: Können sich Künstler*innen Kinder leisten?

Förderprogramme sind überlaufen

Die Antwort kann man kurz und einfach zusammenfassen: Nein, können sie nicht. Trotzdem: Der Anteil der steuerpflichtigen Künstler*innen mit Kindern ist deutlich höher als in der gesamten Erwerbsbevölkerung. Das Einkommen aus der künstlerischen Arbeit (auch bei Doppelverdienenden beträgt der mittlere Wert nur 5800 Euro im Jahr) reicht hinten und vorne nicht, aber die Künstler*innen haben trotzdem mehr Kinder als alle anderen. Sie müssen die fehlenden Einnahmen irgendwie anders kompensieren. Nur: Was ist das für ein Gefühl, von der eigenen Arbeit nicht leben zu können? Zwei Nebenjobs zu haben, sich von Gönnern aushalten zu lassen, von der Substanz, zum Beispiel einem Erbe, zu leben?

Was tun? Die Landtags-Grünen haben ein ganzes Bündel von Anträgen gestellt, an einen davon knüpfte Anne Schuester vom Bayerischen Landesverband Freie Darstellende Künste an. Ihr Bundesverband habe die empfohlene Honoraruntergrenze von 250 Euro pro Aufführung im vergangenen Oktober auf 310 Euro angehoben, „weil eigentlich allen Beteiligten klar ist, dass nur so Künstler*innen von ihrer Arbeit tatsächlich leben können, auch ohne sehenden Auges in der Altersarmut zu landen“.

Die Grünen fordern in ihren Anträgen, die Vergabe von bayerischen Mitteln „künftig an die Einhaltung der Honorarempfehlungen der einschlägigen Berufsverbände und Gewerkschaften“ zu binden. Die Söndermann-Studie zeige: „In Bayern leben Menschen, die künstlerisch und kreativ arbeiten, oft am Rande des Existenzminimums.“ Ein eigener Antrag widmet sich der Geschlechterungerechtigkeit: „Auch der Gender-Pay-Gap liegt in den künstlerischen und kreativen Berufen mit 28 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.“

Antje Molz vom Dachverband freier Würzburger Kulturträger nahm das herrschende System der Projektförderung ins Visier, meist die einzige Finanzierungsmöglichkeit – „entsprechend überlaufen sind die Förderprogramme“. Das habe zur Folge, „dass alle weniger bekommen und gezwungen sind, mit teilweise krasser Unterfinanzierung Projekte durchzuführen“.

Hinzu kommt der immense Aufwand der ständigen Bewerbungsschreiben, Projektanpreisungen und Exposés – größtenteils Leerlauf, Marketing statt Kunst. Im Unterschied zum Kostenvoranschlag eines Baggerunternehmens kann es bei einem Film- oder gar Tanzprojekt leichter passieren, dass die ursprünglich anvisierte Richtung verworfen wird und der Film oder die Tanzperformance ganz anders wird, als die Beteiligten gedacht hatten. Das ständige Sich-fest-nageln-Müssen ist im Kulturbereich grundsätzlich kontraproduktiv. Es waren und sind die besten Werke, bei denen die Schöpfer*innen anfangs ganz was anderes im Sinn hatten. Denn der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. (Florian Sendtner)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll eine Zuckersteuer eingeführt werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

BR Player
Bayerischer Landtag
Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.