Landtag

Ein Bild aus „besseren“ Tagen: Im Sommer durften zumindest noch kleinere Konzerte stattfinden. (Foto: dpa/Soeren Stache)

18.12.2020

"Kunstformen gehen für immer verloren"

Kulturschaffende warten noch immer auf Corona-Hilfen

Die Lage für die Kulturschaffenden ist dramatisch, viele warten noch immer auf Hilfsgelder. Grüne, SPD und FDP wollten im Landtag Betroffene zu Wort kommen lassen, um die Probleme in den Griff zu bekommen – doch CSU und Freie Wähler lehnten ab. Jetzt fand dazu eine außerparlamentarische Expertenanhörung statt.

Miguel Abrantes Ostrowski ist verzweifelt. „Die aktuelle Situation ist katastrophal, ich habe massive Existenzängste“, erklärt der soloselbstständige Schauspieler, Regisseur und Autor aus München. Selbst seine private Krankenversicherung könne er nicht mehr bezahlen. Staatliche Hilfe hat er zwar bekommen: seit März insgesamt 3000 Euro. „Ich brauche aber 2500 Euro pro Monat, um alle Kosten zu decken – und da habe ich mir noch kein Brot gekauft!“

So wie Ostrowski geht es vielen Soloselbstständigen, bestätigt Kulturreferent Jürgen Enninger aus Augsburg. „Die Situation ist nicht mehr schönzureden“, erklärt er. Viele Kulturschaffenden seien kurz davor, ihren Beruf mangels Einnahmen und Hilfsprogrammen aufzugeben. Die Staatsregierung hat zwar vor sieben Wochen einen fiktiven Unternehmerlohn in Höhe von bis zu 1180 Euro beschlossen. Warum es den noch nicht gibt, weiß aber auch Enninger nicht. Er befürchtet, dass eine ganze Generation an künstlerischem Nachwuchs fehlen wird und manche Kunstformen ganz verloren gehen.

Joachim Schulz betreibt die Posthalle Würzburg. Ihm ist es wichtig zu betonen, dass die Veranstaltungsstätte vor Corona komplett ohne Förderung ausgekommen ist. Seit März kam es aber wegen der Betriebsschließung zu einem Umsatzrückgang in Höhe von knapp zwei Millionen Euro. Den Einkommensverlust für andere Kulturhäuser in Bayern schätzt er auf 95 Prozent. Besonders ärgert Schulz, dass in den Behörden das Wissen zur Bearbeitung der Hilfsanträge fehlt – auch Steuerberater blickten nicht durch. Er rechnet nicht damit, vor 2022 wieder Gewinn zu machen. „Bis dahin verlieren wir Fachpersonal wie Techniker und eine ganze Generation an potenziellen Besuchern“, klagt er.

Patrick Oginski ist Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur Südpolentertainment. Er hat 80 Prozent der Aufträge verloren, viele Events mussten bereits zum dritten Mal verschoben werden. „Größere Konzerte verschieben sich schon Richtung 2022“, seufzt er. Grundsätzlich seien die Hilfsprogramme wie das für Spielstätten richtig und wichtig. „Das Problem ist aber, dass die Auszahlung kompliziert und restriktiv gehandhabt wird.“ Oginski fordert, schnell auch wieder kleine Veranstaltungen zuzulassen. Das sei für ihn zwar aufwendig und teuer. Er befürchtet aber, dass sich sonst eine Lethargie beim Publikum bemerkbar macht. „Schon jetzt sind die Menschen bei den Ticketkäufen für Sommer und Herbst 2021 extrem zurückhaltend.“

"Staatlich verordnete Unwirtschaftlichkeit"

Thomas Negele, Präsident der SPIO Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, klagte über ein staatlich verordnetes Berufsausübungsverbot. „Und in der Zeit, wo wir öffnen durften, hatten wir eine staatlich verordnete Unwirtschaftlichkeit.“ Im Sommer durften Kinos nur Tickets für bis zu 30 Prozent ihrer Sitzplätze verkaufen. Er befürchtet, dass langfristig weniger Filme produziert werden, die Menschen das Kino vergessen und zunehmend ins Internet abwandern. Negele fordert daher mehr staatliche Hilfen. Bayern sei in diesem Bereich zwar vorbildlich. Noch immer könnten aber keine Novemberhilfen vom Bund beantragt werden.

Landtagsabgeordnete Sanne Kurz (Grüne) setzte sich für die Abschaffung des Publikumsdeckels bei Kinos ein, was aber wohl im Landtag scheitern wird. Auch forderte sie mehr wissenschaftliche Untersuchungen zur Infektionsgefahr wie beispielsweise an der Münchner Oper oder der Nürnberger Meistersingerhalle. Für eine Öffnung des Nachtlebens sei es zwar noch zu früh: „Es gibt aber viel bessere Möglichkeiten, als die Leute in den Keller zu schicken.“

Wolfgang Heubisch (FDP), der coronapositiv im Homeoffice saß, griff den häufig von den Soloselbstständigen geäußerten Vorwurf auf. „Ich habe auch den Eindruck, dass es anderen Branchen besser geht und diese mehr gehört werden“, kritisierte er die Staatsregierung. Dabei sei Bayern doch ein Kulturstaat. Heubisch fordert, unverzüglich zu handeln, sonst drohe der kulturellen Vielfalt in Bayern ein „irreparabler Schaden“.

Volkmar Halbleib (SPD) forderte, auch die Kulturprogramme jenseits der großen Metropolen nicht aus dem Blick zu verlieren. Ja, es gebe bereits Stipendien und großzügigere Hilfsprogramme. „Bayerns Kultur braucht aber ein sofortiges Rettungsprogramm, das neben der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern, der Kulturstätten und Kulturbetriebe auch ein Konzept für künftige Veranstaltungsformate sowie Öffnungsperspektiven vorsieht“, sagte er. Insbesondere der fiktive Unternehmenslohn müsse jetzt kommen.

Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) versicherte, das neue Künstlerhilfsprogramm stehe „ganz kurz“ vor dem Start. „Mir ist bewusst, dass sich Kunst- und Kulturschaffende derzeit in existenzieller Not befinden.“ Er sollte sich beeilen. (David Lohmann)

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