Landtag

Auf dem Podium saßen neben BR-Moderatorin Birgit Kappel Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, Agenturinhaberin Gwendolin Jungblut, Wahlforscher Thorsten Faas und per Videozuschaltung WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn (von links). (Foto: Poss/Landtag)

03.03.2023

Meinungsforschung oder Meinungsmache?

Podiumsdiskussion im Landtag: Edmund Stoiber und WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn über ihre Erfahrungen mit der Demoskopie

Sind Meinungsumfragen vor Wahlen nichts anderes als sich selbst erfüllende Prophezeiungen? Oder geben sie wertvolle Orientierung im Meinungsstreit einer Demokratie? Vier Fachleute gingen dieser Frage bei einer Podiumsdiskussion im Landtag nach. Der Senatssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, was vermutlich an den Namen Edmund Stoiber und Jörg Schönenborn lag.

Wenn Edmund Stoiber an seine Kanzlerkandidatur denkt, dann kommt er immer noch in Fahrt. Es ist zwar schon über 20 Jahre her, aber er weiß es noch wie heute: „Es war drei Wochen vor der Wahl, du kommst in den Bundestag, in deine Fraktion, und zum ersten Mal liegt Schröder vorn.“

Was sich da Anfang September 2002 abspielte, war eine Sternstunde der Demoskopie: Die Ausgangslage des CSU-Kandidaten schien den ganzen Sommer über komfortabel, die Union lag weit vor der SPD. Und dann kam das Hochwasser im August. Bundeskanzler Gerd Schröder (SPD) stapfte in Gummistiefeln und mit ernstem Gesicht durchs Katastrophengebiet. Und drehte die Stimmung.

Die Meinungsforscher*innen sollten recht behalten. Am Wahlabend sah es lange so aus, als habe das Hochwasser Union und FDP nichts anhaben können, Stoiber sah sich schon als Wahlsieger. Doch im Lauf des Abends wendete sich das Blatt: Rot-Grün behauptete seine Mehrheit, wenn auch knapp. Für den heute 81-jährigen Stoiber war das auch eine Lehre in Sachen Demoskopie: „Der Trend ist immer bestätigt worden, grundsätzlich ist die Meinungsforschung schon wichtig.“

Doch wann schlägt die Macht der Meinungsforschung um in Meinungsmache? Wann wird die Demoskopie zur Demagogie? Ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch lieferte dazu Sebastian Kurz, der Shootingstar aus Österreich, der zum jüngsten und umjubeltsten Bundeskanzler aller Zeiten wurde. Und dann stellte sich heraus: Kurz verdankte seinen atemberaubenden Aufstieg stark frisierten Umfragen, die seine konservative ÖVP immer vorn sahen. Na, wenn der so beliebt ist, dann wählen wir den auch, sagten sich die Österreicher*innen. Und wurden sauber hinter die Fichte geführt.

Gwendolin Jungblut arbeitet viel in Österreich, wie sie selbst gleich zu Beginn mitteilt. Doch der Name Sebastian Kurz kommt ihr nicht über die Lippen. Die Inhaberin einer „Agentur für Führung, Strategie und Wahlerfolge“ mit dem bescheidenen Namen The LeaderShip gibt sich selbstkritisch: „Meinungsforschung wird streckenweise überschätzt.“ Doch den Gottseibeiuns der Demoskopen bringt sie lieber nicht aufs Tapet. Kurz kommt in der eineinhalbstündigen Diskussion definitiv zu kurz. Auch Stoiber, der knapp die Hälfte der eineinhalb Stunden für sich beansprucht, erwähnt den Namen seines betrügerischen Parteifreundes nicht.

Kann es so etwas – gefälschte, manipulierte Meinungsumfragen – nur in Österreich geben? Thorsten Faas, Wahlforscher an der FU Berlin, stellt seinem Forschungsobjekt ein gutes Zeugnis aus: „Die Meinungsforschung in Deutschland ist alles in allem ziemlich gut.“ Der Professor gibt zu bedenken, dass gute Umfragewerte nicht automatisch den Sieg bringen; schließlich könnte das auch zur Demobilisierung der eigenen Anhängerschaft führen, die sich ihrer Sache schon sicher wähnte.

Faas geht davon aus, dass Demoskopie das Weltgeschehen sehr wohl beeinflusst, aber nicht unbedingt in dem Sinn, dass sie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist: „Es gibt nicht den einen Mechanismus.“ Als aktuelles Beispiel dafür, dass es sehr gefährlich sein könne, wenn Parteien zu sehr auf Umfragen schielten, nennt Thorsten Faas den Widerstand der FDP gegen das geplante Verbot des Verbrennungsmotors. Der Verdacht, das Veto der FDP innerhalb der Ampel-Koalition verdanke sich den schlechten Umfragewerten, sprich dem Profilierungsdrang der Partei, entwerte ihre ablehnende Haltung gegenüber einem Verbot des Verbrennungsmotors von vornherein.

Stoiber: "Eine Meinungsumfrage bietet ein gewisses Ventil"

Jörg Schönenborn, das Gesicht von Deutschlandtrend und Wahlstudio, war auf einem Bildschirm zugeschaltet, wartete geduldig, bis der Kanzlerkandidat von 2002 seine Ausführungen beendet hatte, und stellte dann fest, die Meinungsforschung sei schon „ein sehr sensibles Instrument“. Der WDR-Programmdirektor gab dafür ein ebenso simples wie einleuchtendes Beispiel. Wenn man bei der Frage, welche Partei die aktuellen Probleme am besten lösen könne, auch „keine Partei“ ankreuzen könne, ergebe das sofort komplett andere Werte. Überhaupt ließ Schönenborn durchblicken, dass die Demoskopie keineswegs eins zu eins zu nehmen sei. In dem Moment, in dem die Entscheidung für die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine gefallen sei, sei auch die Zustimmung für die Lieferung in den Umfragen evident gestiegen. Das wiederum konnte Gwendolin Jungblut nur bestätigen: Von wegen, die Politik schiele nur auf die Umfragen. Oft sei es genau umgekehrt: „Die Leute machen jeden Schwenk mit.“ Jungblut warnte dementsprechend davor, die ganze Meinungsforschung „unter diesem Manipulationsgedanken zu sehen“.

So einigte man sich unter der sanften Moderation von BR-Redakteurin Birgit Kappel darauf, dass Meinungsumfragen eine sehr löbliche Sache seien. Edmund Stoiber meinte gar, die Demoskopie habe „ein plebiszitäres Element hereingebracht“. Ein Mensch ärgere sich über irgendwas – „was soll denn der machen in der repräsentativen Demokratie?“ Da biete eine Meinungsumfrage doch „ein gewisses Ventil“.

Und schließlich können die Leute dadurch „einordnen, was die anderen als wichtig ansehen“. Das sieht auch Jörg Schönenborn so: Demoskopie gebe Orientierung. „Wir geben unserem Publikum die Möglichkeit, zu erkennen: Gehöre ich zur Mehrheit oder zur Minderheit?“ Es soll allerdings Leute geben, die das auch ohne Umfrageergebnisse wissen. (Florian Sendtner)

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