Landtag

Vergangenheitsbewältigung findet im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags statt. (Foto: DAPD)

30.11.2012

NSU war von V-Leuten "regelrecht umzingelt"

NSU-Untersuchungsausschuss: Die Politologen Andrea Röpke, Steffen Kailitz und Hajo Funke informieren über Strukturen der Neonazi-Szene

Die Anhörung von drei Sachverständigen erwies sich im NSU-Untersuchungsausschuss als Quantensprung. Was die Abgeordneten während der vergangenen vier Sitzungen all den Zeugen vom Verfassungsschutz vergeblich aus der Nase zu ziehen versuchten, erfuhren sie nun innerhalb von viereinhalb Stunden in komprimierter Form von den drei Politikwissenschaftlern Andrea Röpke, Steffen Kailitz und Hajo Funke. Röpke ist auch als investigative Journalistin tätig.

Tiefe Einblicke in die Neonazi-Szene

Hauptsächlich stammen die Erkenntnisse der drei Experten aus öffentlich zugänglichen Quellen. Der SPD-Abgeordnete Florian Ritter brachte es am Ende auf den Punkt, indem er zu Andrea Röpke gewandt meinte: „Ich bedanke mich für die tiefen Einblicke in die Strukturen der Neonazis, die Sie uns gegeben haben, und bin fast versucht zu fragen, wie viele V-Leute Sie beschäftigen.“ Einer der vielen Seitenhiebe an diesem Nachmittag auf den Verfassungsschutz, der trotz seiner vielen Informanten innerhalb der Naziszene am Ende völlig ahnungslos war.
Dabei waren die Serienmörder vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) laut Röpke „von V-Leuten diverser Landesämter regelrecht umzingelt“. Eine entscheidende Rolle aus bayerischer Sicht spielt hierbei Kai Dalek aus dem oberfränkischen Kronach, der bislang im Ausschuss immer nur „Kai D.“ genannt wurde, obwohl alle wussten, um wen es sich handelt. Röpke sprach seinen Namen nicht nur aus, sondern nannte ihn auch „einen der strategischen Köpfe“ und einen „Neonazi von wegweisender Bedeutung“, der das „Thule-Netzwerk“ maßgeblich mit aufbaute.
Er habe den Informationsfluss unter den Neonazis – inklusive Anleitung zum Bombenbau – entscheidend beschleunigt. Gleichzeitig war Dalek bis Juni 1998 V-Mann des bayerischen Landesamts. Hajo Funke umriss die Beziehung Daleks zu Tino Brandt mit den Worten: „Tino Brandt war ein tüchtiger Nachfolger von Kai Dalek, er hat viel von ihm gelernt.“ Brandt wiederum war der Führer des Thüringer Heimatschutzes, in dem das spätere Mördertrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sein Handwerk lernte.
Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz indes behauptete noch 2011, ihm seien keine Verbindungen zwischen dem Thüringer Heimatschutz, dem NSU und den bayerischen Neonazis bekannt – für Röpke eins der vielen Rätsel. Ebenso „völlig unerklärlich“ ist für die mehrfach preisgekrönte Journalistin, dass das internationale Nazi-Netzwerk Blood and Honour (Blut und Ehre), das in Deutschland 2000 verboten wurde, in den Berichten des bayerischen Landesamts von 1996 bis 1999 nicht einmal erwähnt wurde.
Von Blood and Honour und seinem militärischen Arm combat18 (Adolf-Hitler-Kämpfer) stammt indes das Konzept des „führerlosen Widerstands“: Autonome kleine Zellen, bürgerlich getarnt, verüben Terrorakte. Bekennerschreiben sind zu unterlassen, sie bringen nur die Behörden auf die Spur. Man hätte also durchaus draufkommen können, auf wessen Konto der Terror ohne Bekennerbriefe geht.
In Richtung der CSU-Abgeordneten betonte Hajo Funke mehrmals, dass es bei dem Thema nicht um parteipolitisches Hickhack gehe. Um dies zu untermauern, verwies er auf die Zeugeneinvernahme des SPD-Politikers Fritz Behrens im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags wenige Tage zuvor.

"Vertrauen in Schily und Behrens war falsch"

Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger brachte da durch seine detaillierten Fragen an den Tag, dass Behrens nach dem Nagelbombenanschlag in Köln 2004 als NRW-Innenminister an die Ermittler die klare Devise ausgegeben habe, die Möglichkeit eines Terroranschlags zu streichen. In Bezug auf Becksteins berühmte Randnotiz nach dem ersten Mord in Nürnberg im September 2000, die Möglichkeit eines rechtsextremistischen Hintergrunds zu prüfen, fragte Funke: „Was hat Beckstein getan, um dieser Intuition nachzugehen?“ Rückblickend betrachtet es Funke als eigenen Fehler, gegenüber den Politikern, gleich welcher Partei, zu gutgläubig gewesen zu sein: „Im Zweifel vertrauen wir Herrn Behrens und Herrn Schily – das war falsch.“(Florian Sendtner)

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