Europas Sicherheit hängt von der sogenannten Nato-Nordostflanke ab, erklärten Politikexpertin Birgit Boeser und Verteidigungsfachmann André Abed im Ausschuss. Die Generalkonsule aus Litauen sowie Estland berichteten über die besorgte Stimmung in ihren Ländern.
Neun Staaten teilen sich das Baltische Meer. „Lange wurde die Region nur als Wirtschaftsraum gesehen“, erklärte Birgit Boeser, Leiterin der Europäischen Akademie Bayern, im Europaausschuss. Doch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wird die sogenannte Nordostflanke wichtiger für die europäische Sicherheit. Die Nato entwickle sich vom Abschreckungs- hin zum Verteidigungsbündnis. „Der Stolperdraht an den baltischen Staaten reicht nicht mehr aus.“
Besonders besorgniserregend sei die „Suwalki-Lücke“. „Russland könnte den 100 Kilometer langen Grenzabschnitt zwischen Litauen und Polen besetzen und die Versorgung von Estland, Lettland und Litauen abschneiden“, warnt Boeser. Dass zwei wichtige EU-Positionen voraussichtlich von Litauen und Estland besetzt werden, sei kein Zufall. „Alle wichtigen Posten werden mit Russlandfeinden besetzt“, überspitzt sie.
Für die Verteidigung ist laut Boeser die Erweiterung der Nato um Schweden und Finnland entscheidend. Die neue Nato-Außengrenze von über 1300 Kilometern mache das Baltische Meer zum „Nato-Binnenmeer“. Diese Länder hätten wegen ihrer Nähe zu Russland ihre Verteidigungskapazitäten erhöht, während Deutschland seine Bunkeranlagen verkleinert habe. Finnland hingegen plane sogar einen 100 Kilometer langen Tunnel für den Zivilschutz.
„Wenn Russland in der Ukraine nicht gestoppt wird, sind wir als Nächstes dran“, fasst Boeser die Sorgen der Anrainerstaaten zusammen. Russland betrachte die baltischen Staaten als „unsere Provinzen“. Die angebliche Unterdrückung der russischen Minderheiten, die in Estland 22 Prozent ausmachen, werde als Vorwand genutzt. „Der Umgang mit ihnen wurde verbessert“, betont Boeser, das Argument sei vorgeschoben.
Bis 2027 sollen in Litauen 4000 deutsche Soldat*innen stationiert sein
André Abed, Bevollmächtigter der Brigade Litauen, berichtete über die „Zeitenwende“. Die dauerhafte Stationierung einer Brigade in Litauen sei ein Zeichen der Bündnistreue. Bis 2027 sollen dort 4000 Soldaten und 1000 zivile Mitarbeitende mit ihren Familien stationiert sein. Die Infrastruktur sei hervorragend, lobt Abed: „Die Kasernen sind nigelnagelneu, es gibt Wohnungen, Schulen und Kindergärten.“
Gerhard Hopp (CSU) zeigte sich beeindruckt vom Fortschritt der Verlegung der Bundeswehr und der Unterstützung vor Ort. Es sei wichtig, dass die litauische Bevölkerung die deutschen Soldat*innen akzeptiere. Der Abgeordnete plädierte dafür, auch die deutsche Bevölkerung besser über die riskante Arbeit der Bundeswehr vor Ort zu informieren.
Ausschusschefin Ulrike Müller (Freie Wähler) kritisierte, dass die EU bei der Verteidigungspolitik „zu lange geschlafen“ habe. „Jetzt müssen wir die Bedrohungen ernst nehmen.“ Ihre Kollegin Gabi Schmidt ergänzte, dass deutsche Unterstützung allein nicht ausreiche. Sie berichtete von herzlichen Begrüßungen durch die lokale Bevölkerung, die jahrelang Angst vor Russland gehabt hätte.
Benni Adjei (Grüne) hob hervor, dass der Begriff Zeitenwende nun mit Leben gefüllt werde. Die Bedrohung werde aber noch nicht von allen Menschen ernst genommen. Er betonte die Notwendigkeit, neben Cyberangriffen auch gegen Propaganda und Desinformation vorzugehen, wie es die baltischen Staaten bereits getan hätten.
Markus Rinderspacher (SPD) kritisierte, dass nicht alle Parteien in Deutschland die Zeitenwende unterstützen würden. Er warnte, dass die baltischen Staaten durch die deutsche Debatte verunsichert werden könnten. Die AfD äußerte sich nicht.
Donatas Kuslys, Generalkonsul Litauens, erklärte, die Stationierung der Bundeswehr sei nicht unumstritten, vor allem wegen der Kosten von 800 Millionen Euro. Dennoch freuten sich Bevölkerung und Brigade über die neuen Strukturen. Baltische Staaten seien weniger anfällig für Fake News, da sie bereits zu Sowjetzeiten gelernt hätten, sich umfassend zu informieren.
Andreas Obereder, Honorarkonsul Estlands, sprach von vielen russischen Cyberangriffen auf Europa, die von Servern in Estland ausgingen. Diese mussten daher abgeschaltet werden. Anfang des Jahres soll der russische Geheimdienst sogar einen Anschlag auf das Fahrzeug des Innenministers verübt haben. Ober-eder berichtete: „Viele Menschen fühlen sich nach der Ukraine an vorderster Front.“ (David Lohmann)
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