In Deutschland gehen jährlich rund 10 000 Menschen freiwillig in den Tod – mehr als durch Verkehrsunfälle, Verbrechen und Drogen. Polizisten sind dabei besonders gefährdet. Im Vergleich zur Normalbevölkerung sind die Selbstmordraten bei ihnen fast doppelt so hoch: 50 Beamte in Deutschland wählen jedes Jahr den Freitod. Das trifft vor allem auf männliche Berufsanfänger zu: Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) werden nur vier Prozent der Suizide von Beamtinnen begangen. Peter Paul Gantzer und Paul Wengert (beide SPD) wollten daher von der Staatsregierung wissen, wie viele Suizide es in Bayern gab und wie die Präventionsmaßnahmen aussehen.
Das Innenministerium schreibt in seiner Antwort, seit 2011 hätten sich im Freistaat 30 Vollzugsbeamte das Leben genommen. Besonders hoch war die Zahl im Jahr 2013 mit zehn Todesfällen. Doch allein in diesem Jahr lag die Zahl in der ersten Jahreshälfte bereits bei vier Personen. In 23 der insgesamt 30 Fällen wurde der Suizid mit der Dienstwaffe begangen – nicht selten direkt im Dienstgebäude. So verwundert es nicht, wenn Polizisten, Soldaten und Justizvollzugsbeamte wegen ihrer Waffen als besondere Risikogruppen gelten. Dennoch ist das Thema bisher kaum wissenschaftlich untersucht: Es gibt nur sehr wenige Erhebungen und kaum Studien. Die meisten Erkenntnisse gibt es in den USA, wo Polizisten noch häufiger Selbstmord begehen.
Im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Analyse der Fälle durch den Zentralen Psychologischen Dienst der bayerischen Polizei (ZDP, siehe Info) werden anschließend etwaige vorhandene Abschiedsbriefe ausgewertet und falls möglich Angehörige, Freunde und Kollegen zu den möglichen Motiven befragt. „Dabei wurden Schwierigkeiten im persönlichen Umfeld der Suizidenten wie zum Beispiel Beziehungsprobleme, psychische Probleme, physische Erkrankungen, berufliche Krisen, finanzielle Probleme oder schwere Krankheiten bekannt“, erklärt das Ministerium von Joachim Herrmann (CSU). Jedoch ließen auch die Abschiedsbriefe die Motive nur in den seltensten Fällen klar erkennen, weshalb lediglich eine Annäherung und keine fundierte wissenschaftliche Aussage möglich sei. Dennoch gehöre die Suizidprävention zu den zentralen Aufgaben bei der Polizei.
Der ZDP leistet laut Ministerium im Rahmen der psychosozialen Versorgung Krisenintervention bei psychischen Erkrankungen, persönlichen Krisen oder belastenden Einsätzen mit Schusswaffengebrauch. Als weitere Maßnahme gebe es seit 2003 ein polizeiinternes Netzwerk (PIN) zur Hilfeleistung in akuten Lebenskrisen und den Polizeilichen Sozialdienst (PSD) zur psychosozialen Unterstützung. Darüber hinaus ständen die bei der Polizei tätigen Diplom-Sozialpädagogen mit ihren Betreuungsnetzen als Ansprechpartner für die Beschäftigten vor Ort zur Verfügung. Nicht zuletzt sei das Thema Suizidprävention auch Thema im Rahmen der Aus- und Fortbildung.
„Die laufenden präventiven Maßnahmen als auch die Prävention im Rahmen der Aus- und Fortbildung sind wichtig und richtig“, sagt SPD-Mann Wengert der Staatszeitung. Angesichts der 40 000 Polizeibeamten in Bayern sei die Zahl von durchschnittlich sechs Suiziden pro Jahr jedoch „nicht alarmierend“, zumal der Zugang zu einer Waffe sehr leicht sei. „Das zeigt auch der Anteil von drei Vierteln der Selbsttötungen mit der Dienstwaffe.“
In einem Bericht der Polizeigewerkschaft kritisiert hingegen ein Insider, das Thema werde in falsche Pietät gehüllt. Keine Einrichtung sei daran interessiert, mögliche Fehlentwicklungen in den eigenen Reihen nach Außen zu dokumentieren. „Seit Jahren werden die entsprechenden Meldungen in den Innenministerien abgeheftet und verschwinden in den Akten.“ (David Lohmann)
INFO: Der Zentrale Psychologische Dienst (ZPD)
Der Zentrale Psychologische Dienst (ZPD) des Münchner Polizeipräsidiums kümmert sich um die so genannte psychologische Einsatzunterstützung für Polizeibeamte in ganz Bayern. Dazu gehören beispielsweise Suiziddrohungen, Erpressungsversuche, Geiselnahmen oder Großdemonstrationen.
Der Sitz im Herzen Münchens ist kein Zufall. Die Schwabinger Krawalle von 1962 waren das Erweckungserlebnis für die psychologische Polizeiarbeit in Deutschland. Bei den massiven Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei wurde klar, dass die Beamten durch den veränderten Zeitgeist mit ihren Maßnahmen an ihre Grenzen stießen. Daher wurde damals die Polizeipsychologie grundlegend geändert. Zwar war das Konzept aus heutiger Sicht noch nicht ganz ausgereift, doch immerhin trugen die Beamten zum Beispiel bei Musikveranstaltungen keine Waffen mehr.
In den folgenden Jahren waren Polizeipsychologen weiter stark gefragt: 1972 beim Olympiaattentat und in den Achtzigerjahren bei der Friedensbewegung, wo die ZPD den Beamten Verhaltensempfehlungen gab. Um den in der Folgezeit vermehrt aufkommenden Banküberfällen mit Geiselnahmen Herr zu werden, wurde 1990 das Seminarprogramm Polizeiliches-Antistress-Kommunikations- Einsatzbewältigungs- Training (PAKET) eingeführt. Dieses müssen bis heute alle Polizeibeamte aus ganz Bayern durchlaufen. (LOH)
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