Wichtige Lebensmittelwarnungen kommen bei den Verbrauchern oft nicht an. In vielen Fällen entscheiden sich Unternehmen und Behörden zu spät, die Öffentlichkeit zu informieren – manchmal sogar gar nicht. Gesundheitliche Risiken werden dabei laut Report „Um Rückruf wird gebeten“ der Verbraucherorganisation Foodwatch immer wieder verharmlost. „Das Lebensmittelrecht lässt zu viele Spielräume, wann ein Rückruf erforderlich ist“, erklärt Lena Blanken von Foodwatch. Auch gebe es keine Standards, wie eine Warnung verbreitet werden muss. Das nutzen Unternehmen natürlich aus.
Bund und Länder haben zwar 2011 die Webseite lebensmittelwarnung.de als zentrale Warnplattform ins Leben gerufen. Als aber ein Babynahrungshersteller letztes Jahr vor einem zu geringem Jodgehalt in seinem Produkt warnen wollte, haben sich die bayerischen Behörden laut Foodwatch geweigert, diese Warnung zu veröffentlichen. SPD-Verbraucherschutzexperte Florian von Brunn hat sogar von einem Fall gehört, in dem erst Wochen nach dem Bekanntwerden vor Glassplittern in Babynahrung von einem bayerischen Hersteller gewarnt wurde. „Ist das zutreffend?“, wollte er von der Staatsregierung wissen.
Das Verbraucherschutzministerium antwortet, bei der Untersuchung der Babynahrung am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) seien keine Glassplitter gefunden worden. Erst als in weiteren Proben verdächtige Fremdkörper gefunden wurden, sei auf lebensmittelwarnung.de eine Warnung eingestellt worden. „Bei den weiteren Ermittlungen erhärtete sich der ursprünglich bestehende Verdacht auf Glassplitter nicht“, heißt es in der Antwort. Der Fehlbefund sei auf einen „individuellen Fehler“ im Labor zurückzuführen.
SPD wirft CDU und CSU vor, "Lobby-hörig" zu sein
Auch die Untersuchung der Babynahrung mit zu geringem Jodgehalt habe ergeben, dass keine Gefahr für Verbraucher vorlag. „Aus diesem Grund hat sich das LGL gegen einen zusätzlichen Hinweis auf dem Portal lebensmittelwarnung.de entschieden“, schreibt das Ressort von Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf (CSU). Das LGL unterlasse oder verhindere folglich in der Regel nicht das Einstellen, sondern entscheide nach seinem Ermessen über öffentliche Warnungen.
Wie viele öffentliche Lebensmittelwarnungen oder Rückrufe es bisher in Bayern gab, kann das Ministerium mangels Statistik nicht sagen. Sicher ist nur: Das LGL hat seit 2011 125 Meldungen auf lebensmittelwarnung.de eingestellt und sich in 345 Fällen Meldungen anderer Bundesländer angeschlossen. Verantwortlich für die Warnungen seien die Hersteller. „Das betreffende Unternehmen informiert selbst und unmittelbar die Öffentlichkeit, wenn eine Gesundheitsgefahr vorliegt“, heißt es in der Antwort. Die Behörden würden die Gefahrenabwehrmaßnahme dann weiterverbreiten.
Ob sich der Verbraucherschutz im Hinblick auf Lebensmittelwarnungen und Rückrufe zukünftig verbessert, erscheint fraglich. Der Koalitionsvertrag der letzten Legislaturperiode sah eine Novellierung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vor. „Ich will, dass jedermann informiert wird, wenn sich Unternehmen im Ausnahmefall nicht an die Vorschriften halten“, sagte Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) damals. Der Entwurf schaffte es aber nie in den Bundesrat.
Zwar sieht der neue Koalitionsvertrag wieder eine Veröffentlichung der Verstöße gegen die Lebensmittelsicherheit vor. „Aber ich bin sehr skeptisch, ob die sehr Lobby-hörigen Kollegen von CDU und CSU hier wirklich zu mehr Verbraucherschutz bereit sind“, sagt SPD-Mann von Brunn der
Staatszeitung. Wenn es der Bund nicht schaffe, müsse Bayern notfalls allein vorangehen. „Der Koalitionsvertrag lässt diese Möglichkeit ausdrücklich zu.“
(David Lohmann)
INFO: Portionsangaben von Lebensmitteln
Lebensmittel sind so zu kennzeichnen, dass der Verbraucher eine informierte Kaufentscheidung treffen kann. Die Angabe von Portionsgrößen mit den dazugehörigen Nährwerten ist aber freiwillig.
Test: Beim aktuellen Marktcheck der Verbraucherzentralen wurden bundesweit 211 Lebensmittel aus acht Produktgruppen überprüft. Das Ergebnis: Die Portionsangaben auf Lebensmittelverpackungen sind oft „unsinnig und verwirrend“.
Süßwaren: Fruchtgummischlangen wurden zum Beispiel für die Portionsangabe willkürlich geteilt. „Wer isst nur zwei Drittel einer Fruchtgummischlange“, kritisiert die Verbraucherzentrale Bayern (VZ Bayern).
Konserven: Auf einer Dosensuppe mit 390 Millilitern Inhalt ist eine Portionsgröße von 260 Millilitern angegeben. Und bei einer 250-Gramm-Dose mit Kidneybohnen besteht eine Portion aus 200 Gramm.
Kekse: Für das runde Gebäck nutzen die Hersteller völlig uneinheitliche Portionsgrößen: Beim Check wurden 15 verschiedene Angaben zwischen 5 und 44 Gramm ermittelt.
Ampelkennzeichnung: Willkürlich festgelegte Portionsgrößen bergen die Gefahr, dass Verbraucher über die tatsächlich verzehrte Menge von Zucker, Fett oder Salz getäuscht werden, klagt die VZ Bayern.
Lösung: Die Verbraucherzentralen fordern, nur realistische Portionsgrößen wie einen Riegel oder eine Scheibe anzugeben. Außerdem sollte der Gesetzgeber für die Nährwertinformation einheitliche Werte wie 100 Gramm oder 100 Milliliter vorschreiben. (loh)
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