Im Rahmen einer Fachanhörung hat sich der Sozialausschuss der Lage pflegender Kinder und Jugendlicher in Bayern angenommen. Diese „Young Carers“ sind bislang meist vollständig auf sich allein gestellt, wie die 14-jährige Lana Rebhan aus eigener Erfahrung berichtete. Neben ihren schulischen Verpflichtungen beteiligt sie sich seit Jahren an der Pflege ihres Vaters, der unter den Folgen eines Herzinfarkts leidet, während die Mutter für den Lebensunterhalt der Familie sorgt. Unterstützung von außerhalb der Familie hat sie in dieser Zeit kaum bekommen. „Wir pflegenden Kinder werden nicht ernstgenommen“, klagte sie. Es fehle überall am Problembewusstsein sowie an Hilfs- und Beratungsangeboten.
Mit wenigen Unterstützern hat Rebhan das Internet-Portal www.young-carers.de aufgebaut, das als erste Anlaufstelle für Betroffene und dem Erfahrungsaustausch dient. Für dieses habe sie gut 270 Kommunen, Stellen der freien Wohlfahrtspflege und Krankenkassen angeschrieben und diese nach konkreten Hilfsangeboten für pflegende Minderjährige gefragt. Von der großen Mehrzahl habe sie gar keine Rückmeldung erhalten, 14 beschieden sie abschlägig oder erklärten sich für nicht zuständig, nur ganze zwölf konnten ihr konkrete Hilfsangebote nennen.
Wie Rebhan berichtete, sind pflegende Kinder vor allem beim plötzlichen Eintreten eines Pflegefalls meist völlig überfordert. Auf Verständnis für ihre Lage stießen sie kaum. Die Folge seien oft nachlassende schulische Leistungen, schwindende Kontakte zu Gleichaltrigen und psychische Belastungen. „Viele erleben das Desinteresse anderer sogar als größere Belastung als die Pflegesituation selbst“, sagte Rebhan. Im Dschungel von Gesetzen und Bürokratie erhielten sie gerade anfangs kaum Unterstützung durch Haushalts- oder Pflegehilfen, weil für deren Zuweisung erst der Pflegegrad ermittelt werden müsse.
Dies bestätigte Ralph Knüttel von der Johanniter Unfallhilfe in Unterfranken, der nach österreichischem Vorbild das Projekt „Superhands“ als Online-Plattform ins Leben gerufen sowie eine kostenfreie Hotline mit Informationen in kindgerechter Sprache und individueller Beratung eingerichtet hat. Er drängte darauf, die Hilfsangebote für pflegende Kinder niederschwelliger anzusetzen und deutlich auszuweiten. Besonders betroffen seien die 12- bis 16-Jährigen, da für sie die Sozialgesetze Familienhilfen nicht vorsähen.
Es fehlt an Hilfs- und Beratungsangeboten
Knüttel bezeichnete es als unverantwortlich, dass Kinder bei der Pflege von Angehörigen mit oft „verstörenden Krankheitsbildern“ allein gelassen würden. Es müsse ein Klima geschaffen werden, dass der Ruf nach Hilfe nicht zur Gefahr für die Familie werde. Er kenne Fälle, bei denen bewusst auf Hilfe von außen verzichtet werde, weil man das Eingreifen des Jugendamtes mit der Konsequenz fürchte, dass Kinder aus Familien gerissen und pflegebedürftige Eltern in Heime überwiesen würden. „Wir müssen bei Kindern und Familien Vertrauen aufbauen, damit sie sich an uns wenden und Hilfsangebote annehmen“, erklärte Knüttel. Dafür müsse das Bewusstsein auf allen Ebenen geschärft werden.
Rebhan bat die Abgeordneten eindringlich um Unterstützung. „Wenn der Landtag auf die Probleme aufmerksam macht, hat das mehr Wirkung, als wenn sich eine 14-Jährige hinstellt“, meinte sie. Konkret bräuchten pflegende Minderjährige auf sie zugeschnittene gesetzliche Regelungen und eine psychologische Unterstützung. Bestehende Projekte auf ehrenamtlicher Basis müssten staatlich gefördert werden, die Gesellschaft müsse stärker für die Belange der Young Carers sensibilisiert werden. Das betreffe bereits die Schulen, vor allem aber die Fachstellen an Behörden sowie Kranken- und Pflegekassen.
Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Celina sah nach der Anhörung die Staatsregierung in der Pflicht, für die Betroffenen gezielte und jugendgerechte Informationen zur Verfügung zu stellen. „Das ist nicht die Aufgabe Ehrenamtlicher oder gar pflegender Kinder selbst“, betonte sie. Nötig seien vor allem niederschwellige Hilfsangebote, um die Scheu der Kinder zu verringern, sich an Unterstützer zu wenden. Dazu gehöre auch, Lehrer und Schulsozialarbeiter für die Belange pflegender Kinder zu sensibilisieren. Auch gesetzlich müsse nachgesteuert werden. Wenn Haushaltshilfen erst nach der Festsetzung des Pflegegrads zugewiesen werden könnten, dann sei das im akuten Fall eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls schlicht zu spät.
Die Ausschussvorsitzende Doris Rauscher (SPD) forderte vor dem Hintergrund der hohen Zahl an Betroffenen den Aufbau eines flächendeckenden Hilfs- und Beratungsangebotes. Dazu müsse endlich die Zahl der regionalen Pflegestützpunkte deutlich erhöht werden. Oft sei der Umgang mit einer Pflegesituation schon für Erwachsene herausfordernd, wie sei das erst bei Kindern. „Diese brauchen dringend Hilfe, Verständnis und Entlastungsmöglichkeiten“, sagte Rauscher. Andreas Schalk (CSU) sprach von einem „innerlich bewegenden Thema“. Es sei Aufgabe der Politik, die aufgestellten Forderungen zu prüfen und gegebenenfalls in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Als wichtig erschien es Schalk vor allem, die Hemmschwelle, sich an eine helfende Stelle zu wenden, zu senken. (Jürgen Umlauft)
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