Landtag

Am Set von Til Schweigers (Mitte) neuem Film sollen unhaltbare Zustände geherrscht haben. (Foto: dpa/Kaiser)

30.06.2023

"Wir sind keine Schuhabstreifer"

Die SPD-Fraktion debattiert beim Münchner Filmfest über „Macht und Ohnmacht am Filmset“

Überstunden, betrunkene Regisseure, sexuelle Übergriffe: Seit der MeToo-Bewegung 2017 werden immer öfter Fälle von Machtmissbrauch am Filmset oder an Theaterbühnen publik. Wie sich das verhindern lässt, was Betroffene unternehmen können und wie die Arbeitsbedingungen für Kunstschaffende insgesamt fairer werden, diskutierte die SPD-Fraktion mit Fachleuten auf dem Münchner Filmfest.

Die MeToo-Bewegung der US-Schauspielerin Alyssa Milano im Jahr 2017 hat die Filmbranche gehörig durcheinandergewirbelt. Seit ihrem Aufruf, auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe am Set in sozialen Medien aufmerksam zu machen, werden immer neue Skandale bekannt. Begonnen hatte alles mit den Vorwürfen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein, der mittlerweile wegen Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung in mehreren Fällen zu einer Gesamtstrafe von 39 Jahren verurteilt worden ist. Aktuell läuft ein Berufungsverfahren.

Auch in Deutschland kam es durch die Bewegung zu Gerichtsverfahren aufgrund von sexuellen Übergriffen, beispielsweise wegen Vergewaltigung gegen den letztes Jahr verstorbenen Filmproduzenten Dieter Wedel. Zuletzt gab es Vorwürfe gegen Film-Titan Til Schweiger, der als Regisseur von Manta Manta – Zwoter Teil die vorgeschriebenen Arbeitszeiten ignoriert haben und dazu beim Dreh betrunken, gewalttätig und sexistisch gewesen sein soll. Schweiger streitet die Anschuldigungen über seine Anwälte ab, persönlich äußerte er sich bisher nicht.

Die SPD-Landtagsfraktion nahm die aktuellen Diskussionen zum Anlass, um beim diesjährigen Münchner Filmfest bei ihrer traditionellen Podiumsdiskussion über „Macht und Ohnmacht am Filmset“ zu sprechen. „Das Thema gab es wahrscheinlich schon immer“, sagte deren kulturpolitischer Sprecher Volkmar Halbleib. „Aber der Fall Schweiger hat die Debatte um Arbeitsbedingungen und die Atmosphäre am Filmset ins Rollen gebracht.“ Der Abgeordnete und seine Münchner Kollegin Renate Kürzdörfer wollten daher von den Gästen wissen, wie die Realität in der Filmbranche aussieht. 

Oliver Zenglein von der Film- und Fernsehplattform Crew United wies in seinem Statement auf den neusten Fall hin: In Österreich soll ein bekannter Schauspieler masturbiert haben, während er von einer Maskenbildnerin geschminkt wurde. Er sei froh, dass seit dem Fall Schweiger verstärkt über solche Fälle gesprochen werde – denn in den letzten 20 Jahren habe sich nichts geändert. „Durch Hierarchien und Machtstrukturen erlauben sich manche Dinge, die sie sich nicht erlauben dürfen, während andere sich nicht wehren.“

Hinzu kommt laut Zenglein der Druck durch zu wenig Geld und Zeit. „Viele wissen nicht, wie sie den Belastungen noch standhalten sollen, und klagen über Burn-out.“ Auch würden gesetzliche Vorgaben zum Beispiel bei der Arbeitszeit zu wenig eingehalten – selbst bei Produzenten von öffentlich-rechtlichen Aufträgen. Er forderte daher mehr Kontrollen und sozialverträgliche Verträge auch für freie Angestellte. Um Selbstausbeutung zu vermeiden, würden zum Beispiel in Baden-Württemberg Budgets vor Drehstart daraufhin geprüft, ob überhaupt eine faire Bezahlung möglich ist. 

Als Reaktion auf die MeToo-Bewegung wurde in Deutschland unter anderem vom Bundesverband Schauspiel (BFFS) die Themis Vertrauensstelle ins Leben gerufen. Deren Vorsitzende Leslie Malton berichtete von 2000 juristischen Beratungsgesprächen in den letzten fünf Jahren. 48 Prozent der Betroffenen hätten dabei von verbalen und 37 Prozent von körperlichen Belästigungen berichtet. Theater und Filmsets hielten sich dabei die Waage. Zusätzlich wurden allein in den letzten zwei Jahren zehn Vergewaltigungen beklagt. 

SPD: "Öffentliche Förderung darf es nur geben, wenn branchentarifvertragliche Regelungen und soziale Standards garantiert werden"

Damit solche Situationen erst gar nicht mehr entstehen, wünscht sich Malton künftig Vertrauenspersonen am Set. Außerdem sollten öffentlich-rechtliche Sender ihre Budgets bitte unter den Schauspielenden verteilen – und nicht an die Intendanten verprassen. „Wir sind nicht der Schuhabstreifer von Frau Schlesinger.“ Als Erfolg des BFFS in jüngster Zeit nennt Malton unter anderem eine Inflationszulage für festangestellte Ensemblemitglieder, eine geregelte und verlängerte Mittagspause sowie die Erhöhung der Einstiegsgage im Theater um 750 auf 2750 Euro. 

Bessere Arbeitsbedingungen sind das Ziel von Sabine Lamby von Naked Eye Filmproduction aus München. Sie versucht es besser zu machen als die großen Player. Grundsätzlich beobachtet die Filmproduzentin zwar seit MeToo eine Sensibilisierung der Branche, weshalb sie Pauschalverurteilungen ablehnt. „Für einen echten Kulturwandel braucht es aber einen offenen Dialog.“ Lamby kommuniziert daher immer offen, welches Budget zur Verfügung steht. „Dann können die Leute entscheiden, ob sie mitmachen wollen oder nicht.“

Mehr Transparenz wünscht sich Lamby auch bei den Geldgebern von Filmproduktionen – insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. „Viele fragen wegen der Quote gezielt nach bestimmten Schauspielern.“ Das seien aber die, die sowieso schon viel Geld verdienen würden. Ziel müsse es stattdessen sein, die Kultur zu fördern und allen gesellschaftlichen Gruppen ein Mitspracherecht zu ermöglichen. Außerdem sollten Drehbücher zu Beginn der Produktion fertig sein, damit Arbeitszeiten besser eingehalten werden können. 

Optimistischer bewertete die Lage trotz der Causa Schweiger Volker Tittel, der seit über 40 Jahren freischaffender Kameramann ist. „Nicht die ganze Branche ist schlecht“, betonte er. Natürlich sei Machtmissbrauch nicht akzeptabel, aber in der Regel würden Probleme immer durch Dialog, Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz gemeinsam gelöst. Laut Tittel hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles verbessert. „Und im Fall Schweiger ist die Produktionsfirma [Constantin Film, Anm. d. Red.] verantwortlich.“ Sie hätte in seinen Augen einschreiten müssen.

Auch die Arbeitsbedingungen bewertete Tittel weniger kritisch. Bei einem Kinofilm mit 53 Drehtagen hätten alle Teilnehmenden jeden Tag Überstunden machen müssen. Dieser Film sei dann aber später ausgezeichnet worden. „Man macht die Arbeit ja auch aus Leidenschaft“, erklärte er. Beim künstlerischen Zusammenspiel passiere immer etwas Magisches, das verbinde. Wer skeptischer sei, könne seinen Arbeitsvertrag vom Berufsverband Kinematografie überprüfen lassen, ob alles korrekt ist. „Aber jeder weiß, worauf er sich einlässt, wenn er einen Film annimmt.“ 

Der SPD-Abgeordnete Halbleib möchte das in Zukunft ändern. Er forderte nach dem Gespräch fairere Bedingungen am Filmset, einen wertschätzenden Umgang und mehr Beratungsstellen für Filmschaffende. Die lückenhafte soziale Absicherung für Film- und Kulturschaffende müsse ein Ende haben. „Wir brauchen klare Bedingungen: Öffentliche Förderung darf es nur geben, wenn branchentarifvertragliche Regelungen und soziale Standards garantiert werden.“

Halbleib fordert, dass Filmschaffende künftig zu den gleichen Bedingungen sozial abgesichert werden wie alle anderen Beschäftigten. Auch müssten alle Zugang zur Arbeitslosenversicherung erhalten. Sollten soziale Standards nicht eingehalten oder Grenzen überschritten werden, brauchen Betroffene mehr Unterstützung: „Wir brauchen eine zentrale, vom Arbeitgeber unabhängige Beratungsstelle für Filmschaffende, die Diskriminierung, Gewalt und Verletzungen des Arbeitsrechts erleiden.“ Nur so werden Regelverstöße sichtbar und können langfristig zu einer neuen Arbeitskultur beitragen.

Eine schnelle Umsetzung dieser Vorhaben wäre wünschenswert. Bei der anschließenden Fragerunde zur Podiumsdiskussion berichteten Gäste aus dem Publikum, dass sie trotz der MeToo-Bewegung vor fünf Jahren als Nebendarsteller regelmäßig bei Serien und sogar erst kürzlich bei einem Filmdreh vor dem „anstrengenden“ Hauptdarsteller gewarnt wurden. Weil sie das Geld benötigten, hätten sie die Rolle dennoch angenommen. Der Streifen wurde trotzdem vor einigen Tagen im Rahmen des Münchner Filmfests ausgezeichnet. (David Lohmann)

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