Landtag

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, von links), Margarete Bause (Grüne), Theo Waigel (CSU) und Renate Schmidt (SPD) diskutierten mit Heinrich Oberreuter, wie man die Vorteile der Demokratie besser vermitteln kann. Eingeladen hatte sie Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU, Dritte von rechts). (Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag/Balk)

29.11.2024

Zeitreise mit passionierten Demokratiefans

Podiumsgespräch: Theo Waigel, Renate Schmidt, Margarete Bause und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Politik heute und früher

Ist die Demokratie in Gefahr? Was kann man tun? Und war denn früher wirklich alles besser? Zur Klärung dieser Fragen und einiger mehr hatte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) vier beziehungsweise gleich fünf „lebende Legenden“, wie Aigner sie titulierte, in den Landtag eingeladen: den früheren Bundesfinanzminister und langjährigen CSU-Chef Theo Waigel, die frühere Bundesfamilienministerin und bayerische SPD-Chefin Renate Schmidt, die frühere Bundesjustizministerin und Ehrenvorsitzende der bayerischen FDP Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die ehemalige Landtags- und Bundestagsabgeordnete Margarete Bause, die auch Landesvorsitzende der Grünen in Bayern war. Moderiert wurde die Runde von Heinrich Oberreuter, dem früheren Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Um es vorwegzusagen: Sie mögen politisch schon länger nicht mehr an vorderster Front stehen, doch von einer entrückten Position à la „Sollen das doch jetzt die Jüngeren machen“ sind sie weit entfernt. Und es zeigte sich, dass ihnen auch wohl bewusst ist, dass diejenigen, die ihnen hier in großer Zahl lauschten, nicht die sind, die man von den Vorteilen einer Demokratie erst überzeugen müsste.

Aktuelle Umfragen zeigen, dass es um die Zustimmung zur Demokratie in Deutschland nicht zum Besten steht. Politikwissenschaftler Oberreuter sagte, er frage sich schon manchmal, was er in 60 Jahren Parlamentarismusforschung eigentlich erreicht habe.

Die Politik müsse sicher deutlicher und öfter erklären, was für Vorzüge das Leben in einer demokratischen Gesellschaft habe – auch, was die Deutsche Einheit gebracht habe, sagte Waigel, der als Teil der Kohl-Regierung damals hautnah dabei war. „Wer wünscht sich ein geteiltes Deutschland zurück?“, fragte er rhetorisch in die Runde. „Man stelle sich heute nur die Situation von vor 1989/90 vor – und Putin wäre an der Macht!“

Natürlich habe die Politik damals Fehler gemacht, gab er zu. „Wir hätten stärker erklären müssen, wie es wirtschaftlich um die DDR steht. Damals habe die Wirtschaftsleistung pro Bewohner oder Bewohnerin nur 28 Prozent des Westniveaus betragen – was den größten solidarischen Geldtransfer der Wirtschaftsgeschichte nach sich gezogen habe: 2,5 Billionen Euro sind bis heute in den Osten gewandert. „Das will aber keiner mehr hören.“

Wenn sie sich heute umhöre, was die Menschen unter Demokratie verstehen, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger, dann käme oft nur, dass man frei wählen könne. Dass aber eine Demokratie auch auf Werten, Grundrechten und einer unabhängigen Justiz beruhe – „das wissen viele nicht mehr“. Auch der Begriff Freiheit werde zu selten reflektiert. Es sei vielen auch nicht bewusst, dass die Freiheit des Einzelnen auch jederzeit wieder eingeschränkt werden könnte. 
„Ich bin so froh, in Deutschland leben zu dürfen. Das sollten wir häufiger sagen“, erklärte Schmidt – und erntete viel Beifall im Publikum. Es habe sich vieles zum Besseren verändert, darin war sich die Runde auch einig.

Als Frau in der frisch im Landtag eingezogenen Grünen-Fraktion sei sie in den 80er-Jahren massiv von Männern anderer Fraktionen angegangen worden, erinnerte sich Bause. „Die Frauenfeindlichkeit wurde sehr offen und ohne Skrupel ausgelebt. Das ist heute so nicht mehr möglich.“ Auch der Klimaschutz habe inzwischen ein anderes Standing. „Jetzt würde kein vernunftbegabter Mensch mehr sagen, ich bin gegen Klimaschutz und Artenschutz.“

Zurück in die Vergangenheit will niemand in der Runde

Was heute alle in der Runde vermissen, ist die Bereitschaft, sich nach durchaus heftigem Ringen um die Sache auf einen Kompromiss zu einigen. Franz Josef Strauß (CSU), Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Willy Brandt (alle drei SPD) und auch Hans-Dietrich Genscher (FDP) – sie alle konnten herrlich gegeneinander giften, aber sich dann auch auf etwas verständigen. Waigel erwähnte einen ungebundenen Finanzkredit an Gorbatschows Sowjetunion in Höhe von 5 Milliarden Euro, den er als Finanzminister eigentlich nicht hätte vergeben dürfen, aber auf politisches Drängen von Bundeskanzler Helmut Kohl hin vergeben sollte. In einem vertraulichen Gespräch mit dem damaligen Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel (SPD) versicherte dieser ihm seine Rückendeckung. Das Geld konnte fließen.

Renate Schmidt erinnerte an Gespräche 1993 mit Bause und Max Stadler (FDP), mit denen sie Pläne für eine bayerische Ampel schmiedete, für den Fall, dass der umstrittene Ministerpräsident Max Streibl wieder angetreten wäre. „Und diese Ampel hätte funktioniert“, grinste Schmidt. Nur ließ die CSU Streibl fallen und Stoiber trat an, die Möglichkeit war dahin.

In die Vergangenheit wollte niemand aus dem Podium zurückreisen. Aber alle mahnten an, dass man angesichts der Herausforderungen im Land und international handeln müsse. „Wir brauchen wieder Investitionen“, sagte Waigel. Er könne sich beispielsweise eine Infrastrukturabgabe vorstellen – „für alle, nicht nur für Holländer“. Ein Seitenhieb auf die gescheiterte Pkw-Maut der CSU nur für Menschen aus dem Ausland. So eine Abgabe, die auch alle verstehen könnten, brächte locker über 100 Milliarden Euro. Schmidt warnte davor, beim Sozialen zu kürzen – wer sich abgehängt fühlt, werde sich sehr wahrscheinlich noch stärker vom Staat abwenden.

Alle plädierten auch für eine parteienübergreifende Verständigung – so wie an diesem Abend. Schmidt nannte als Beispiel die Initiative „Zamrüggn“, die sie in Nürnberg mit Vertreter*innen von drei anderen Parteien gegründet hat. Gemeinsam werben sie in ihrer Heimatstadt für die Demokratie – übrigens auch in sozialen Netzwerken. „Wir haben die Kommunikation nicht mehr in der Hand. Die jungen Leute schauen nicht mehr Fernsehen, die lesen das nicht mehr in der Zeitung.“ Leutheusser-Schnarrenberger bestätigte das. „Für 90 Prozent der jungen Leute ist Tiktok die erste Informationsquelle. Da muss man gegenhalten.“ Margarete Bause betonte, dass nicht nur die Politik gefragt sei. „Als Gegenwind braucht es eine aktive Zivilgesellschaft. Da müssen alle mitmachen, denen die Demokratie am Herzen liegt.“ Dafür gab es viel Applaus. (Thorsten Stark)
 

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