Leben in Bayern

"Abitur 2017" steht übersetzt an die Tafel. Leongehört zu den ersten Abiturienten in Bayern, die zum schriftlichen Abitur in der Fremdsprache Chinesisch antreten. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

08.05.2017

Abi in Chinesisch

Matheformeln, Textanalyse und Chemie - warum sollte man sich auch noch mit chinesischen Schriftzeichen plagen? Sieben Abiturienten erzählen, warum sie sich trotzdem dafür entschieden haben

Gaozhong bìyè yihòu wo hen gaoxìng! Nichts verstanden? Macht nichts. Die meisten Menschen hierzulande sprechen kein Chinesisch. Leon und sechs seiner Schulkameraden sind eine Ausnahme. Als erste Schüler Bayerns schreiben sie am Freitag im Sankt-Anna-Gymnasium in München eine Abiturprüfung in Chinesisch. Fünf Jahre lang haben sie Schriftzeichen geübt, Vokabeln gepaukt und das Hören trainiert. Harte Arbeit, aber "es war jede Sekunde wert", findet die 18-jährige Amelie.

Momentan ist das Gymnasium die einzige Schule in Bayern, die Chinesisch ab Klasse 8 als dritte Fremsprache anbietet, wissenschaftlich begleitet von der Universität Würzburg. In einem Jahr könnten andere Schulen dem Beispiel folgen, resümiert der Sinologe Roland Altenburger, der dem Kultusministerium die Ausweitung empfehlen will - so wie in Berlin oder Nordrhein-Westfalen.

Was die Schüler in vier Schulstunden pro Woche gelernt haben, ist zumindest für Nichtchinesen beeindruckend. Rund 800 Schriftzeichen haben sie seit 2012 gelernt. Leon hat in seinem Block damit mehrere Seiten gefüllt. Ein Aufsatz, so wie er ihn auch im fast sechstündigen Abitur schreiben wird. Er muss einen chinesischen Text analysieren und einen deutschen Text übersetzen. Und dann natürlich die Übungen im Hörverstehen, vor denen Amelie großen Respekt hat, während Leon eher befürchtet, beim Schreiben nicht die richtigen Worte zu finden.

Das Unbekannte reizt. Langeweile? "Nie!"

Rektorin Angelika Laumer hat Respekt vor der Leistung der sieben Absolventen. "Sie haben sich da durchgekämpft", sagt sie anerkennend. Die Chinesisch-Lehrerin Barbara Guber-Dorsch bestätigt: "Man muss im Prinzip jeden Tag etwas tun, sonst verschwindet es wieder." Harte Arbeit also, denn "Englisch begegnet einem jeden Tag, bei Chinesisch fängt man bei Null an", beschreibt Lina. Warum tut man sich das an? "Chinesisch war etwas ganz Neues und verbunden mit einer ganz anderen Kultur", begründet Sarah. Auch Anton reizte das Unbekannte. "Es sah nach viel Arbeit aus, aber auch viel Freude, nach etwas Neuem, und das hat sich echt bestätigt." Langeweile? "Nie", sagt der 18-Jährige.

Das Engagement von Guber-Dorsch und zwei Austauschfahrten nach Nordchina und Taiwan taten ein Übriges. Lea hat bis heute Kontakt mit ihrer Austauschpartnerin, über Facebook. Und Leon will die Sprache gerne beruflich nutzen, vielleicht in Verbindung mit Wirtschaft oder Jura. Sinnvoll, findet der Sinologe Altenburger. Rund 900 Millionen Menschen weltweit sprechen Nordchinesisch. "Die Chance, dass man morgen einen chinesischen Chef hat, sind nicht so gering." Außerdem vermittle der Unterricht viel über Leben, Kultur und Gepflogenheiten, "die werden leicht unterschätzt, sind aber manchmal wichtiger als Worte". Schon wenige Brocken könnten viel bewirken. "Wenn jemand nur zehn gut ausformulierte Sätze auf Lager hat, kann er sehr punkten."

Altenburger rät Anfängern, mutig zu sein. "Man muss nicht hochbegabt sein, um Chinesisch zu lernen. Das ist eine normale Fremdsprache, aber der Aufwand ist erheblich." Sehr gebildete, gelehrte Chinesen beherrschten 10 000 bis 15 000 Schriftzeichen. Normal seien 2500 bis 3000 Zeichen. Und einfache Texte in der Zeitung lesen könne man ab 1500 Schriftzeichen. Da haben die Abiturienten noch einiges vor sich. Und sie müssen dranbleiben. "Momentan sind sie topfit, aber in einem halben Jahr wird das eine oder andere Zeichen wieder verschwunden sein", glaubt Lehrerin Guber-Dorsch. Dafür bleibe das Gefühl: "Ich schaffe etwas, was sich nur ganz wenige zutrauen."

Stolz sind die sieben zurecht. Und ansonsten ganz normale Schüler, die sich auf Urlaub, Freizeit und Freunde freuen. Oder, um es in die chinesischen Worte vom Anfang zu fassen, die Leon auf einen Zettel geschrieben hat: "Wenn das Abitur vorbei ist, bin ich sehr froh!". (Cordula Dieckmann, dpa)

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