Leben in Bayern

Ganz in der Nähe der urigen Pension „Beim Seiler“ in Nesselwang soll eine Unterkunft für Geflüchtete entstehen. Der Besitzer ist gegen den Standort. (Foto: privat)

24.11.2023

Ärger um Flüchtlingsheim in Tourismusort

Im Tourismusort Nesselwang wollen Einheimische ein Flüchtlingsheim im Ortszentrum verhindern – auch in anderen Fremdenverkehrs-Hotspots gibt es Ärger

Eines, das betont Lorenz Klotz, sei ihm ganz wichtig: „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge.“ Für den Besitzer eines Nesselwanger Gästehauses ist im Gespräch mit der Staatszeitung allerdings klar: „Die müssen doch nicht mitten in unserem Ortszentrum leben!“ Der Grund für Klotz’ Ärger sind Pläne der Regierung von Schwaben: Demnach soll nur wenige Meter entfernt von seiner Pension „Beim Seiler“ ein Flüchtlingsheim entstehen. „Wenn direkt neben uns 32 Flüchtlinge einziehen, bleiben uns doch die Touristen weg“, fürchtet Klotz.

Nicht wenige in Nesselwang leben so wie der 62-jährige Klotz vom Fremdenverkehr. Der staatlich anerkannte Luftkurort am Fuße der Allgäuer Alpen lockt Besucher*innen aus ganz Deutschland. Im Sommer können die Feriengäste diverse nahe gelegene Sehenswürdigkeiten wie Neuschwanstein oder Hohenschwangau erkunden oder im klaren Grüntensee baden – und auch bei Wintersportlern ist der an der Alpspitze gelegene 3500-Seelen-Ort beliebt.

Seit vor einem Jahr bei der Gemeinde und dem zuständigen Landratsamt ein Antrag auf Nutzungsänderung für ein leer stehendes Haus in der Hauptstraße 14 einging, geht bei manchen im Ort die Angst um. Über 500 Nesselwanger*innen haben eine Petition gegen die mitten im Ortszentrum geplante Unterkunft für bis zu 32 Geflüchtete unterzeichnet. Auch Bürgermeister Pirmin Joas ist nicht damit einverstanden, dass aus einem ehemaligen Café in der Hauptstraße ein Übergangswohnheim für Migrant*innen wird. „Aus unserer Sicht ist der Standort denkbar ungeeignet“, sagte der CSU-Politiker dem Kreisboten.

Auch der Nesselwanger Gemeinderat ist dagegen

Zweimal hat der Gemeinderat den Antrag auf Nutzungsänderung abgelehnt. Verhindern kann das Gremium den Bau allerdings nicht. Am 27. Februar erteilte das Landratsamt die Genehmigung für die Errichtung. Bereits im März 2022 hatte der Gebäudeeigentümer die Immobilie der Regierung von Schwaben angeboten. Und die war sofort interessiert. Denn wegen der hohen Anzahl an ankommenden Flüchtlingen sucht der Freistaat händeringend nach Heimkapazitäten. Die Unterkunft in Nesselwang sei „wichtig, um alle Flüchtlinge unterbringen zu können“, sagt ein Sprecher der Bezirksregierung der Staatszeitung.

Es handle sich allerdings „um eine relative kleine Unterkunft für bis zu 32 Personen, die überwiegend im Familienverband einreisen“, so die Behördensprecherin. In das Nesselwanger Übergangswohnheim sollten vor allem Menschen ziehen, „die sofort nach der Einreise ein Aufenthaltsrecht haben und arbeiten dürfen“. Hierzu zählten etwa Spätaussiedler, jüdische Kontingentflüchtlinge oder Syrer und Afghanen, die über humanitäre Aufnahmeprogramme ins Land kamen.

„Das kann doch nicht gut gehen, wenn Menschen mit so verschiedener Herkunft auf engstem Raum zusammenleben sollen“, glaubt Klotz. Er fürchtet Konflikte und Lärm. „Die künftige Unterkunft hat überhaupt keine Außenfläche“, sagt Klotz.

So wie auch andere Nesselwanger ärgert er sich, dass sich die Regierung von Schwaben nicht für ein weniger zentral gelegenes Areal als Standort entschieden hat. Er nennt als Beispiel ein Grundstück am Hertinger Weg mit rund 2000 Quadratmeter Außenfläche, das ein bisschen ab vom Schuss ist. Dort hätten „die Menschen viel Platz“. Und sie seien bei Bedarf dennoch nach einigen Minuten im Ortskern.

Bezirksregierung verteidigt Vorgehen

Ein Sprecher der Bezirksregierung verteidigt das Vorgehen: Man habe das Grundstück am Hertinger Weg erst angeboten bekommen, nachdem bereits der Mietvertrag für die Immobilie in der Hauptstraße unterzeichnet war. „Aber den hätte man ja kündigen können“, hält Klotz dagegen. Ohnehin sei die Bevölkerung nicht in die Pläne einbezogen worden. „Wir haben aus der Zeitung von dem Plan für das Flüchtlingsheim erfahren“, sagt auch Klotz’ Lebensgefährtin, Malgorzata Fischer.

Bürgermeister Joas, der eine BSZ-Anfrage zunächst unbeantwortet ließ, beklagte gegenüber dem Kreisboten ebenfalls, man sei als Gemeinde vor vollendete Tatsachen gestellt worden. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Meinung der Menschen vor Ort, die mit der Entscheidung klarkommen müssen, gehört wird.“

Auch Joas ist nach eigener Aussage nicht generell gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Nesselwang – aber eben nicht an der geplanten Stelle. „Um das Objekt herum bestehen keinerlei Flächen zum Aufenthalt, sodass wir anhaltende Konflikte mit den umliegenden Gewerbe- und Vermietungsbetrieben befürchten“, ist er überzeugt.

Die Regierung von Schwaben versucht zu beschwichtigen: Die Menschen, die im geplanten Heim einziehen sollten, hätten eine „Bleibeperspektive und damit gute Voraussetzungen für eine gelingende Integration“. Klotz glaubt, dass am Ende doch wie „ursprünglich angedacht viele junge Männer einziehen“. Für ihn ist klar: „Da entsteht ein Brennpunkt.“

Ein Gastwirt hat Klage eingereicht

Die Umbauarbeiten haben bereits vor einigen Wochen begonnen. Klotz bangt um seine berufliche Existenz. „Wer will denn neben einem Flüchtlingsheim Urlaub machen?“, fragt er. Mehrere Stammgäste hätten schon gesagt: „Kommen die Flüchtlinge, fahren wir nächstes Mal woanders hin.“

Klotz betreibt unter dem Dach des Gästehauses auch einen gut gehenden Käseladen und eine Brotzeitstube. Er hat das Gebäude, das früher eine historische Seilerei und Schusterwerkstatt war, aufwendig saniert. „Da steckt neben Geld auch viel Schweiß und Arbeit drin.“ Den Kredit für die Sanierung und den Umbau des Gebäudes hat er noch nicht abbezahlt.

Auch in anderen bayerischen Tourismus-Hotspots fällt der Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte oft größer aus als etwa in den großen Städten. Immer wieder bringen Gegner*innen der Projekte auch ein Argument vor: Die Gäste würden wegbleiben, wenn in der Nähe des Hotels oder der Pension Geflüchtete lebten. Selbst wenn die Migrant*innen wie gerade am Tegernsee in einem Gewerbegebiet untergebracht werden sollen, wird heftig gestritten.

Klotz hat Klage gegen das Flüchtlingsheim eingereicht. In dieser Woche hat sich das Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Fall beschäftigt und gegen ihn entschieden. Der Nesselwanger will nun in die nächste Instanz gehen. (Tobias Lill)

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