Leben in Bayern

Purer Luxus für Alfred H.: eine Tasse Tee im Supermarkt-Café an der Ecke. (Foto: Nikolas Pelke)

28.02.2020

Alfred wartet auf die Grundrente

So wie einem 72-Jährigen aus Nürnberg geht es immer mehr Senioren in Bayern: Sie leben am Existenzminimum

Nur zwölf Euro – mehr Geld hat Alfred H. als „Mini-Rentner“ pro Tag nicht zum Leben. Dabei bekommt der 72-jährige Nürnberger bereits Grundsicherung im Alter. Jetzt hofft der Senior, den alle, die ihn kennen, nur Ali nennen, auf die neue, gerade in Berlin beschlossene Grundrente. Ob er die aber auch wirklich bekommt, ist noch längst nicht sicher.

Mit Hut und Jacke hockt Alfred H. in seiner kleinen Einzimmer-Wohnung im Nürnberger Norden. „Ich heize eigentlich nie“, sagt der 72-Jährige. Weil die Wohnung immer kalt bleibt, habe ihm der städtische Energieanbieter kürzlich 150 Euro zurückerstatten wollen. „Das Geld habe ich aber nie gesehen“, sagt Alfred, den alle, die ihn kennen, nur Ali nennen. Denn das Amt habe das Geld nach der Überweisung sofort einkassiert. „Wer Grundsicherung im Alter bekommt, darf kein Einkommen haben“, erklärt er.

Ali legt seine Finanzsituation in einer einfachen Rechnung offen auf den Tisch. „Ich kriege eine Rente in Höhe von 701 Euro. Davon zahle ich hier die Miete.“ Er zeigt auf sein kleines Reich mit den wenigen Habseligkeiten. Eine nackte Matratze liegt auf dem Boden. Die Küchenzeile neben der Eingangstür hat schon bessere Tage gesehen. Dazwischen ragen Erinnerungen eines langen Lebens aus wild herumliegenden Kleidungsstücken und billigen Küchenutensilien hervor. „Das sind meine beiden Kinder“, sagt Ali und zeigt auf das einfach gerahmte Familienfoto, das wie ein heller Kometenschein aus all dem Wirrwarr aus Bescheidenheit und Finanznot hervorleuchtet.

Sogar das Geld für einen Fahrschein fehlt manchmal

Für die Einzimmerwohnung mit der Küchenzeile und dem kleinen Balkon im vierten Stock eines einfachen Mehrfamilienhauses muss Ali 410 Euro plus 35 Euro für die Heizung auftreiben. „Vom Grundsicherungsamt bekomme ich monatlich 120 Euro dazu. Unter dem Strich bleiben mir zum Leben rund 370 Euro übrig. Das sind zwölf Euro und ein paar Zerquetschte pro Tag“, sagt Ali. Manchmal wisse er nicht, wie er das Geld für einen Fahrschein auftreiben solle. „Früher durfte man als armer Rentner mit Grundsicherung noch einen Kinderfahrschein lösen. Heute müssen wir gleich eine Monatskarte für 30 Euro bei den städtischen Verkehrsbetrieben kaufen.“ Ali fragt, wie er sich von dem restlichen Kleingeld, das ihm pro Tag noch übrig bleibe, auch noch gesund ernähren solle?

Nachdenklich öffnet Ali nun ein Briefkuvert mit der letzten Stromrechnung. Der kommunale Energieversorger hat schlechte Nachrichten. Der Abschlag für den Strom wird auf 38 Euro im Monat erhöht. Ali blickt sich in seiner Wohnung verlegen um, fast so, als ob er vergeblich etwas zum Versetzen sucht. Er erzählt von seiner letzten Begegnung mit dem Amt für Existenzsicherung an der Nürnberger Frauentormauer. Die nette Dame hinter dem Schalter habe ihm geraten, nach Thailand auszuwandern. Dort könne er besser leben. Neue Winterschuhe seien ihm bei der Gelegenheit nicht bewilligt worden, weil warme Füße nicht zum „eventuellen Mehrbedarf“ gehören würden. Geld für Schuhe seien in der Grundsicherung enthalten, habe ihm die Dame mit der zynischen Reise-Empfehlung gesagt, bevor er auf seinen alten, durchgelaufenen Absätzen wieder kehrtgemacht habe.
„Die Grundsicherung finanziert im Prinzip nur die hohen Mieten“, ist sich Ali sicher und erklärt, dass diese nur den Regelsatz in Höhe von 432 Euro plus die „örtlich angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung“ abzüglich der eigenen Rente gewähren würde. „Grundsicherung im Alter ist schlimmer als Hartz IV“, sagt Ali und streckt in seinem alten Relaxliegesessel die Füße aus. „Das ist mein einziger Luxus.“

Ali schaltet mit der auf dem Fußboden liegenden Fernbedienung den Fernseher an. „Den teuren Rundfunkbeitrag müssen wir immerhin nicht auch noch bezahlen“, sagt er und macht die Flimmerkiste nach einem ernüchternden Ritt durch die bunten Kanäle wieder aus. Eine Zeit lang habe er versucht, mit hartem Alkohol aus der Realität zu flüchten. „Mit einer günstigen Flasche Wodka kann man billig den Tag überstehen.“ An den Hunger denke man mit ein paar Promille im Blut auch nicht mehr. Der Arzt habe ihm von seiner Wodka-Diät schnell wieder abgeraten. Seitdem trinkt er nur noch Tee und unternimmt endlose Spaziergänge.

„Grundsicherung im Alter ist schlimmer als Hartz-IV“

Ohne seinen Jutebeutel, den er sich quer über die Brust spannt, verlässt Ali selten das Haus. „Meine Futtertasche für meine Tiere habe ich immer dabei“, sagt er und erzählt, dass er sich besonders um Krähen und Hunde kümmern würde. Ein paar treue Rabenvögel kämen jeden Morgen sogar pünktlich um acht Uhr zum Krähen-Frühstück auf seinem Balkon vorbei. Hin und wieder gehe er auch Gassi mit den Nachbarhunden. Als Dankeschön werde er dafür gelegentlich zum Tee im Supermarkt-Café an der Ecke eingeladen. „Eigentlich müsste ich mir für jeden Tee, den ich von netten Leuten spendiert bekomme, eine Quittung geben lassen, damit mir das Amt den einen Euro wieder abknöpfen kann“, sagt Ali ohne den leisesten Funken von Sarkasmus oder Bitterkeit in seiner Stimme.

Am 19. Februar hat der Bundestag die Grundrente beschlossen. Ali hofft, dass er dadurch ein paar Euro mehr zum Leben bekommt. Schon ab dem nächsten Jahr sollen rund 1,4 Millionen Menschen, die trotz langer Beitragszeiten nur wenig Rente bekommen, einen bescheidenen Aufschlag in Höhe von zehn Prozent auf den regionalen Grundsicherungsbedarf bekommen. Genauso wie Ali dürften derzeit viele arme Rentner darauf setzen, bald ein paar Euro mehr in der Tasche zu haben. Allein in Nürnberg haben laut Auskunft des städtischen Sozialreferats im letzten Jahr 6292 Rentner eine Grundsicherung erhalten. Damit die finanziell hart gebetteten Senioren etwas besser (über)leben können, hat Nürnberg an diese Gruppe im letzten Jahr über 39 Millionen Euro an Bundesmitteln verteilt.

Mit der Grundrente wären endlich neue Schuhe drin

Die Kosten der Grundrente schätzt die Bundesregierung auf rund 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Tendenz steigend. Denn in Zukunft dürften noch mehr Menschen wie Ali im Alter in Deutschland mit Geldproblemen zu kämpfen haben. Die Bundesregierung erwartet, dass die heutige Generation aufgrund heterogener Erwerbsbiografien noch stärker von Altersarmut betroffen sein wird.

Jeder arme Rentner soll freilich nicht die neue Grundrente erhalten. Der Leistungsgedanke soll bestehen bleiben. Nur wer mindestens 33 Jahre „Grundrentenzeiten“ vorweisen kann und stetig in die Rentenkasse einbezahlt und vielleicht noch Kinder großgezogen oder Angehörige gepflegt hat, dem soll die Rente um den kleinen Zuschlag von bis zu zehn Prozent des Grundsicherungsbedarfs erhöht werden. „Bei mir wird es ganz knapp. Aber vielleicht klappt es ja“, sagt Ali. 20 Jahre lang war er bei zwei Nürnberger Industrieunternehmen als Arbeiter tätig. Davor hatte er immer wieder wechselnde Jobs.

Mit den paar Euro mehr im Monat aus der neuen Grundrente könnte sich Ali wohl endlich bald mal ein Paar neue Schuhe leisten. Und falls Ali leer ausgeht? Den Glauben an das Gute wolle er auch dann nicht aufgeben. Dafür liebe er das Leben und die Freiheit viel zu sehr, sagt Ali. Dann verschwindet er mit Hut und Jacke nach draußen in die Kälte zum Krähenfüttern im Park.
(Nikolas Pelke)

Kommentare (2)

  1. Schlawiner am 28.02.2020
    Win trauriges Schicksal und sicher kein Einzelfall. Das mit der Heizung ist einfach nur unerhört. Aber: 38€ Stromabschlag? Ein Anbieterwechsel böte sich an, 10-15€ mtl sind 'drin'. Außerdem dürfen Grundsicherungsempfänger durchaus Erwerbseinkommen haben: 30% bleiben anrechnungsfrei gem Par 82 SGB XII. Ob das aber einem alten Menschen zugemutet werden soll ist eine andere Frage...
  2. Mausebär am 28.02.2020
    Die Grundrente ist dringend erforderlich für viele Menschen , ich hoffe unsere Volksparteien ziehen es wirklich bis zum Ende dieses Jahres durch und reden nicht vorher alles wieder kaputt. Ansonsten denke ich werden wir andere an die Spitze unseres Landes bekommen die wir nicht wollen.
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