Leben in Bayern

Mit einer Pinzette arbeitet Uhrmacher Joachim Zorn in seiner Werkstatt an einer mechanischen Armbanduhr. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

07.09.2021

Als Nürnberger Eier High-Tech waren

Bei edlen Uhren denkt man an die Schweiz, Frankreich, vielleicht noch Sachsen - doch gerade in Bayern hat das Handwerk, das jüngst ins immaterielle Kulturerbe aufgenommen wurde, uralte Wurzeln. Auch ohne ein berühmtes Beweisstück

Nein, die berühmte Henlein-Uhr im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ist nicht die älteste Taschenuhr der Welt. Aber sie hätte es leicht sein können. Denn um das Jahr 1500, als die ersten Taschenuhren entstanden, war Nürnberg in Sachen Uhrmacherhandwerk die Nummer eins in Deutschland und auch europaweit eines der wichtigsten Zentren, wie Heike Zech vom Nationalmuseum erzählt.

Das Uhrmacherhandwerk hat in Bayern eine lange Tradition. Auch Augsburg entwickelte sich später zu einem führenden Zentrum. Seit März gehört das Handwerk zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. "Die Erfindung der Zugfeder um 1500 ermöglichte die Herstellung von kleinen tragbaren Uhren. Die grundlegenden handwerklichen Fertigkeiten haben sich seitdem kaum verändert", heißt es in der Würdigung der deutschen Unesco-Kommission. Und damit ist man zurück in Nürnberg und bei Henlein.

Wer die erste Taschenuhr der Welt gebaut habe, könne man heute nicht sicher sagen, sagt Zech. Die Erfindung habe damals "in der Luft gelegen". Es gebe ein paar Kandidaten, unter anderem aus Prag. Doch der Nürnberger Meister Peter Henlein habe sehr früh solche Uhren gebaut. Dass er lange als Erfinder galt, liegt auch an besagter Henlein-Uhr im Nationalmuseum. Die ehemalige Ikone der Uhrmacherkunst ist inzwischen durch eigene Forschung des Museums als nachträgliche Montage erkannt.

Typisch frühe Form der Taschenuhr aus Franken

Doch die Verdienste Henleins schmälert das nicht. Er habe die Uhrmachertechnik in Nürnberg um 1500 herum ganz nach vorne gebracht, sagt Zech. In der Folge entwickelte sich der Markt und mit ihm der Begriff des Nürnberger Eis - einer typischen frühen Form der Taschenuhr, die aus der Frankenmetropole kam.

"Die Uhren tauchen dann auch in Porträts auf", sagt Zech. Ihre Besitzer seien stolz gewesen, sich eine solche Uhr leisten zu können, aber auch zu zeigen, dass sie technisch auf der Höhe der Zeit seien. Eine Taschenuhr war damals High-Tech. Auch Uhrmachermeister Joachim Zorn aus Würzburg, der an der Eintragung des Handwerks in die Kulturerbeliste beteiligt war, betont das Prestige, das eine Taschenuhr zu dieser Zeit hatte. Das sei so gewesen wie reiche Menschen heutzutage teure Autos hätten. "Ein normaler Bürger oder Handwerker konnte sich das damals nicht leisten."

Als die ersten Taschenuhren entstanden, war Nürnberg eines der wichtigsten Zentren für Technik und höchste Handwerkskunst in Europa. "Die Stadt der Metallhandwerke", sagt Zech. Die Metropole profitiert dabei von ihrer zentralen Lage und Größe, zum anderen davon, freie Reichsstadt zu sein. Das habe ein großes Selbstbewusstsein der Handwerker und eine Konzentration auf Luxus und Qualität gefördert.

Ein Kulmbacher gründete die Marke Rolex

Es waren ähnliche Voraussetzungen, die es später Augsburg erlauben, Nürnberg beim Uhrmacherhandwerk den Rang abzulaufen. Die Kaufmannsfamilie Fugger und die größere Nähe zur wichtiger werdenden Residenz in München bringen die Stadt nach vorne. Doch auf Dauer übernehmen London, Paris und die Schweiz die Führung bei den Uhren, wie Zech erzählt. Auch weil sie auf die Manufaktur als arbeitsteilige Produktionsweise setzen.

So kommt es, dass ein anderer Franke, der rund 400 Jahre später in die Uhrmachergeschichte eingehen sollte, dies nicht mehr in seiner Heimat tat. Der Kulmbacher Hans Wilsdorf ging erst in die Schweiz, später nach London und am Ende erneut in die Schweiz, um dort die Marke Rolex zu gründen.

"Die Uhr war immer ein Innovationstreiber", sagt Uhrmachermeister Zorn. Das sei einer der Gründe für die Faszination des Handwerks - und warum es immer noch blühe. "Man hatte mal in den 70er Jahren ein bisschen Angst, dass die Uhr nur noch zum Zeitmesser wird." Doch so sei es nicht gekommen. Vielleicht habe das auch damit zu tun, einen wertvollen Gegenstand zu haben, den man immer eng bei sich führe und der vererbbar sei. "Die Taschenuhr vom Großvater - das hat auch etwas mit Persönlichkeit zu tun."

Es gebe noch eine weitere Besonderheit, die mit der handwerklichen Herstellung zu tun habe: "Eine Uhr lässt sich immer wieder in einen gangbaren Zustand versetzen", sagt Zorn. Selbst ein Auto werde irgendwann verschrottet, aber eine Uhr könne von einem guten Uhrmacher immer wieder zum Leben erweckt werden.

Dafür müsse man aber all die traditionellen handwerklichen Fähigkeiten beherrschen - auch um individuelle Ersatzteile als Einzelstücke herstellen zu können. "Da kann ich manchmal keine Maschinen einsetzen, da hab ich meinen Zirkel, meine Feile, meine Säge und mein Hirn, und dann mache ich das aus dem rohen Stahl", erklärt Zorn. "Ich hab kürzlich eine Uhr auf der Werkbank gehabt, die hatte 1000 Teile", erinnert er sich. Mit so etwas umgehen zu dürfen, sei ein großes Glück.
Dass das Uhrmacherhandwerk in die Kulturerbe-Liste aufgenommen wurde, sieht Zorn als Zeichen von Wertschätzung - und als "gewisse Adelung". Das Handwerk bringe eine sehr lange Geschichte mit sich, betont er. Und die beginnt auch in Bayern.
(Christof Rührmair, dpa)

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