Für gestresste Städter ist Angeln das neue Outdoor-Erlebnis. Inzwischen ist es leichter, einen Tisch auf dem Oktoberfest zu bekommen als eine Fischereierlaubnis für die Isar. Und auch im Rest von Bayern wird immer öfter die Rute ausgeworfen: Jährlich melden sich über 10 000 Menschen im Freistaat zur staatlichen Prüfung an. Tendenz steigend.
Kristof Reuther steht mit verspiegelter Sonnenbrille mitten in der Isar. Den Münchner Friedensengel im Rücken, die Baseballkappe auf dem Kopf, die Fliegenrute in der Hand. Das Wasser umspült seine Wathose. Immer wieder wirft der 23-Jährige seinen Köder, der ein schlüpfendes Insekt imitiert, zu einer nur wenige Meter entfernten Forelle. „Man ist in einer Millionenstadt und gleichzeitig in der Natur. Das hat was“, sagt der Fliegenfischer.
Auch Tobias Schneider zieht es nach Feierabend ans Wasser. Der Angellehrer aus Augsburg sucht unter graffitibesprühten Brücken nach Fisch-Hotspots in Lech und Wertach. Streetfishing nennt sich das. „Dafür braucht es keine lange Anfahrt. Man geht durch den Park und schon geht’s los. Das ist spannend und total entspannend“, sagt der 38-jährige Familienvater. Am Wochenende geht’s dann in die Natur.
Die beiden gehören zur neuen Generation der Angler in Bayern. Aktiv im Wasser, im Naturschutz – und im Netz. Instagram-Account und Blog statt Anglerschirm und beiger Fischerweste. Der Sport hat sein Klappstuhl-Image abgelegt und ist hip wie nie. Der volkswirtschaftliche Umsatz wird nach Angaben des Deutschen Angelfischerverbands auf 5,4 Milliarden Euro geschätzt. Und nirgendwo gibt es so viele Hobby-Fischer wie im Freistaat.
Hype vor allem bei Männern zwischen 20 und 29 Jahren
Nach Angaben des bayerischen Anglerverbands ist die Zahl der Mitglieder in den vergangenen fünf Jahren um etwa 6000 auf 136 000 gestiegen. Jährlich treten mehr als 10 000 Menschen im Freistaat zur staatlichen Fischereiprüfung an. Die meisten von ihnen sind Männer zwischen 20 und 29 Jahren. Geschätzte 260 000 haben ihn schon in der Tasche. Dass der früher nur einmal im Jahr angebotene Test inzwischen online möglich ist und kurzfristig wiederholt werden kann, ist dabei sicher nur ein Grund für den „Petri-Heil“-Hype.
Der einstige Altherrensport ist zum Outdoor-Erlebnis für gestresste Städter geworden, die am Wasser den Kopf frei bekommen wollen. „Angeln ist der ideale Gegenpol zu unserer digitalen, schnelllebigen Zeit“, findet Tobias Schneider. Magazine wie das vom Ammersee kommende Am Haken oder Fischers Fritz feiern den Sport als Lebensgefühl. Promis, die mit ihren Fängen am Haken posen, gibt es wie Sand am Meer. Besonders begehrt ist die Isar. Längst ist es einfacher, einen Tisch auf dem Oktoberfest zu bekommen, als eine Fischereierlaubnis für den Stadtfluss. Mehrjährige Wartezeiten sind völlig normal.
„In dem Boom zeigt sich die Sehnsucht nach einer engeren Verbundenheit zur Natur. Es gibt ja auch immer mehr Jäger, Bergsteiger oder Kanufahrer“, sagt Verbandssprecher Thomas Funke. Bayern ist dafür natürlich ideal. „Hier gibt es deutschlandweit einzigartige Gewässer, gerade im Voralpenland mit den wilden Flüssen Ammer, Isar oder Wertach. Dazu kommen die großen Seen wie Chiemsee und Starnberger See, aber auch die spannenden Alpenseen wie Schliersee oder Tegernsee“, sagt Funke. All diese Gewässer seien nicht nur landschaftlich außergewöhnlich, sondern hätten auch mit Blick auf die Fische besondere Reize. „Beispielsweise gibt es nur bei uns im bayerischen Donaueinzugsgebiet den Huchen, einen Salmoniden, der bis zu 150 cm lang werden kann.“
Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit und Regionalität beim Essen ist ein weiterer Grund für die zunehmende Beliebtheit des Angelns – egal ob im Fluss, vom Ufer oder Boot aus. „Viele wollen aus ökologischen Gründen keine Kutterfische aus dem überfischten Meer oder aus einer Zucht in Südostasien, die die Mangroven zerstört“, sagt Funke.
Doch allein ums Kochtopffischen geht es den wenigsten. Es ist auch der Jagdtrieb, der viele anspornt. Wer Erfolg haben will, braucht Geduld, Ausdauer und Fachwissen. „Man lernt, die Natur zu lesen. Wo ist das Gewässer verheißungsvoll, welche Insekten schwirren hier und wie imitiere ich sie“, sagt Reuther, der in Ismaning aufgewachsen ist und schon mit seinem Vater zum Angeln ging.
Die Faszination für die Isar hat ihn nie losgelassen und zum Studium der Umweltingenieurswissenschaften bewegt. Inzwischen gehört Reuther zu den bekanntesten Fliegenfischern Bayerns und bietet eigene Wurfkurse an. Mehrere Kilometer legt Kristof Reuther zurück, wenn er flussabwärts zieht. Ansitzangeln ist nichts für ihn, er mag die Bewegung. „Wenn das Wasser an meinen Beinen reißt, fällt der ganze Stress von mir ab.“ Auf seinem Blog Danica Dudes teilen er und seine Freunde ihre Erfahrungen am Wasser – in Bayern, Norwegen oder Florida.
Bei den Isarfischern gibt es schon einen Aufnahmestopp
Natürlich sei das Angeln spannend, schließlich könnte jedes Mal der Fisch des Lebens anbeißen, sagt Reuther. Doch in erster Linie gehe es um das Naturerlebnis, das Gemeinschaftsgefühl und vor allem um den Schutz und Erhalt der Gewässer und der dort lebenden Tiere. „Angler sind auch Naturschützer, die sich um Artenvielfalt und Wasserqualität kümmern.“ Während es den Fischen in den meisten Seen besser geht, sind 80 Prozent der Flussfischarten gefährdet. Strenge Fangbestimmungen sind unabdingbar.
Seine Begeisterung für Natur und Tier vermittelt Reuther schon den Jüngsten. Denn auch bei Kindern hat der Angelsport Hochkonjunktur. Seit Jahren gibt es bei den Isarfischern in München einen Aufnahmestopp – so hoch ist der Andrang. „Meist kommt der Impuls von den Eltern, die ihr Kind lieber draußen als am Smartphone sehen. Aber sind sie erst einmal dabei, gibt es kaum Abspringer.“ Gemeinsam mit Jugendleiter Reuther kümmern sie sich auch um die Stadtbäche und schaffen dort mit Steinen und Holz Ruheräume für Jungfische, damit sie geschützt aufwachsen können.
Mit zehn Jahren kann der Jugendfischereischein erworben werden, dann darf in Begleitung eines Erwachsenen geangelt werden. Mit 14 kann dann die staatliche Fischerprüfung abgelegt werden. Für die Generation YouTube gehört laut der Studie „Fokus Naturbildung“ ein aktives Naturerlebnis zum guten Leben dazu. Dort suchen 74 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen zwölf und 15 Jahren Spaß, Action sowie einen Ausgleich zum Schulalltag.
Das erlebt auch Tobias Schneider, der in Augsburg und Umgebung Kindern das Ökosystem Wasser näherbringt. „Dabei fangen wir mit Netzen Kleinstlebewesen wie Fliegenlarven und Flohkrebse, deren Vorkommen Rückschlüsse auf die Gewässerqualität zulässt. Dieses Funkeln in den Augen, diese Anspannung – das ist schön zu sehen“, sagt der Familienvater, der selbst seit 30 Jahren fischt. Schattenseiten der Angelbegeisterung? Kennt er nur eine. „Alleine am Wasser zu sein wird immer schwieriger. Man muss sich den Kuchen eben teilen.“
Als Frau hat man als Fischerin einen Exotenstatus
Nachwuchssorgen hat der Sport also nicht. Nur der Mädchen- und Frauenanteil ist mit zehn Prozent nach wie vor gering. Fliegenfischerin Ingrid Volner genießt deshalb immer noch Exotenstatus. „Wenn ich mit meinen blonden Haaren und lackierten Fingernägeln auftauche, sprechen die Blicke der Männer meist Bände – nach dem Motto: Was will denn die hier?“, sagt die 45-Jährige und lacht.
Doch bei den Münchner Isarfischern ist die Kosmetikerin bekannt – und hat sich mit ihrem Können und ihrem Engagement bei den Arbeitseinsätzen des Vereins längst Respekt und eine der begehrten Fischereigenehmigungen für den Stadtfluss verdient. Berührungsängste kennt sie nicht. „Ich bin in Rumänien auf einem Hof aufgewachsen und ein absolutes Naturkind. Ich liebe Tiere, aber sie waren auch immer ein Teil der Ernährung.“ Fange sie einen Fisch, werde schnell getötet und komplett verwertet. „Ich behandle die Tiere mit größtem Respekt und bedanke mich bei jedem einzelnen.“
Den Sport hat die Unterföhringerin über ihren Ex-Partner kennengelernt. „Damals habe ich mit ihm viel im Ausland geangelt, weil man da oft keinen Fischereischein braucht.“ Die Prüfung habe sie erst nach der Trennung abgelegt, denn aus dem Hobby sei eine Leidenschaft geworden. Lässt es die Zeit zu, ziehe sie ein- bis zweimal pro Woche los – gerne in Begleitung. „Man tauscht sich aus und lernt voneinander.“
Ihre Kundinnen würden ihre Leidenschaft fürs Fischen zwar bewundern, würden den Sport aber nicht in Erwägung ziehen. Woran es liegt? „Die Ausrüstung ist schwer, es schwirren Insekten und oft muss man auch einfach nur warten“, versucht sich Volner an einer möglichen Erklärung. „Für mich ist es aber ein absoluter Erholungsmoment, wenn ich von der lauten Stadt in die laute Natur gehe.“ Still sei es nämlich nicht am Wasser. „Der Fluss, die Vögel, das Wasser, das ist eine ganz besonders schöne Geräuschkulisse.“
(Ruth van Doornik)
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