Leben in Bayern

Angeregt von diesem Gemälde begann Rana Zaibak über jenes Kleid zu sprechen, das sie selbst bei festlichen Anlässen trägt. (Foto: Pat Christ)

12.03.2021

Auch das Zuckerfest ist fränkisch

Würzburger Studierende entwickelten mit Geflüchteten aus Syrien ein transkulturelles Konzept für Museen – bislang werden diese von Immigrant*innen nämlich kaum besucht

Allmählich öffnen sich Museen einer Idee, die lange kaum zur Debatte stand: Sie werden inklusiver. Wie nicht nur Menschen mit Handicap, sondern auch Geflüchtete in Museen eingebunden werden können, verrät ein Projekt, bei dem Würzburger Studierende und Geflüchtete unter Leitung der Museumsexpertin Simone Doll-Gerstendörfer Ideen für das Museum für Franken entwickelten.

Einen Einblick zu geben in die fränkische Kultur vom Neolithikum bis hinein in die neueste Zeit – dieser Aufgabe hat sich das Museum für Franken auf der Würzburger Festung Marienberg verschrieben. Doch was gehört zur fränkischen Kultur? Natürlich die Werke Riemenschneiders. Oder der Prunkschlüssel von Johann Georg Oegg. „Aber auch das syrische Festkleid und das Zuckerfest“, sagt die Würzburger Museumsexpertin Simone Doll-Gerstendörfer. Würden im Museum Brücken geschlagen zu jenen Kulturen, die durch Zuwanderer „importiert“ wurden, könnte es gelingen, neue Besucherschichten zu erschließen. Denn so, wie Museen derzeit gestaltet sind, ziehen sie Immigranten kaum an.

Gerade angesichts der Debatte über Parallelwelten von Migrantinnen und Migranten kommt dem Projekt eine hohe Bedeutung zu. Menschen aus anderen Kulturen, hat Simone Doll-Gerstendörfer durch ihr Projekt selbst erfahren, flüchten sich nicht selten in ihre eigene, vertraute Welt, weil sie sich in der Welt der Mehrheitsbevölkerung nicht wirklich akzeptiert fühlen. „Mir sagten Syrerinnen zum Beispiel, dass sie nicht gern ins Café gehen, weil sie wegen ihres Kopftuchs oft so komisch angeschaut werden“, schildert die Kulturfachfrau.

Doch nicht nur im Café fehlen Menschen mit Migrationshintergrund. Sie fehlen auch im Theater. In Galerien. Und eben in Museen. Museen werden bis heute meist nur von gut gebildeten und gut situierten Einheimischen oder Touristen besucht.

Seit mehreren Jahren setzt sich Doll-Gerstendörfer dafür ein, dass sich dies ändert. In vielen Projekten zeigte sie Wege auf, wie Museen attraktiver werden könnten für Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Für Rollstuhlfahrer. Blinde. Gehörlose. In ihrem neuen Projekt, das „gesellschaftliche Vielfalt“ noch weiter fasst, arbeitete sie mit neun Studierenden, zwei syrischen Frauen und einem jungen Mann aus Syrien zusammen. Wöchentlich traf man sich virtuell, um an einem Konzept zur transkulturellen Öffnung von Museen zu stricken.

Thema Feste: inspiriert von Byss’ Bild „Göttermahl“

Die Pandemie kam dem analog geplanten Projekt in die Quere: Präsenzveranstaltungen waren nicht möglich. Alles musste digital stattfinden. Doch auch, wenn es live auf persönlicher Ebene intensiver gewesen wäre, gelangten die Studierenden auch durch den virtuellen Austausch zu vielen neuen Erkenntnissen. Abdulrahman Nawlou zum Beispiel, der als syrischer Kooperationspartner gewonnen werden konnte, berichtete bei den Online-Meetings über seine Erfahrungen mit dem Ramadan und dem Zuckerfest. Er erklärte den drei Studentinnen seiner Arbeitsgruppe auch, warum Muslime so lange fasten: „Wir denken dabei an arme Menschen, die wenig zu essen haben.“

Nun können in einem Semesterprojekt unmöglich alle Lebensbereiche berücksichtigt werden. Aufgeteilt in drei Gruppen, versuchten die Studierenden mit den Geflüchteten aus Syrien, drei Themen zu finden, zu denen Ideen zur transkulturellen Öffnung entwickelt werden sollten. Inspirationsquelle war das Museum für Franken. Beim Gang durch die Räume faszinierte Nawlou das Gemälde Göttermahl von Johann Rudolf Byss. So kam die Gruppe auf das Thema „Feste“. Rana Zaibak entdeckte Ferdinand von Rayskis Gemälde Carolines, Freifrau von Bechtolsheim. Daraus entwickelten sich Ideen zum Thema „Kleidung“. Die Festung selbst führte zum Themenfeld „Heimat“.

In der Gruppe zum Thema „Feste“ entstand zum Beispiel die Idee, dem deutschen Weihnachtsfest das von Muslimen nach dem Fastenmonat gefeierte Zuckerfest gegenüberzustellen. In einer Videostation könnte das Weihnachtsfest auf Arabisch mit deutschen Untertiteln erklärt werden. Das Zuckerfest könnte analog eine deutsche Erklärung mit Untertiteln auf Arabisch erhalten.

Heimat? Das syrische Freitagsfrühstück im Hof

Es ist unabdingbar, in engem Kontakt miteinander Ideen zu entwickeln, wie sich Museen transkulturell öffnen können, lautet das wichtigste Ergebnis des Projekts. Hätten die Studierenden im eigenen Saft schmoren müssen, wäre ihr Konzept niemals so stimmig geworden. „Wir haben von der Syrerin aus unserer Gruppe zum Beispiel gehört, wie sehr sie das Thema Heimat bewegt“, erzählt Museologie-Studentin Stefanie Sedlmaier. In der Diskussion kam die Gruppe darauf, dass es zwei Facetten von „Heimat“ gibt. Die Festung zum Beispiel versinnbildlicht für viele Würzburger rein örtlich „Heimat“. Im Sinne von „Geborgenheit“ bedeutet Heimat jedoch vor allem das eigene Zuhause. Das Thema „Heimat“ wiederum hat für viele Menschen einen hohen Stellenwert, so Sedlmaier: „Deshalb spricht es sicher auch viele Museumsbesucher an.“

Faszinierend war für die junge Frau, was die Syrerin ihrer Gruppe von dem Ort berichtete, der für sie vor allem Heimat bedeutet: Nämlich der Hof jenes Hauses in Syrien, in dem man sich freitags zum Frühstück trifft. Diesem Frühstück wird im studentischen Konzept der „deutsche“ Sonntagnachmittagskaffee gegenübergestellt. Überhaupt eignen sich solche Gegenüberstellungen gut, um Verbindendes aufzuzeigen. So wird ein deutscher Abi-Ball mit einem Festkleid der Syrerin Rana Zaibak kontrastiert.

Vom Museum für Franken kam bisher ein klares Ja zu dem Konzept, wenngleich Kulturvermittlerin Veronika Genslein noch nicht sagen kann, wann und wie die Ideen aufgegriffen werden. Doch die Vorschläge selbst findet die Museumsfrau super. Zum Beispiel die Idee, eine „Fühlbox“ aufzustellen, durch die Besucher feststellen können, ob sich der Stoff eines deutschen Abi-Kleids anders anfühlt als jener von Rana Zaibaks syrischem Festkleid. Die Studierenden schlagen außerdem vor, einen Maltisch sowie eine Pinnwand aufzustellen. Angeregt von der Frage „Was zieht ihr an, wenn ihr euch schick macht?“, könnten eigene Kleidungsstücke designt werden.

Doll-Gerstendörfers Seminare an der Uni Würzburg dienen immer auch dem Transfer von Know-how, sie erschöpfen sich nie in der reinen Lehre. Gerade kleinere Museen sind nach ihren Worten angewiesen auf Expertise von außen, was Inklusion und Diversität anbelangt. Gelingen kann beides nach Überzeugung der Expertin für inklusive Kulturprojekte prinzipiell nur, wenn diejenigen, die man beim Öffnungsgedanken im Blick hat, bei der Transformierung des Museums einbezogen werden.

Die Würzburger Studierenden haben viel Neues erfahren können, indem sie mit Menschen aus Syrien ein Semester lang intensiv zusammenarbeiteten. Für Simone Doll-Gerstendörfer wiederum war es die erste Erfahrung mit „digitaler Partizipation“. Das Ergebnis übertraf ihre Erwartungen: „Alle drei Arbeitsgruppen arbeiteten rein quantitativ intensiver zusammen, als dies analog möglich gewesen wäre.“ Bei bisherigen Seminaren hätten die Kooperationspartner, etwa Blinde oder Menschen mit kognitiver Einschränkung, nicht jedes Mal Zeit gehabt, zur Uni zu kommen. „Mit dem Laptop hingegen kann man sich öfter zuschalten.“

Auch die meisten Angebote können, je nachdem, ob mal wieder Lockdown ist oder nicht, entweder analog oder digital offeriert werden. So dachten sich die Studierenden zum Thema „Heimat“ eine Anleitung zum Basteln eines Mosaikpuzzles aus. Interessant fänden sie es weiter, eine atmosphärische Geräuschkulisse zu gestalten, die Deutschlands Akustik mit jener in Syrien vergleicht. Ebenfalls eine Idee: digitale Interviews über das syrische Freitagsfrühstück und den deutschen Sonntagskaffee. (Pat Christ)

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