Leben in Bayern

Ein Traum geht in Erfüllung: Michael Teuber in Ecuador. (Foto Peter Neusser)

10.03.2017

Aus dem Rollstuhl auf den Chimborazo

Michael Teuber aus Odelzhausen ist der erste Mensch mit Handicap, der den höchsten Berg Ecuadors besteigt

Die Goldmedaille von Rio de Janeiro ist noch nicht allzu lange her. Aber der fünfmalige Paralympics-Radrenn-Sieger Michael Teuber wäre nicht der Sportler, der er heute ist, wenn er es bei seinem letzten großen Sieg belassen würde. Teuber muss weiter. Diesmal geht es nicht um Wettkampf, nicht um Einzelsieg und nicht um Geschwindigkeit. Diesmal geht es um Teamarbeit und einen veritablen 6000er.

Der Chimborazo ist der höchste Berg Ecuadors und Michael Teuber, geboren am Tegernsee, der erste Mensch mit Handicap, der ihn bestiegen hat. Als er am Morgen des 9. Februar, um 7.30 Uhr auf dem 6237 Meter hohem Gipfel des Chimborazo steht, treibt es dem Leistungssportler die Tränen in die Augen. An diesem Berg war Alexander von Humboldt 215 Jahre zuvor auf 5600 Metern gescheitert. Vier Mitstreiter aus der kleinen Gruppe von Bergsteigern des DAV-Summit-Clubs geben ebenfalls vorzeitig auf. Die Höhenkrankheit macht ihnen zu schaffen.

Kein Punkt der Erde ist weiter von ihrem Mittelpunkt entfernt als der Gipfel des Chimborazo. Nirgendwo ist man der Sonne und den Sternen so nah. Dieser Berg musste es sein. „Er war für mich die Grenze des Machbaren“, sagt Teuber im Gespräch mit der Staatszeitung. „Umso mehr freue ich mich über das Gipfelerlebnis.“

Die Ärzte sagten, Teuber bleibe für immer gelähmt

Es ist so etwas wie die Aufhebung eines Paradoxes. Dass wahr wurde, was eigentlich unmöglich schien. 1987 erleidet Teuber einen Unfall, der ihn nach den Prognosen der Ärzte für immer an den Rollstuhl fesseln sollte. Die Diagnose lautete „inkomplette Querschnittslähmung“ von der Hüfte abwärts. Aber einen Funken Kraft in den Oberschenkeln spürt er noch in seinen ansonsten tauben Beinen. Warum also das Schicksal einfach akzeptieren? Er studiert, heiratet, bekommt ein Kind und beginnt ein Training, für dessen Erfolg er keine Garantien hat. Drei Jahre später steigt er vom Rollstuhl auf das Rennrad und in den Radsport ein. Noch immer gelähmt von den Kniegelenken abwärts.

Der Chimborazo ist keineswegs Teubers erster Abstecher in die Bergwelt. 2008 bezwingt er den El Teide auf Teneriffa. Zwei Jahre später ist es der Kilimandscharo im Nordosten Tansanias. Aber er ist sein schwierigster: Jeden Schritt muss er mit den Augen überprüfen. Seine Füße geben keine Signale, ob der Tritt sitzt. Kälte und Höhe machen ihm zu schaffen.

Es ist null Uhr und geschätzte 15 Grad minus, als Teuber mit DAV-Summit-Club Führer Marco Cruz aufbricht. Sie nennen Cruz den „Reinhold Messner Südamerikas“. An die 600 Mal hat er „seinen Chimborazo“ bereits bestiegen – ein Stück Sicherheit für Teuber.

Schon der Aufstieg kostet enorme Kraft. Dass er so gut gelingt, verdankt er auch Freund Tilo Komma-Pöllath und Bergsteiger Israel Paez, die ihn in der Seilschaft begleiten. „Eine körperlich behinderte Person in meiner Seilschaft zu führen, die gleichzeitig auf dem Fitnessniveau eines Ausnahmesportlers ist, war auch für mich eine Herausforderung“, sagt Paez danach. „Ich kannte Michael ja nicht.“ Erst wenige Tage vor dem Aufstieg kann er anhand der Gangart abschätzen, welches Terrain für Teuber einfach oder schwer zu gehen ist. Die Route führt über Felskanten, Schnee und Eis und über die vergletscherte Gipfelflanke. Teilweise bis zu 45 Grad Anstieg. „Bisher war ich immer mal an der Grenze“, gesteht Teuber. „Aber diesmal war sie überschritten. Einige Passagen wie die Kletterstellen hätte ich ohne Hilfe schlichtweg nicht geschafft.“

Heikel ist auch die Querung des El Castillo. „In 45 Minuten sollte man durch sein“, rät Paez. Wegen der Steinschlaggefahr. Sie brauchen zwei Stunden. Aber Paez glaubt auch: „Solche Situationen hängen nicht von dir ab, sondern vom Berg. Und an dem Tag hat der Chimborazo seine Arme für Michael geöffnet, damit er seinen Traum erfüllen kann. Mit Michael – jederzeit wieder!“, sagt Paez.

18 Weltmeistertitel, fünfmal paralympisches Gold, neun Bahnweltrekorde und drei weitere Siege bei den Worldgames of Mountainbikes: Michael Teuber hat im Radsport viel erreicht. Nur ein Hindernis nötigt dem Odelzhausener einen tiefen Seufzer ab. Das Altern. „Man wird sehen“, sagt er und schiebt schnell hinter her: „Rio und der Chimborazo haben gezeigt: Ich kann immer noch siegen.“ Ganz ohne Zweifel ist ihm das wichtig. Aber auch, dass mehr gelebte Inklusion im Sport kaum geht. Auf diesem Gipfel war Teuber am Ende nicht nur für sich selbst. (Flora Jädicke)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.