Leben in Bayern

Bartgeiermännchen Vinzenz ist einer der neuen Stars im Nationalpark Berchtesgaden. Einer seiner größten Fans ist Christian Steiger. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

05.07.2024

Bartgeiersüchtig

Christian Steiger verbringt so viel Zeit wie möglich mit den Aasfressern im Nationalpark Berchtesgaden – selbst ein Deutschlandspiel hält den Fußballfan nicht davon ab

Mit den Bartgeiern hat sich das Leben von Christian Steiger um 180 Grad gewendet. Hunderte Stunden hat er in den vergangenen drei Jahren bei den neuen Stars im Nationalpark Berchtesgaden verbracht, 28 Tage allein im vergangenen Jahr. Der Haustechniker fotografiert, filmt, beobachtet und ist Teil einer großen Community von Bartgeierfans, die in ganz Deutschland mitfiebern, was Wiggerl, Vinzenz und Co so treiben.

In eineinhalb Stunden spielt mal wieder Deutschland. Europameisterschaft im eigenen Land. Die Fieberkurve ist kurz vor dem Ausschlag. Für die meisten ist das ein Pflichttermin. Auch für Christian Steiger. Für die Bartgeier würde er mittlerweile aber auf Fußball verzichten, sagt das FC-Bayern-Mitglied. Christian Steiger ist zum Naturfan mutiert. „Ich verbringe jede freie Minute meiner Freizeit draußen“, sagt er. Die Familie zieht mit. 

Schuld tragen Waldrappe und Bartgeier. Vor drei Jahren beobachtete er eine Schar Waldrappe von der Halsalm im Bergsteigerdorf Ramsau aus, wie sie – begleitet von motorisierten Gleitschirmfliegern – über die Berge schwebten. Ein Vogelzug der besonderen Art. Ein Moment, den er nie vergessen wird, sagt er. Er war angefixt. 

Als der Nationalpark dann den Bartgeier-Zuschlag bekam und die gewaltigen Vögel Teil des Berchtesgadener Lands werden sollten, da war’s um ihn geschehen. Seitdem agiert er an vorderster Front. 

Christian Steiger ist in der Ramsau aufgewachsen, im Hochschwarzeck, dort, wo man auch heute noch mit Naturschnee auf den Skiern steht. Von klein auf hatte er Umgang mit Tieren. 

Zehn Stunden Beobachtung immer vom selben Platz aus

Während er vor einigen Jahren noch nachmittags im Garten saß und dem Treiben am Vogelhaus zusah, geht Christian Steiger inzwischen nun auf den Berg zur Livebeobachtung. Hoch zum Böslsteig mit bestem Ausblick auf die Kinderstube der Bartgeier, sagt er. Sechs, acht, zehn Stunden hockt er dann da oben und beobachtet seine Umgebung. Meistens immer vom selben Platz aus.

„Dort ist es meistens absolut ruhig. Keine Menschen, nur die Natur, der Wind, Pflanzen und Tiere“, sagt er. „Das macht mir wahnsinnig viel Spaß und erdet mich.“ Eine Kreuzotter, die sich hinter seinem Rücken ihren Weg bahnte, sei ein „Wahnsinnserlebnis“ gewesen.

Die Zeit in der Natur habe ihn zu einem anderen Mensch gemacht. „Es beruhigt mich. Wenn ich da oben am Berg sitze, habe ich nur meine Brotzeit und einen Kaffee dabei. Da denkt man an nichts anderes.“ Nicht an Arbeit, nicht an Sorgen. Die lässt Christian Steiger im Tal. „Wir sind dann im Wohnzimmer der Bartgeier“, sagt er. Er sei dann eins mit der Natur.

Erwähnenswerte Erlebnisse hatte er in den vergangenen drei Jahren so viele, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen soll zu berichten. Ein Bartgeier in freier Wildbahn: Atemberaubend sei eine solche Begegnung, wenn solch ein Tier elegant an einem vorbei schwebt, „nur 20 Meter entfernt über dem eigenen Kopf“. Die beeindruckende Flügelspannweite, die majestätische Erscheinung, „das hat was mit mir gemacht“, sagt Christian Steiger. Einen fremden Bartgeier hat der 59-Jährige im Nationalpark Berchtesgaden auch schon gesichtet. Ein einziges Mal. Für die Experten bedeutete die Fremdsichtung einen großen Erfolg und war Beweis dessen, dass die Wiederansiedlung erste Früchte trägt.

Seitdem engagiert er sich auch ehrenamtlich beim Landesbund für Vogelschutz. Wenn er mal nicht bei den Bartgeiern ist, beobachtet er etwa den Flussläufer. Es gibt nur 90 bekannte Brutpaare in Bayern. Er kennt eine der wenigen Stellen. Er hat sich zwei Kameras gekauft. Er konnte nicht anders, sagt er. Er dreht damit kurze Tierfilme, die er auf Youtube hochlädt – für die vielen Bartgeierfans. Da sitzt er teils stundenlang, um die Videoschnipsel mit passender Musik zu hinterlegen. 

Mehr als tausend Fans sitzen vor dem Bildschirm

Die Gruppe derer, die den kräftigen und bis zu 3 Meter Spannweite großen Greifvögeln zusehen, ist auf ein beachtliches Maß angewachsen. Mehr als 1000 aktive Mitglieder sind es. Karin kommt aus Traunstein, Günther aus Burghausen, Uwe ist aus dem hohen Norden. Bei den jährlichen Auswilderungen treffen sich alle im Nationalpark.

„Man kann sich das gar nicht vorstellen“, sagt Christian Steiger. Einige sitzen bereits beim Sonnenaufgang vor dem PC, irgendwo im hohen Norden, um die beiden Neuankömmlinge Wiggerl und Vinzenz bei morgendlichen Streitigkeiten in ihrer Felsnische zu beobachten. 

Mit Bartgeierdame Sisi, die im vergangenen Jahr ausgewildert wurde, pflegte Steiger ein besonderes Verhältnis. „Die glaubt wahrscheinlich, dass ich da oben schon zum Inventar gehöre, weil ich so oft oben war“, sagt Christian Steiger mit einem Lächeln auf den Lippen. An insgesamt 18 Tagen sei die Bartgeierdame an ihm vorbeigeflogen, hat geschaut. Blickkontakt. Der 59-Jährige hat mitgezählt. Weil es ihn beeindruckt hat. Beim Erzählen bekommt er fast Gänsehaut. „Die ganze Sache mit den Vögeln ist mittlerweile zur Sucht geworden.“ Selbst im Winter stapft er manchmal in den Nationalpark, um Ausschau nach den Bartgeiern zu halten. Eines seiner Bilder zeigt eine Gämse, wie sie einem Bartgeier im Schnee hinterherjagt. 

Bis zum Winter ist es noch lange hin. Bald hat Christian Steiger Urlaub. Drei Wochen am Stück, Ende Juli. Die freien Tage sind bereits verplant. Er wird die Zeit im Nationalpark verbringen. „Ich möchte jeden Tag die Bartgeier besuchen“, sagt er. Sein größter Traum: nicht etwa die Lotto-Million. „Sondern dass irgendwann ein ausgewachsener Bartgeier in die Halsgrube zurückkehrt.“ (Kilian Pfeiffer)
 

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