Über 400 Jahre ist die Tradition alt: Im Berchtesgadener Land fertigten die Bewohner im Winter einst allerlei nützliche Behälter aus Fichtenholz an, um ihren Verdienst aufzubessern. Das alte Handwerk des Schachtelbemalens lebt bei Monika Baumgartner weiter. 50 verschiedene Pinsel, jede Menge selbst gemischte Farben und der Stempel vom Großvater kommen dabei zum Einsatz.
Sie schwingt den Pinsel wie der Dirigent den Taktstock. Mit sicherer Hand bringt Monika Baumgartner ein Orchester aus Punkten, Kreisen und Linien auf den Deckel der Spanschachtel. Jeder Strich landet am richtigen Platz. Ein Maßband braucht sie nur ganz am Anfang, um den Mittelpunkt auszumessen. Danach läuft alles wie von selbst – ohne Vorlage. Das uralte Muster hat die Bayerin im Kopf. Monika Baumgartner ist Schachtelmalerin von Beruf. Im Berchtesgadener Land gehört sie zu den Letzten, die dieses traditionelle Handwerk noch ausüben.
In Berchtesgaden gab es 1805 noch 17 Schachtelmaler
Das Herstellen von Spanschachteln hat über 400 Jahre Tradition im Berchtesgadener Land. Im Winter, wenn die Arbeit im königlichen Forst ruhte, fertigten die Menschen die nützlichen Behälter aus Fichtenholz und besserten so ihr Einkommen auf. Es wurde darin Schmuck und Geld verwahrt und alles andere, was trocken war.
Anfangs dienten die noch unbemalten Schachteln nur ihrem Zweck als Verpackung. In schwarz beklebten Trauerschachteln verschickte man Tröstliches an die Angehörigen eines Verstorbenen. Schornsteinfeger und andere Handwerker nutzten sie als Werkzeugbehälter. Im 16. Jahrhundert begann man, die Schachteln zu bemalen, damit der Inhalt von außen besser zu unterscheiden war. Die Muster wurden im Laufe der Zeit immer farbenprächtiger. Mit herzigen Sprüchen auf dem Deckel galten sie bald als beliebtes Brautgeschenk.
Im Jahr 1805 gab es m 17 Schachtelmaler in Berchtesgaden. Mit „Kraxn“ auf dem Rücken transportierte man die Holzspandosen in allen Größen sogar über die Alpen nach Italien.
„Mei malst du mühsam“, staunte eine Kollegin aus der Künstlergilde, als sie Baumgartners filigrane Arbeiten das erste Mal sah. Manche Muster sind so fein, dass sie an die Spiralbilder erinnern, die

Mädchen in den 1970er Jahren mit Hilfe eines Spirographen malten. „Eine ruhige Hand ist natürlich Voraussetzung für diesen Beruf“, sagt die 60-Jährige. „Wenn ich körperlich schwer gearbeitet habe, wie beim Holz hacken, kann ich nicht gleich im Anschluss malen.“
In ihrem Haus in Berchtesgaden-Oberau hat sie eine Kommode, eine Truhe, den Spülenschrank und die Deckenbalken mit abstrakten Blumenmustern verziert. An der Wand hängen selbst gemalte Bilder vom Rotwild im Schnee und einer Eule bei Nacht. „Ich hab schon als Kind gern gemalt“, sagt sie. Dennoch absolvierte Baumgartner als Teenager erst einmal eine Lehre zur Anwaltsgehilfin und arbeitete später als Reitlehrerin. Bis sie sich eines Tages in ein Schmuckkästchen verliebte. „Ich entdeckte es bei Bekannten in einer Vitrine. Das feine Muster hat mich fasziniert. Als bei der Berchtesgadener Handwerkskunst eine Stelle frei war, bewarb sie sich – und wurde genommen. 24 Jahre lang bemalte sie dort Schachteln und traditionelles Holzspielzeug, bevor sie sich selbstständig machte. Und ihr künstlerisches Geschick sprach sich schnell herum. Baumgartner hat mehr Auftragsangebote als sie schaffen kann.
Auf dem Herd dampft es, wenn Baumgartner den Knochenleim im Wasserbad erhitzt. Noch heiß trägt sie ihn auf das Holz. Sobald der Anstrich getrocknet ist, schmirgelt sie die Oberfläche glatt. Dann mischt sie Farben nach eigenem Rezept. Die Zusammensetzung war früher ein Geheimnis, das nur innerhalb der Familie weitergegeben wurde.
Früher befanden sich Geld und Schmuck in den Dosen
Bis heute gibt es im Berchtesgadener Land nur handgemachte Unikate. Baumgartner erkennt am Pinselstrich den Künstler. „Er ist wie eine Handschrift“, sagt sie. Und natürlich kommt es darauf an, welcher Art die Bemalung ist und mit welchem Pinsel gearbeitet wurde. Sie selbst hat über 50 Pinsel im Einsatz. Den Borstenpinsel für den Hintergrund, den Fähenhaarpinsel für die geschwungenen Linien. „Dies ist ein Schlepper“, sagt sie und nimmt einen Pinsel mit langen Rinderhaaren in die Hand. „Erst macht er einen großen Klacks und zieht dann im Verlauf die Farbe dünner.“ Damit malt sie später ein grünes Band um die Dose. Blütenmuster trägt sie mit alten Holzmodeln auf, die noch ihr Großvater gemacht hat. „Das ist viel zeitaufwendiger als die Freihandmalerei, weil dabei viele Stempel ineinander gesetzt werden“, erklärt sie. Anschließend verfeinert sie das Muster mit einem Federkiel. Nach der Bemalung muss die Farbe zehn Stunden trocknen. Am Ende wird das Stück lackiert, damit man auch mal mit dem Tuch darüber wischen kann.
Nicht immer werden grafische Muster gewünscht. Baumgartner malt, was der Kunde will: Ob Initialen zum Geburtstag, das Familienwappen, den Königssee, die hiesigen Böllerschützen, das Feuerwehrhaus oder einen Dirigenten für die Musikkapelle.
Ist die Schachtel fertig, schickt Baumgartner sie mit einem handgeschriebenen Brief an den Empfänger – samt einem einmaligem Service: Wenn sie nicht gefällt, kann er sie zurückschicken. „Das kommt aber so gut wie nie vor“, sagt sie und lacht.
Die Schachteln sind übrigens auch heute noch bei Trachtlern sehr beliebt. Damit nichts knittert und verstaubt, verwahren sie darin den Gamsbart und die Bindln (Krawatten) sowie Hüte, Röckl (Frauenjacke) und die Trachtenknöpfe. (
Monika Hippe)
Foto (Hippe): Bis heute sind die Schachteln bei Trachtlern beliebt: Sie verwahren darin Gamsbart, Hüte und Bindln.
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