Leben in Bayern

Verschiedene Böllerpistolen in einem Regal der Werkstatt. Kleines Bild: Wolfgang Pfnür an der Drehbank. (Foto: dpa/Kilian Pfeiffer)

22.12.2020

Böllerbauer: Altes Brauchtum in Berchtesgaden

Mit dem schweren Schaftböller in der Hand wirkt Wolfgang Pfnür vor dem Kirchlein in Maria Gern fast ein wenig bedrohlich. Der Schein trügt: Gemeinsam mit Ehefrau Katharina betreibt er ein uraltes Handwerk

Walnussholz muss es sein. Da sind sich die Pfnürs sicher. Jahrelang getrocknete Walnuss gilt als klassisches Waffenholz. Es ist elastisch und hart zugleich. Die Maserung verleiht Einzigartigkeit. Bei Wolfgang und Katharina Pfnür im oberbayerischen Berchtesgaden entstehen Böller und Kanonen. Gefertigt wird das ganze Jahr über für Abnehmer aus der Region und weit darüber hinaus. Die beiden betreiben ein selten gewordenes Handwerk.

Nur wenige hauptberufliche Böllerbauer gibt es noch in Deutschland, zwei davon in Berchtesgaden - der Hochburg des Handwerks. In der Werkstatt der Pfnürs im Hochtal Maria Gern auf 700 Metern Höhe nahe der gleichnamigen Wallfahrtskirche entstehen die Unikate. Sie dienen aber nicht zur Jagd und es gibt keine Projektile. Die Böller werden nur mit Schwarzpulver gefüllt, sie unterliegen nicht dem Waffenrecht. Es geht rein ums Brauchtum.

Die Schützen dürfen zu Weihnachten schießen, trotz Corona. Und seit Jahrhunderten begrüßen Menschen etwa das Neue Jahr mit Lautstärke, das dürfen sie in der Region auch in diesem Jahr mit den Böllern, aber nur auf dem eigenen Grundstück vor dem Haus, wenn es nicht zu dicht an anderen Gebäuden steht.

Die Wurzeln auch des in Berchtesgaden üblichen Weihnachtsschießens seien im heidnischen "Lärmbrauchtum" zu finden, heißt es bei der Berchtesgadener Land Tourismus GmbH. In der rauhen, unwirtlichen Gegend des Berchtesgadener Landes versuchten die Menschen, die düstere, kalte Jahreszeit mit Kettengerassel und Glockenläuten zu vertreiben und die Natur wieder aufzuwecken. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wird im Berchtesgadener Land mit den kurzläufigen, großkalibrigen Handböllern geschossen.

Zu Weihnachten machen sich bis heute die Vereinigten Weihnachtschützen bereit, mit 3300 Mitgliedern einer der größten Vereine. Seit Donnerstag gibt es täglich das sogenannte Christkindlanschießen - corona-bedingt jeder Schütze allein für sich. Nicht auf dem Schießstand wie üblich - sondern vor dem Haus oder abseits. Und auch an Weihnachten nach der Christmette, zur Begrüßung der Geburt Jesu.

Böllerschützen rücken auch sonst an, wenn es etwas zu Feiern gibt. Zum Oktoberfest etwa zeigen Böllerschützen den Start des Festes an. An Silvester leiten Böller das Neue Jahr ein. Und vor Hochzeiten wird morgens um 4.00 Uhr geschossen - der Weckruf fürs Brautpaar.

Der Familienbetrieb der Pfnürs besteht seit mehr als 40 Jahren. In Berchtesgaden gibt es einen Konkurrenzbetrieb, in Österreich einen weiteren am Mattsee. Im Regal, gleich neben der Werkstatt, warten etliche Hand- und Schaftböller auf ihre Vollendung. Alles sind Auftragsarbeiten. Katharina Pfnür ist gelernte Holzbildhauerin. Sie ist es, die die Schnitzereien verwirklicht. Das können die Initialen des eigenen Namens sein, ein Bild des gestorbenen Hundes oder ein Familienwappen.

Heute ist es ein Edelweiß, das sie fertig schnitzen wird. Die Blüte soll einen Handböller zieren. Sie schabt hauchfeine Späne vom Böllerschaft. "Ein Ausrutscher sollte mir nicht passieren." Ein Schnitt daneben würde die Arbeit zunichte machen. Langsam zeigt sich die Blume in ihrer vollen Pracht.
Wolfgang Pfnür hat vor einem Jahrzehnt das Geschäft von Vater Franz übernommen. In der Werkstatt wird vorwiegend auf alten Maschinen gearbeitet. Für den Familienbetrieb gilt: Tradition verpflichtet - nicht nur was das Brauchtum an sich betrifft, sondern auch die Herstellung der kiloschweren Geräte, die mindestens mehrere Hundert, aber auch mehrere Tausend kosten können.

Die Grobformen der Böller entstehen in zahlreichen Arbeitsschritten. Dabei wird geschnitten, gehobelt und gefräst, das Holz wird speziell behandelt. Vor drei Jahren hat sich Wolfgang Pfnür zudem eine computerbasierte Fräsmaschine angeschafft, ein für ihn gefertigtes Sondermodell. Die schweren Läufe in unterschiedlichen Kaliber-Ausführungen entstehen nebenan an der Drehbank aus den 1970er-Jahren.

Die Pfnürs haben ihre Produkte schon nach Kanada versandt, in die Niederlande oder den Mittleren Osten. Es sind nicht nur klassische Vorderlader, die in der Werkstatt der Familie Pfnür produziert werden. Standböller aus Edelstahl gibt es ebenso wie Salutgewehre, Hinterlader- oder Kartuschen-Kanonen. Bis zu 20 Stunden Arbeitszeit stecken in den schweren Geräten. Reich verzierte Böller benötigen noch mehr Zeit.

Durch Corona seien viele Veranstaltungen weggefallen. "Ebenso gab es keine Böllerprüfungen", sagt Wolfgang Pfnür, gelernter Metallbaumeister. Weniger Bestellungen - die Folgen der Pandemie sind auch bei dem alten Handwerk spürbar.
(Kilian Pfeiffer, dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.