Schottland kann sehr schön sein: Die Highlands, die vielleicht letzte richtige Wildnis Europas. Die Whiskey-Destillerien mit ihrem besonderen Flair. Die wilde Romantik der rauen Küste. Schottland hat aber auch eine hässliche Seite: Armut, Kriminalität, Rückstand - all das herrscht vor allem in den sozial schwachen Vierteln von Städten wie Glasgow oder Aberdeen. Der Brexit und seine Folgen könnten das alles noch verschlimmern. Daniel Köhn, Professor für Geologie in Glasgow, nahm deswegen seine Familie und ergriff die Flucht. Köhn lehrt und forscht fortan in Erlangen an der Friedrich-Alexander-Universität. "Wir waren geschockt", sagt Köhn über die Zeit, als das Brexit-Referendum Großbritannien veränderte.
Der Neu-Erlanger ist nur ein Beispiel von Dutzenden Wissenschaftlern, die wegen der Brexit-Entscheidung Reißaus von der britischen Insel genommen haben - obwohl sie dort oft gute Jahre verbracht hatten, privat und wissenschaftlich. "Wir profitieren aktuell auch vom Brexit - Akademiker kommen zurück nach Deutschland und vor allem gerne in den Freistaat Bayern", hatte Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) schon im September vergangenen Jahres dem "Main-Echo" erklärt.
Die Technische Universität München (TUM) etwa verzeichnet eine spürbare Steigerung beim Zuzug aus dem Vereinigten Königreich. Allein im Jahr 2019 seien vier neue Professoren berufen worden, die bisher in Großbritannien tätig gewesen sein. Drei weitere Rufe seien schon ausgesprochen, es liefen gerade die Verhandlungen, sagt Universitäts-Sprecher Ulrich Marsch. Früher seien es eher junge Leute gewesen, die aus Großbritannien nach Deutschland kamen - heute seien es auch etablierte Wissenschaftler.
TU München freut sich über Zuwachs
"Für unser System ist das hervorragend", sagt Marsch. Es kämen neue Ideen und frisches Blut. "Wir brauchen solche Leute", sagt er. Vor allem in der IT und beim Thema Künstliche Intelligenz sei der Arbeitsmarkt für Professoren leergefegt. Mit Professor Daniel Rückert, bisher beim Londoner Imperial College unter Vertrag, sei ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet von Künstlicher Intelligenz an der Schnittstelle zu Medizintechnik und Gesundheitswissenschaften zurück aus Großbritannien und nach München gekommen.
"Ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind bei uns hier in Bayern sehr willkommen. Wenn sie Großbritannien verlassen wollen, freuen wir uns über ihr Interesse an Bayern", sagt Minister Sibler. Mit der Innovationsoffensive Hightech Agenda Bayern werde der Freistaat in den kommenden Jahren 1000 Professuren schaffen. "Dafür brauchen wir die besten Köpfe aus dem In- und Ausland." Ein Ziel sei es, die hiesigen Hochschulen internationaler zu machen.
An der schon jetzt engen Kooperation mit britischen Hochschulen will er festhalten. "Wir schätzen sie als starke Partner", sagt Sibler. Mehrere bayerische Hochschulen hätten ihre strategischen Partnerschaften gerade wegen des Brexits intensiviert - darunter die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mit der University of Cambridge und die TUM mit dem Londoner Imperial College.
Ohne EU-Gelder wird die Forschung in GB extrem leiden
Eine offizielle Statistik, wie viele Forscher und Dozenten aus Furcht vor dem Brexit den Weg von der Insel nach Bayern gefunden und genommen haben, existiert nicht. Wenn der Entschluss gefallen sei, Großbritannien zu verlassen, konzentriere man sich auf die neue Aufgabe - und werde dem künftigen Arbeitgeber keinesfalls die Brexit-Angst als Hauptgrund für den Jobwechsel angeben, sagt Köhn.
"Wir wollten eigentlich bleiben", sagt der Geologe rückblickend. 2011 hatte er sich mit Ehefrau und zwei Söhnen auf den Weg von Mainz nach Großbritannien gemacht, lebte am Rande Glasgows im eigenen Haus. In den Jahren danach sei es dort wirtschaftlich bergab gegangen. "Man hat gesehen, dass immer weniger Leute Geld haben", erinnert sich Köhn an die Zeit im Königreich und die Folgen der Austeritätspolitik des damaligen Premierministers David Cameron.
Für die Wissenschaft und seine Kollegen in Großbritannien sieht er schwarz: Ohne EU-Gelder werde die Forschung massiv leiden, vor allem die Grundlagenforschung. Inwieweit britische Forscher an EU-geförderten Projekten weiter mitmachen können, ist derzeit noch nicht gesichert. Schon bisher herrsche im britischen System ein großer Druck auf die Wissenschaftler, Gelder einzuwerben. Die Finanzierung möglicher Doktoranden und damit die Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses bleibe weitgehend auf Großbritannien beschränkt - Köhn sieht da ein Problem der Nachhaltigkeit.
(Michael Donhauser, dpa)
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