Von der dunklen Holzdecke hängen getrocknete Hopfendolden herab. Links in der Ecke steht ein grüner Kachelofen, davor weist auf einem schweren Holztisch ein Messingschild auf den „Stammtisch“ hin, durch die kleinen Fenster mit den Butzenscheiben fällt noch spärlich das Licht der Frühlingssonne. Und wenn dann die Kellnerin mit ihrer blauen Dirndlschürze den Schweinebraten mit reschem Krusterl in Holzfasslbiersoße bringt, dann ist das bayerische Wirtshausidyll perfekt.
Doch es ist ein Idyll, das bedroht ist. Es war im März, als der Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) Alarm schlug. Jede dritte Gemeinde in Bayern habe keine eigene Schankwirtschaft mehr, so das Ergebnis einer Studie. Insgesamt sei die Zahl der Wirtshäuser in Bayern seit Jahren rückläufig. Und auch die idyllische Gaststätte „Zur Feldwies“ in Übersee im Chiemgau würde es heute nicht geben, hätten sich Bürger nicht zu einer Aktiengesellschaft zusammengeschlossen mit dem Ziel, dem Wirtshaussterben in Bayern Einhalt gebieten wollen.
Fast verrottet, jetzt rentabel: Das Wirtshaus in Übersee
Alt ist die Wirtschaft in Übersee. Das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert. Doch ab den 1990er Jahren stand es leer. Das Anwesen verrottete langsam. Bis es der Rechtsanwalt Wolfgang Gschwendner zusammen mit anderen Bürgern aus Übersee 2003 wieder zum Leben erweckte. Die Gemeinde erwarb das Gebäude und stellte es zur Verfügung. Eine neu gegründete Aktiengesellschaft gab Aktien zu 100 Euro das Stück aus und renovierte das Gebäude – unter Mithilfe der Bürger und örtlicher Vereine. 2004 wurde das Wirtshaus wieder „aufgsperrt“, wie es in der Chronik heisst.
Eine der Ursachen des Wirtshaussterbens auf dem Land sieht der VEBWK-Vorsitzende Franz Bergmüller auch darin, dass es immer mehr Vereinsgaststätten gibt. Die Sportler oder Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr würden ihr Bier eben in den eigenen Räumen trinken, anstatt die Dorfwirtschaft aufzusuchen. In Tittmoning im Landkreis Traunstein wehrte man sich dagegen. Dort wird am 9. Mai offiziell die Dorfwirtschaft Asten eröffnet, ebenfalls getragen von einer Einwohner-Genossenschaft. Mit den ansässigen Vereinen arbeitet man in Tittmonings Ortsteil Asten zusammen. „Wir haben Vereinbarungen mit den Vereinen, dass sie das Wirtshaus nutzen“, sagt Albert Schauer, 1. Vorsitzender der örtlichen Genossenschaft, die das Gasthaus betreibt. „Der Erhalt der Gastwirtschaft lag uns am Herzen“, erklärt Ingenieur Schauer sein Engagement, „denn dort kommen die Bürger zusammen, von der Taufe bis zur Beerdigung“.
Auch die Astener Wirtschaft ist alt: Seit 173 Jahren steht das Gebäude. Und seit dem frühen 19. Jahrhundert beherbergt es eine Schankwirtschaft. Vom Biergarten aus geht der Blick weit über das Salzachtal bis zur Bergkette der Alpen. Im Jahr 2011 aber schien das Ende für die Dorfgaststätte gekommen, Grundstück und Gebäude standen vor dem Verkauf. „Da haben wir beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen“, sagt sich Schauer.
Es gründete sich eine Gruppe engagierter Bürger, die mit der Stadt Tittmoning Gespräche führte. Die Stadt erwarb das alte Gasthaus und gab der Projektgruppe drei Monate Zeit, ein Konzept und einen Wirtschaftsplan vorzulegen. Ende 2011 war es soweit und drei Monate später gründeten die Astener Bürger am 15. Februar 2012 ihre Genossenschaft. „Wir haben die Menschen im Dorf gefragt: ,Wollt ihr das eigentlich?’“, schildert Schauer die Anfänge. Und ob sie wollten: Rund 300 Mitglieder zählte die Genossenschaft bereits bei der Gründung. Heute sind es 500.
Die Stadt Tittmoning überließ ihr das Gebäude. Im Mai 2012 wurde mit dem Umbau und der Modernisierung der Gaststätte begonnen. Das ganze Dorf packte mit an. „Man muss ein bisschen verrückt sein, braucht viele Mitstreiter und schließlich auch ein bisschen Glück“, fasst der Vorsitzende seine Erfahrungen im Rückblick zusammen. 650 000 Euro hat die Genossenschaft für den Umbau aufgebracht, durch die Einlagen der Mitglieder und durch Kredite. Ein Pächter wurde gefunden. Seit Ende März schenkt die Dorfwirtschaft nun wieder Bier aus, offizielle Einweihung aber ist an Christi Himmelfahrt.
Inspiriert hat die Astener die Wirtshaus-AG in Übersee. Die feiert nächstes Jahr ihr zehnjähriges Bestehen und dann, sagt Initiator Wolfgang Gschwendner, „und dann schreiben wir schwarze Zahlen!“ Bislang hat der Rechtsanwalt aus Traunstein – wegen der Abschreibungen – ein Defizit bei der Geschäftsbilanz auf den jährlichen Aktionärsversammlungen ausweisen müssen. Dennoch – jedes Jahr wird auf dieser Versammlung der eigentliche Erfolg – die Rettung des Wirtshauses – groß gefeiert. Da wird um elf Uhr der Defiliermarsch gespielt und natürlich gibt es Weißwürste. Heuer waren im März 286 der insgesamt 1500 Aktionäre dabei. Und zu Feiern gibt auch trotz des Defizits der prächtige Umsatz Anlass: „Unser operatives Geschäft läuft gut, wir schreiben immer schwarze Zahlen“, sagt Gschwendner. Schweinebraten, Knödel und Bier – das rechnet sich. AG-Vorstand Gschwendner freut sich: „Wir haben überlebt.“
Das ist leider nicht überall so. Bevor sie die Bürger-Aktiengesellschaft in Übersee gegründet haben, sind sie damals nach Eggenfelden im Rottal gepilgert. Denn dort fand sich im Zentrum der Kleinstadt eine Gaststätte mit dem Namen „Unser Wirtshaus“. 2001 ging der ehemalige Wirt in Ruhestand und lange fand sich kein Nachfolger. So bildete sich auch dort eine Bürgerinitiative zur Rettung der bayerischen Wirtshauskultur in der Stadt, einige Geschäftsleute gründeten schließlich eine Aktiengesellschaft und die Brauerei stimmte zu. 2002 eröffnete die AG das Wirtshaus auf der Basis von 405 Aktionären, die 1000 Aktien hielten. Eine Speisekarte mit traditionellen bayerischen Gerichten und extra AG-Bierkrüge sorgten für Umsatz.
Auch in Tutzing denkt man über eine Wirtshaus-AG nach
Doch dann zeigte sich: Umsatz allein ist in der Gastronomie noch keine ausreichende Kennzahl. „Gelaufen ist das super, aber von betriebswirtschaftlicher Seite war das grauenhaft geführt“, sagt Michael Scharf, der heutige Pächter der Wirtschaft. Die Wirtshaus-AG in Eggenfelden habe zu hohe Personalkosten gehabt. Im Juli 2003 jedenfalls war es mit dem Aktienunternehmen bereits wieder vorbei, das Unternehmen meldete Insolvenz an.
Nur der Name des Wirtshauses erinnert heute noch an das Bürger-Wirtshaus. Und vielleicht hat man in Übersee aus den Fehlern der Eggenfelden auch gelernt. Denn auch die Dividende kann sich dort sehen lassen: Pro Aktie gibt es einmal im Jahr ein Essen plus Getränk, zum Beispiel geschmortes Bierochsenbackerl mit Wurzelgemüse. Und auch die Wirtshaus-Genossen von Tittmoning lassen sich nicht lumpen. Bei der Genossenschaftsversammlung am Peter-und-Paul-Gedenktag am 29. Juni wird es Freibier und Brotzeit geben.
Und so macht die Rettung der Wirtshauskultur mittels Aktiengesellschaft oder Genossenschaft mittlerweile Schule in Bayern: Inzwischen denkt man auch im oberbayerischen Tutzing darüber nach, ob man den Tutzinger Keller nicht auf diese Weiser erhalten könnte. (Rudolf Stumberger)
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