Leben in Bayern

Dass monatelang keine Auftritte mehr stattfinden konnten, hat die Chorszene gravierend beeinträchtigt. (Foto: Pat Christ)

29.03.2022

Chöre in großer Not

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat Gesangsvereinen stark zugesetzt – in Unterfranken will man die Szene nun mit frischen Ideen und modernen Stücken neu beleben

Kaum Auftritte und Proben unter erschwerten Bedingungen: Bayerns Chöre haben in der Krise gelitten. Manche Probleme aber seien auch hausgemacht, meint Kuno Holzheimer von der Musikakademie Hammelburg. Etwa, weil man ein völlig überaltertes Programm singe. Für Aufwind soll im Herbst deshalb ein ungewöhnliches Symposium sorgen. An der Akademie treffen Chöre mit zeitgenössischen Komponist*innen zusammen.

Hoffen wir mal, dass wir heuer einen halbwegs normalen Herbst haben werden, meint Kuno Holzheimer. Nach einem weitgehend normalen Sommer. Vor allem für die Chorszene wäre das zu wünschen, sagt der künstlerische Leiter der Bayerischen Musikakademie Hammelburg. Denn vielen Chören im Freistaat geht es nach über zwei Jahren Pandemie schlecht. Sehr schlecht.

Holzheimer ist ein Intimkenner vor allem der unterfränkischen Chorszene. Seit rund 20 Jahren hat der Posaunist mit Chören verschiedenster Couleur zu tun. Gerade Chöre, wo viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und meist sehr vollem Terminkalender zugange sind, mussten schon vor der Corona-Krise höchst flexibel sein. Corona toppte alles bisher Dagewesene. Gar nichts mehr war planbar. Alles änderte sich ständig.

Reine Männerchöre? Zum Aussterben verurteilt!

Dazu kommt: Schon vor der Corona-Krise gab es Probleme. „Die Chorszene ist überaltert“, klagt Holzheimer. Daran seien die Chöre aber zu einem gewissen Teil auch selbst schuld. „Einige sangen ein völlig überaltertes Programm.“ Natürlich dürfe man nach wie vor Lieder vom „Einsamen Glöckchen“ zum Besten geben, so der Musiker. Aber bitte nicht ausschließlich. Sinnvoll wäre nach Holzheimers Ansicht ein Mix aus traditionellem Liedgut und zeitgenössischen Kompositionen. Wobei es im Moment vor allem wichtig wäre, dass Chöre überhaupt wieder auftreten können.

Denn Chöre, die sonst bei jeder zweiten Jubiläumsveranstaltung im Ort angeheuert worden waren, die bei Hochzeiten, Geburtstagen oder Taufen sangen, hatten krisenbedingt plötzlich monatelang keinen Termin mehr im Kalender stehen. Aber auch Komponist*innen litten. „Ich bin zwar auf einige Aufträge angesprochen worden, aber dann wurden die meisten wieder kurzfristig abgesagt“, berichtet Komponist Stephan Adam aus Würzburg. „Durch die Corona-Krise stehen viele Chöre vor dem Aus“, bestätigt er.

Für Aufwind soll nun das Symposium „UNerHÖRTes“ am 20. November in der Musikakademie Hammelburg sorgen. Dabei sollen Chormitglieder mit zeitgenössischen Komponisten und Komponistinnen aus Bayern zusammentreffen. Adam gehört zu den Unterstützern des Symposiums.

Chorleiter*innen hätten die Gefahren zwar gesehen, berichtet Adam, doch oft nicht gewusst, was sie hätten tun können, um ihr Ensemble über die Krisenzeit zu retten. „Manche Chöre haben versucht, sich mit Online-Proben über Wasser zu halten“, so der Komponist. Das aber habe nicht immer geklappt. Adam selbst konnte immerhin im vergangenen Jahr in Hessen sein Chorwerk For the Trumpet Shall Sound in kleiner Besetzung zur Aufführung bringen. Solche zeitgenössischen Chorwerke, wünscht auch er sich, sollten in Zukunft vermehrt Einzug ins Repertoire bayerischer Chöre halten. Und genau dazu will UNerHÖRTes den Weg eröffnen.

Auch für Holzheimer gilt es, Konsequenzen zu ziehen. So seien seiner Einschätzung nach reine Männerchöre mittelfristig zum Aussterben verurteilt. Natürlich dürfe es sie weiterhin geben, sagt er. Doch Musikvereine sollten daneben unbedingt gemischte Chöre, Kinder- und Jugendchöre sowie Projektchöre aufbauen.

Holzheimer mutmaßt, dass vor allem Projektchöre mit zeitgenössischem Programm eine große Anziehungskraft entfalten können. Menschen, die es lieben, gemeinsam mit anderen zu singen, würden heute nicht mehr unbedingt einem Gesangsverein beitreten wollen. Sie seien aber durchaus bereit, sich über drei oder vier Monate hinweg in einem Chorprojekt zu engagieren, glaubt der Akademie-Leiter. Und zwar vor allem dann, wenn sie durch die Projektarbeit neue Erfahrungen machen könnten – auch durch den Einbezug zeitgenössischer Musik. Holzheimer: „Ich selbst hatte zum Beispiel einmal ein Werk einstudiert, bei dem die Musiker Urwaldgeräusche nachahmen mussten.“

Allerdings: Das Publikum, glauben manche, zeige noch immer wenig Neigung, sich auf Neues einzulassen, es wolle lieber Vertrautes hören. Doch das, widerspricht Komponist Adam, könne man so pauschal nicht sagen. Schließlich würden seine eigenen Chorwerke durchaus auf Interesse stoßen. Auch weil sie inhaltlichen Tiefgang hätten. Adams Werke drehen sich meist um die großen Daseinsfragen, um das Woher und Wohin des Lebens. „Wobei ich in meinen Werken nicht politisch werde, sondern diese Fragen auf eine allgemeine Ebene heben möchte“, sagt Adam.

Neue Werke haben gerade für Ausführende etwas Aufregendes. Dass sie auch beim Publikum gut ankommen können, zeige jenes Stück mit den Urwaldgeräuschen. Laut Holzheimer sei es für die Gäste ein Highlight der damaligen Aufführung gewesen. Als Dirigent von Blasorchestern ist es ihm wichtig, in seinen Programmen traditionelle Stücke mit moderner Musik sowie Filmmusik zu kombinieren. Skeptikern gegenüber zeitgenössischen Werken in der Musikszene gibt er zu bedenken: „Hätte sich die Musik nicht weiterentwickelt, würden wir heute immer noch auf der Knochenflöte spielen.“ Auch wenn er zugibt, dass sich gerade Ältere an Musik abseits der Dreiklang-Harmonik in Dur und Moll oft erst gewöhnen müssten.

Doch Kinder hätten überhaupt kein Problem damit, betont Holzheimer. Und die Chance sei hoch, junge Sängerinnen und Sänger anzuziehen. Auch weil viele es hochinteressant fänden, bei der Probenarbeit zu entdecken, was man alles mit der Stimme, mehr noch, mit dem ganzen Körper machen könne. Denn auch die Stimme wird in modernen Stücken oft völlig anders eingesetzt als bei herkömmlichen Werken: „Manchmal arbeitet man in der Probe stimmlos, manchmal experimentiert man mit der Stimme“, erklärt Holzheimer.

Viele Menschen lechzen nach Gemeinschaft

Beim Symposium im November wird es um diese sehr speziellen Elemente in zeitgenössischer Musik gehen. Komponist*innen stehen dazu Rede und Antwort. Wer sich sowohl zeitgenössischer Musik als auch dem Aufbau junger Chöre verweigert, wird wohl wenig Überlebenschancen haben, ist Holzheimer überzeugt. Mühe kosten werde es natürlich in jedem Fall, die Chorarbeit zu reorganisieren. Doch auch dabei hilft die Musikakademie in Hammelburg. Das Team bietet zum Beispiel Fortbildungen für Kinder- und Jugendchorleiter*innen an, die mit einer staatlichen Anerkennung abschließen.

Holzheimer wünscht sich Chorleiter*innen, die nun mit viel Schwung an die Arbeit gehen: „Denn nur wenn ich selbst brenne, kann ich andere mitnehmen“, sagt er.

Viele Menschen würden derzeit nach Gemeinschaft lechzen, betont der Musiker. Nicht zuletzt Kinder. „Und die wollen nicht mehr wie beim Tölzer Knabenchor steif dastehen“, ist Holzheimer überzeugt. „Sie wollen singen und sich dabei bewegen. Spaß haben und etwas erleben.“
(Pat Christ)

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