Der fränkische Fußball-Pokalschlager Nürnberg gegen Fürth kurz vor Weihnachten: Nach dem Abpfiff versetzten etwa 200 meist vermummte Nürnberger Anhänger im Stadion-Innenraum die Zuschauer, Ordner und Journalisten in Angst und Schrecken. Kein Einzelfall. Ein Würzburger Uni-Professor will nun klären, wie es um die Fankultur in deutschen Fußball-Stadien steht.
„Jaaaaaaahhh!“ Wer schon mal in einem Kasperletheater war, kennt diese aus allen Kinderkehlen gebrüllte Antwort auf die pflichtgemäße Frage des Protagonisten: „Seid ihr alle da?“ Fußballstadien scheinen heute so etwas wie das Kasperletheater für Halbstarke und sich jung fühlende Erwachsene zu sein.
Auf das Megafon-verstärkte „Gib mir ein Eff“ eines „oben ohne“ an einer Stange turnenden Jünglings brüllen in Nürnberg alle zwei Wochen mehrtausend Schwarzhemden „Eeeeeeffff“ zu-rück. Dann folgen Bitte und Antwort nach „Zeeeeh“ und „Ennnn“. Und schließlich wird zwanzigmal „Effzehenn, Effzehenn, Effzehenn“ gegrölt. Dass derweil Millionäre in kurzen Hosen auf dem Spielfeld hinter einem Ball herrennen, interessiert die Plärrer auf den Rängen kaum. Obwohl sie ziemlich teure Eintrittskarten gekauft haben.
Banker und Familienväter ticken im Stadion aus
Diese „Ultras“, in Nürnberg nennen sie sich hauptsächlich UN94, geben sogar noch viel mehr Geld aus, um Spiel für Spiel eine „Choreo“ zu organisieren. Mit riesigen Plakaten fordern sie, die sich öffentlich gegen die Kommerzialisierung des Fußballs wenden, das Nürnberger Stadion soll nach der Kickerlegende Max Morlock umbenannt werden.
Egal ob in Nürnberg, München oder auch Hamburg – das Geplärre der jeweiligen Ultras im Stadion ist infernalisch. Doch fernab von Fußballspielen verhalten sich deren Mitglieder ruhig, arbeiten als Banker oder sogar Lehrer, sind Familienvater oder Grünen-Mitglied. Das bewiesen sie gerade dieser Tage in Berlin. Dort kamen 600 Ultras zu einem Fankongress zusammen und diskutierten gesittet miteinander sowie mit Fußball-Funktionären. Eines der großen Themen in Berlin: die Legalisierung von Pyrotechnik.
Landauf landab fordern Ultras, dass sie vor dem Spiel grüne, rote oder blaue, 3000 Grad heiße Fackeln abbrennen und das Stadion in vereinsfarbenen Nebel hüllen dürfen. Doch Deutscher Fußball-bund DFB und Ligaverband DFL sperren sich dagegen: wegen der Gefahr, dass sich Unbeteiligte verletzen. Doch das Verbot nützt ohnehin wenig: Bei einem Auftritt von Nürnberger Ultras in Bochum vor zwei Jahren wurden acht Menschen durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern auf der Tribüne verletzt, zwei von ihnen schwer. „Unrühmlich“ nannte ein Bochumer Vereinsfunktionär das Verhalten der Anhänger des „ruhmreichen“ 1. FCN. Und dennoch: Die Fackeln brennen Woche für Woche vor allem in den für die Gast-Ultras reservierten Blöcken weiter. Und die Heim-Ultras geben jeweils mit einem deftigen Pfeifkonzert kontra.
Selbst das ZDF Sportstudio berichtete über den Berliner Fankongress und seiner Forderung nach legaler „Pyro“. Aber natürlich kamen – wie üblich bei solchen Diskussionen – die scheinbar „Vernünftigen“ dieser Gruppierungen zu Wort. Und die verschweigen ihre Chaoten in den eigenen Reihen bei solchen Veranstaltungen gerne und geflissentlich.
Doch genau von solchen wenigen Deppen geht die Gefahr für die große Masse der Stadionbesucher aus. So zischten im November 2011 bei einem DFB-Pokalspiel Raketen vom Dresdner in den Dortmunder Anhängerblock. Der DFB schloss den Verein daraufhin von der nächstjährigen Pokalrunde aus.
Auch von der Nähe einzelner Ultras zur rechtsradikalen Szene will niemand etwas wissen. Nachdem 2008 in Wilhermsdorf, Landkreis Fürth, offensichtlich dieselben Personen den örtlichen Jugendtreff großflächig mit „UN94 – die Macht“ und „Antifa aufs Maul“ beschmiert hatten, lehnte UN94-Vordenker Julius Neumann damals jegliche Verantwortung ab: „Wir sind kein Verein!“ Und noch immer ist Heino Hassler vom Fanprojekt Nürnberg sicher: „In den Ultras Nürnberg ist kein einziger dabei, der ein Nazi ist.“
Wer den Pokalschlager FCN-Greuther Fürth kurz vor Weihnachten sah, ob im Stadion oder am TV-Gerät, konnte nur noch bang den Kopf schütteln: Da randalierten an die 200 meist maskierte, schwarzgekleidete Nürnberger Pseudo-Fans aus den UN-Blöcken nach dem Abpfiff im Innenraum des Stadions. Ohne von den Ordnern ernsthaft behelligt zu werden, rannten sie mit Stangen und Stahleimern bestückt zum Fürther Fanblock und konnten sogar dessen Tür öffnen. Erst dann griffen Polizeikräfte zu und hielten einen einzigen aus dem Mob fest.
„Diese Chaoten, dieser ganz ganz kleine Teil, hat die Macht, eine Pauschalisierung zu bewir-ken“, sagt Professor Harald Lange. Der Würzburger Sportwissenschaftler hat erst vor wenigen Wochen an der Julius-Maximilians-Universität das Institut für Fankultur (IfF) gegründet, das „eine Plattform für die empirische Forschung über Fan-Kulturen im Fußball bieten“ soll.
Die gesamte Fankultur des Fußballs ist in Gefahr
„Unter Fankultur verstehen wir die 99,8 Prozent, die sich über Fußball freuen, begeistern. Diese Menschen haben wir im Focus“, benennt Lange das Forschungsziel des IfF. Für solche Chaoten wie beim jüngsten Frankenderby sei dagegen der Fußball nur noch der Anlass, um ihre Aggressionen loszuwerden. „Diese Leute sind für die ganze Fankultur eine Gefahr“, ist sich der Sportwissenschaftler sicher.
Dieter Hecking und Mike Büskens, die Trainer von Club und Kleeblatt, saßen nach jenem Pokalspiel, das mit 0:1 und Randale endete, frustriert in der Pressekonferenz. „Das ist nicht der Fußball, wie wir ihn uns wünschen“, erklärten sie unisono und beklagten: „Für uns ist so etwas der Anfang vom Ende des Familienfußballs.“ Denn welche Familie mit Kindern traue sich künftig noch in ein Fußballstadion, wenn dort nicht nur infernalisches Gegröle, sondern auch Raketen oder vermummte Chaoten an der Tagesordnung seien, fragten sie. Eine Antwort hatten sie allerdings leider auch nicht parat.
(Heinz Wraneschitz)
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