Zumindest Petrus muss wohl ein Protestant sein. Denn besser konnte das Wetter beim am Sonntag, 11. Juni in Nürnberg zu Ende gehenden 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag nicht geraten: Blauer Himmel, Sonnenschein, 25 Grad und ein lauer Wind, der über die Frankenmetropole streifte. Da könnte man die fundamentale Krise der Kirche fast vergessen
Fast 70.000 Besucher waren gekommen zu den rund 2000 Veranstaltungen - darunter auch jede Menge politische Prominenz: allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), übrigens der erste Protestant in diesem Amt. Beide hielten auch eine Bibelstunde ab. Beim Staatsoberhaupt fiel sie im direkten Vergleich rhetorisch ein wenig trockener aus - zumindest in Sachen Entertainment macht dem Regierungschef des Freistaats so schnell kein anderer Politiker Konkurrenz. Und auch wenn er wegen seines Heizungsgesetzes in der Allgemeinbevölkerung gerade mächtig unter Druck steht: vom jungen Volk auf dem Kirchentag wurde Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei seiner Rede gefeiert wie ein Popstar.
Mit den auch von der Politprominenz obligatorisch zu tragenden Kirchentagschals in einer eigenwilligen Farbkombination aus Gelb und Türkis brachten die Teilnehmer obendrein auch einen frischen Tupfer in das vom Ocker und Rotbraun der Häuser geprägte Bild Nürnbergs. Das Traumwetter hätte fast darüber hinweg täuschen können, dass es der Evangelischen Kirche in Deutschland insgesamt nicht gut geht: 380.000 Menschen kehrten der EKD im Jahr 2022 den Rücken - mit fast einem Drittel mehr im Vergleich zu 2021 so viele wie noch nie und erstmals lag die Zahl sogar über jener der Sterbefälle; das waren 360.000. Da mag es nur ein schwacher Trost sein, dass die Katholiken noch mit viel höheren Abgängen zu kämpfen haben.
Klimawandel und Krieg in der Ukraine dominierten
Die gute Laune ließen sich die Besucher freilich davon nicht verderben. Das Programm bot zunächst auch das, was Kirchentagsprogramme immer bieten: viel Musik und Gesang, gemeinsames Beten - wobei auch der Humor nicht zu kurz kam - und jede Menge Diskussionsrunden. Die waren, wie nicht anders zu erwarten, von zwei großen Themenblöcken bestimmt: dem Klimawandel samt aller dagegen laufenden Maßnahmen und dem Krieg in der Ukraine.
Wobei letzteres schon den ersten Konflikt barg: Margot Käßmann - eine tolle Rednerin wie Predigerin und deshalb auch viele Jahre nach ihrem Rücktritt als Ratsvorsitzende der EKD immer noch Garant für volle Ränge - hatte Ihre Teilnahme abgesagt. Die Theologin lehnt entschieden die Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Doch von diesen distanzieren mochte sich die offizielle Seite des Kirchentags eben bei aller pazifistischen Grundhaltung dann doch nicht.
Heinrich Bedford-Strohm - den Ratsvorsitz der EKD hatte er schon 2022 abgegeben, Landesbischof von Bayern ist er noch bis Jahresende - vermochte durch sein rhetorisches Talent, seinen Charme und sein Charisma solche Konfliktlinien immer irgendwie zu übertünchen. Ob das stets gut war, steht auf einem anderen Blatt. Nachfolgerin Annette Kurschus, der diese Begabung zum Menschenfischertum nicht ganz so gegeben ist, merkte immerhin kritisch an: Es müsse auch mal klar sein, wofür die Kirche stehe. Immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, damit sich in seinen Ansichten nur ja niemand ausgegrenzt fühlt - das könne nicht mehr so weitergehen.
Star-Theologin Käßmann sagte ihre Teilnahme ab, Präsident de Maiziére eckt an
Wenn dann aber jemand klare Kante zeigt, ist es auch wieder nicht richtig - was Kirchentagspräsiden Thomas de Maizière (unter Kanzlerin Merkel mal Bundesinnen- und später Verteidigungsminister) zu spüren bekam. Der 69-Jährige - dem man sicher vieles vorwerfen kann, aber nicht, dass er bevorzugt chillt - echauffierte sich etwas über die junge Generation, der es angeblich nur noch auf Work-Life-Balance ankäme. Die Arbeit aber müsse immer im Mittelpunkt des Lebens stehen, befand de Maizière: Der liebe Gott habe ja auch nur am siebenten Tag geruht und nicht auch noch am vierten, fünften und sechsten.
Insgesamt dominierte auch diesmal beim Kirchentag die Politik und die Gesellschaft vor der Spiritualität - nicht nur bei den Diskussionsrunden, sondern auch bei den Gottesdiensten und Bibelstunden. Der Autor dieser Zeilen möchte nicht verhehlen, dass ihm was entgangen sein könnte: Aber Infostände zu den Themen Krieg, Klimawandel, Migration und Queer waren im zweistelligen Bereich zu finden - aber leider nicht einer zum Thema: „Ich habe meinen Glauben verloren und wie kann ich ihn wiederfinden?“ (André Paul)
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