Das immense Sondervermögen, das die neue Bundesregierung noch mit einer Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag durchsetzen wollte, weckt vielerorts Begehrlichkeiten. Noch bevor das 500-Milliarden-Euro-Schuldenpaket den Bundesrat passiert hat, kommen von allen Seiten Forderungen. Auch die von der Staatszeitung befragten neun Bayerinnen und Bayern haben konkrete Vorstellungen, wie man das Geld verwenden sollte. Einer allerdings sieht keine Notwendigkeit fürs Schuldenmachen.
Unternehmer: "Brauchen keine neuen Schulden“
Martin Hess ist Unternehmer durch und durch. Mehr Geld ausgeben, als man einnimmt? Diese Denkweise ist ihm offenkundig fremd. „Nach meinem Wissensstand und meiner Meinung sind keine zusätzlichen Schulden für Infrastruktur notwendig“, sagt der Diplomingenieur.
Seit mehr als 30 Jahren ist Hess Geschäftsführer der Firma Intertec-Hess, die sein Vater vor genau 60 Jahren aufgebaut hat. Die Firma aus dem niederbayerischen Neustadt an der Donau stellt Schutzsysteme für hochempfindliche Instrumente und Kontrollgeräte her. Nach eigener Aussage ist die Firma in ihrem Bereich Marktführer.
Die Probleme im Land verortet Hess anderswo, eher nicht bei zu wenig Investitionsmitteln. Er nennt die überbordende Bürokratie. Die immens steigenden Anforderungen bei Brandschutz, Wasserschutz und Ähnlichem. Den Fachkräftemangel bei Planern und Genehmigungsbehörden. Die bestehenden Mittel könnten ja deswegen schon jetzt nicht ausgegeben werden, sagt er.
Hess kritisiert auch „falsch verstandene Demokratie“. Als aktuelles Beispiel nennt er den geplanten Zulauf von Bayern zum Brennerbasistunnel zwischen Innsbruck und Südtirol, eines der wichtigsten europäischen Verkehrsprojekte. Ein großer Teil des Güterverkehrs zwischen München und Verona könnte so von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Auch der Personenverkehr per Zug würde wesentlich attraktiver. Italien und Österreich haben schon fast drei Viertel des Eisenbahntunnels fertiggestellt. Auf deutscher Seite gibt es noch nicht einmal einen Beschluss zum Bau, auch wegen Protesten. Da helfen auch keine zusätzlichen Investitionen.
Handwerksmeister: "Verkehrswege sanieren“
„Tiefgreifende Reformen“ des Staates sieht auch Georg Haber als notwendig an. Der Silberschmiedemeister aus Regensburg, der gleichzeitig promovierter Kunst-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler ist, fordert eine „mutige Wachstumsagenda“. Das heißt für ihn: runter mit den Steuern und Energiekosten, weniger Bürokratie; eine zukunftssichere Reform der sozialen Sicherungssysteme und die Stärkung der beruflichen Bildungszentren.
Doch Haber, der seit mehr als zehn Jahren an der Spitze der Handwerkskammer Niederbayern/Oberpfalz steht, hält anders als Hess zusätzliche Investitionen für unerlässlich. „Im Infrastrukturbereich gibt es erhebliche Defizite, die schnell behoben werden müssen“, erklärt Haber. Vor allem in die Verkehrswege und in das Energienetz müsse investiert werden. Er appelliert an die Politik, „klug und wohlüberlegt“ zu handeln, damit das Geld auch wirklich in die richtigen Projekte fließt.
Oberbürgermeister: "Hilfe für Kommunen“
Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU) fordert, vor allem die Kommunen zu bedenken – und sie selbst über den richtigen Einsatz der Mittel entscheiden zu lassen. Der Präsident des Bayerischen Städtetags erinnert an das inzwischen auf mehr als 5 Milliarden Euro angewachsene Defizit der bayerischen Kommunen, für das diese nichts gekonnt hätten. Immer mehr staatliche Aufgaben wurden schließlich auf sie übertragen, dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur mussten zurückgestellt werden.
Das sollte der Bund jetzt berücksichtigen und den Kommunen „unbürokratisch und rasch“ genug Geld zur Verfügung stellen. „Der Bedarf an Investitionen etwa bei Straßen und Wegen, Schulen und Kindergärten, Krankenhäusern und Pflegeheimen, Brand- und Katastrophenschutz ist enorm“, sagt Pannermayr.
Wissenschaftlerin: "Niveau der Bildung verbessern“
Digitalisierung, Klimawandel, Veralterung der Gesellschaft, wirtschaftliche Ungleichheit: Wie der Staat auf diese Herausforderungen reagiert, damit beschäftigt sich das Ludwig Erhard ifo Zentrum für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik in Fürth. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Sarah Necker leitet das Institut seit 2022. Aus ihrer Sicht muss ein wesentlicher Teil in Bildung investiert werden: in den Ausbau der frühkindlichen Bildung, in die Schulinfrastruktur und in Ganztagsschulen.
„Das Bildungsniveau hat sich zuletzt wieder verschlechtert, zudem gibt es umfassende Ungleichheiten im Zugang zu Bildung“, erklärt Necker. Dem muss der Staat etwas entgegensetzen, findet die Wissenschaftlerin. „Bildung ist essenziell für unsere zukünftige Produktivität und die Möglichkeit, auf Transformation zu reagieren.“
Lehrerin: "Marode Schulen erneuern“
Das würde Sandra Schäfer genau so unterschreiben. Die engagierte Grundschullehrerin aus Nürnberg ist gerade erst von der Frauenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in New York zurückgekehrt und hat von dort einige Ideen mitgebracht. Neben der Modernisierung der vielerorts maroden Schulen und der digitalen Ausstattung fordert die Vorsitzende des Nürnberger Lehrer- und Lehrerinnenvereins Investitionen in agile Lernkonzepte: „Die Anforderungen der Wirtschaft verändern sich rasant – Schulen müssen darauf reagieren“, sagt sie. Ihre Lösung: ein flexibler, interdisziplinärer und projektbasierter Unterricht.
Dazu brauche es eine attraktivere Bezahlung, eine praxisnähere Ausbildung der Lehrkräfte und gezielte Anreize für naturwissenschaftliche Fächer, um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen. Und mehr Geld für die soziale Infrastruktur, etwa für mehr familienfreundliche Bildungsangebote und mehr Schulsozialarbeit. Schäfer weiß auch, dass Bildung Ländersache ist. Doch der Bund könnte aus ihrer Sicht schon jetzt eine aktivere Rolle in der Bildungsfinanzierung und -steuerung einnehmen.
Studierende: „Dringend neue Wohnungen bauen“
Wenn es nach den Studierenden Isabella Hennessen und Jakob Sehrig geht, müsste ein großer Teil des Sondervermögens in den sozialen Wohnungsbau gesteckt werden. „Wir brauchen eine massive Förderung von Neubau- und Sanierungsprojekten sowie gezielte finanzielle Unterstützung für studentische Wohnprojekte“, sagt Hennessen, die an der Technischen Universität München studiert und wie Sehrig Sprecherin des Landesstudierendenrats ist. Immerhin beträgt die durchschnittliche Miete für ein WG-Zimmer in München inzwischen rund 800 Euro pro Monat – für viele Studierende ist das nicht zu finanzieren.
Kritik üben die zwei auch am Zustand der Hochschulgebäude. „Es braucht einen strukturierten und langfristig finanzierten Sanierungsplan“, erklärt Sehrig, der an der Hochschule für Musik in Nürnberg studiert. „Wer exzellente Wissenschaft fördern will, muss für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen.“ Dazu gehört für die Studierenden auch eine gute digitale Infrastruktur. In vielen Einrichtungen gebe es nicht einmal ein flächendeckendes WLAN, beklagen sie.
Betriebsrat: „Bessere digitale Infrastruktur“
Eine bessere digitale Infrastruktur fordert auch der Ingolstädter Jörg Schlagbauer. „Speziell für die Automobilindustrie von Bedeutung sind dabei Investitionen in die Ladeinfrastruktur und günstiger Strom an den Ladesäulen für die Nutzer von Elektrofahrzeugen, die gezielte Förderung der Batterietechnologie und der künstlichen Intelligenz“, erklärt Schlagbauer,. Kein Wunder: Er ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Audi AG, also oberster Arbeitnehmervertreter.
Gerade erst hat er mit der Arbeitgeberseite einen Kompromiss für ein Sparprogramm vereinbart: 7500 Stellen werden gestrichen, Prämien reduziert, betriebsbedingte Kündigungen sind dafür aber bis 2033 ausgeschlossen. Dazu will Audi mehrere Milliarden Euro in die deutschen Standorte investieren, für den Wandel hin zur Elektromobilität. Das würde, so die Befürchtung, ohne flankierende Maßnahmen des Staates aber verpuffen.
Künstlerin: „Mehr Geld für Kulturbauten“
Vicky Müller-Toùssa hofft, dass auch die Kultur- und Kreativszene vom Staat bedacht wird. Die Schauspielerin und Autorin aus Neuburg fordert massive Investitionen in Theater, Museen und Räume für die freie Kreativszene. „In der Kunst operiert man zwar nicht am offenen Herzen, aber man kittet Herzen. Das ist auch lebensnotwendig.“ Viel mehr Geld sollte ihrer Meinung nach zudem in den flächendeckenden Aufbau von Jugendzentren gesteckt werden. „Die sind ja nicht nur an Brennpunkten wichtig.“
Eines dürfe man nicht vergessen, sagt Müller-Toùssa: dass die vielfältige Kultur- und Kreativszene auch ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor ist. Laut Bundeswirtschaftsministerium erwirtschaftete die Branche im Jahr 2023 mehr als 200 Milliarden Euro. Das sind immerhin 2,2 Prozent des gesamten Umsatzvolumens der deutschen Wirtschaft. (Thorsten Stark)
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